: Wem gehört der Checkpoint?
Am Checkpoint Charlie ist der Kalte Krieg wieder ausgebrochen. Vordergründig geht es um findige Schauspieler und zahlungswillige Touristen. Doch der Leiterin des Mauermuseums geht es um mehr
VON UWE RADA
Die Wachbaracke am Checkpoint Charlie ist verhüllt. So wollte es Alexandra Hildebrandt, die Ehefrau des verstorbenen Gründers des Mauermuseums, Rainer Hildebrandt. Ihre Begründung: Die Baracke sei Teil ihres Museums und folglich auch sein Besitz, mit dem sie machen könne, was sie wolle. Da stellt sich natürlich die Frage: Wem gehört der Checkpoint Charlie?
Hildebrandts Verhüllung ist die Antwort auf das Spektakel, das sich vor dem Turm seit einigen Wochen abspielt. Der Schauspieler Tom Luszeit und einige Schauspielstudenten gaben, als Vopos verkleidet, den Touristen ein schönes Motiv. Ein bisschen Uniform, ein paar grimmige Gesichter, fertig war die Checkpoint-Charlie-Kulisse.
Das ist es, was Alexandra Hildebrandt ärgert. „Wir können nicht mehr zusehen, wie dieses Symbol der Teilung missbraucht wird“, schimpft sie und will das ganze Treiben verbieten lassen. Einen Verbündeten hat sie schon gefunden: den Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz (Grüne). Der lässt derzeit, wie er sagt, „die Ordnungsmäßigkeit der Aktion an diesem Ort prüfen“.
Mehr noch: Bis zur Sommerpause könne der Checkpoint Charlie in die Liste der „Negativ-Orte“ aufgenommen werden, in denen Hausieren und Posieren sowie die gewerbliche Nutzung des öffentlichen Straßenlandes untersagt seien. Bereits am Mittwochabend hatte die Schulz-Behörde das Ausrollen eines roten Teppichs gesagt. Gehört der Checkpoint Charlie also dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg?
Wenn überhaupt, dann nur bis zur ehemaligen Sektorengrenze. Nördlich davon gehört er nicht mehr Schulz, sondern seiner grünen Kollegin aus Mitte, Dorothee Dubrau. Die freilich hält nicht so viel von behördlicher Säuberung. Im Gegenteil. In diesem Jahr hat Dubrau die Genehmigung für die so genannte Drehorgelgasse verlängert. Der Budenzauber auf den Brachen des einst geplanten „American Business Center“ kommt zwar nicht in Gange. Doch steht steht wieder auf einem anderen Blatt Papier. Die türkischen Händler, die allerlei DDR-Accessoires verkaufen, von Vopo-Mützen über Stasi-Abzeichen bis zu Gasmasken, werden darüber nicht unglücklich sein.
Wem gehört der Checkpoint Charlie? Das Argument von Alexandra Hildebrandt, das Symbol der Teilung werde von den Schauspielern missbraucht, bedeutet, dass weder die Mauer noch eine Wachbaracke als Kulisse für Touristen benutzt werden dürfen. Tatsächlich aber spielt auch das Mauermuseum mit der Kulisse, wenn es vor dem Eingang marktschreierisch für die „Audioshow“ wirbt: „Hören Sie die Panzer am Checkpoint Charlie!“ – „Wie starb Peter Fechtner?“ – „Wie war es wirklich am Checkpoint Charlie?“
Nicht gegen Kulissen kämpft Alexandra Hildebrandt in Wirklichkeit also, sondern um die Inbesitznahme des öffentlichen Raums am ehemaligen Checkpoint als Teil ihrer eigenen Gedenkkultur. Wie zweifelhaft diese werden kann, zeigt sich nicht zuletzt am Totenkult, den sie um ihren verstorbenen Mann inszeniert. Wer vor der Verhüllung in die Wachbaracke schaute, blickte auf ein großes Ölgemälde von Rainer Hildebrandt. Da fehlte eigentlich nur noch ein Nachbau des Sarges.
Zum Kampf um die Lufthoheit am Checkpoint gehört seit gestern auch die Kampagne gegen Gerhard L. Der Besitzer des Souveniergeschäfts gegenüber dem Mauermuseum hat vor Jahren einmal selbst im Museum gearbeitet. Zudem wurde er, wie erst jetzt bekannt wurde, von der Staatssicherheit als IM geführt. Er selbst sagt, das sei gegen seinen Willen geschehen. Da aber eine IM-Kartei nicht reicht, um gegen die Kommerzialisierung des Checkpoint Charlie vorzugehen, wirft Alexandra Hildebrandt Gerhard L. vor, die Schauspieler in ihrem Treiben zu unterstützen. L. selbst behauptet das Gegenteil. Der Kalte Krieg am Checkpoint Charlie, fast scheint er wieder aufzuflammen. Nur dass es diesmal nicht um den Kampf zwischen „Freiheit und Diktatur“ geht, sondern um die Gewerbefreiheit. Die scheint der Museumsleiterin ebenso ein Dorn im Auge zu sein wie Tom Luszeit und seine Schauspielerkollegen.
Wem also gehört der Checkpoint Charlie? Die Antwort ist einfach: Allen, die ihn nutzen. Dass die Erinnerung an die DDR zum Spektakel verkommt, wie der Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, anmerkt, mag man bedauern. Doch der Checkpoint Charlie ist eben nicht nur Erinnerungsort, er ist auch Touristenzentrum, Investitionsruine, Basar.
Alexandra Hildebrandt sagt: „Ich kann nicht zulassen, dass durch die Studenten die Geschichte verfälscht wird.“ Vielleicht sollte sie in der Gegenwart ankommen. Mindestens aber muss sie lernen: Der Checkpoint Charlie gehört ihr nicht persönlich. Sie muss ihn teilen.
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