: Kinder als Verschiebemasse
GEW fordert Schulpflicht für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge ■ Von Elke Spanner
Analphabeten werden zusammen mit Jugendlichen unterrichtet, die im Herkunftsland ihr Abitur abgelegt haben; andere haben einen Schulweg von Ahrensburg bis Wilhelmsburg: Solche Bedingungen sind für Hamburger SchülerInnen keine Seltenheit – wenn sie als Flüchtlingskinder hier leben. Um diesen Zustand zu beenden, forderte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gestern auf der gemeinsam mit dem Verein Jugendhilfe e.V. veranstalteten Fachtagung „Junge Flüchtlinge in Hamburg“, die Schulpflicht auch für Flüchtlingskinder einzuführen.
Bisher haben nach Hamburg geflohene Minderjährige zwar das Recht, nicht aber die Pflicht, zur Schule zu gehen. Deshalb sind sie in Hamburger Lehrplänen nicht fest eingeplant. Sie finden einen Platz, wo zufällig einer vakant ist. Und das ist laut Christa Goetsch von der GEW dort, wo es etwa einen Lehrerüberhang oder ein leeres Klassenzimmer gibt – unabhängig von Vorkenntnissen oder dem Wohnort der SchülerInnen.
Der Berufsschullehrer Bodo Levin unterrichtet die geflohenen Jugendlichen auf ihrer „letzten Station vor dem Leben“. Die Abbrecherquote in der Berufsschule sei hoch, da die Bedingungen nicht darauf gerichtet seien, die SchülerInnen bei der Stange zu halten. „Viele werden in einen Beruf gedrängt, den sie nicht lernen wollen“, berichtete er. Die hohe Abbrecherquote müsse dann oftmals als Argument dafür herhalten, daß ein besseres Schulsystem für Flüchtlingskinder gar nicht notwendig sei: „Was wollt Ihr denn, die brechen doch ihre Ausbildung sowieso ab.“
Daß die Bildungschancen mangelhaft sind, fügt sich nahtlos in die schwierigen Lebensbedingungen der Flüchtlingskinder hier. Gerade wer ohne seine Eltern einreist, hat schlechte Karten: Seit der Änderung des Ausländergesetzes 1991 müssen sogar Jugendliche unter 16 Jahren ein eigenes Aufenthaltsrecht beantragen. Wie von Erwachsenen wird selbst von einem 11jährigen erwartet, einen Asylantrag zu stellen und die politische Verfolgung im Herkunftsland glaubhaft zu machen. Für Kids gibt es ausländerrechtlich keine Sonderregeln. Es gilt, sagt Fritz Saxowsky vom Verein Jugendhilfe e.V., das „Primat des Ausländergesetzes“.
Dabei bleibe das Kindeswohl auf der Strecke. Auch die Jugendbehörde akzeptiere, daß die Ausländergesetzgebung die Frage, was für das Kind gut sei, ausschließe. „Die Maßnahmen der Jugendbehörden enden, wenn Kinder in die Illegalität abtauchen müssen“, kritisierte Saxowsky. Und illegal würden viele hier leben müssen, da die Asylanträge in aller Regel abgelehnt würden. Die Kinder werden dann unabhängig von ihrem Alter zur Ausreise aufgefordert. Ihnen wird die Abschiebung angedroht. Seit 1995 werden immer mehr Jugendliche unter 16 Jahren aus Hamburg abgeschoben.
Auch jenseits des Asylverfahrens begründet das Kindeswohl kein Bleiberecht. Der Hamburger Rechtsanwalt Björn Stehn verwies auf Frankfurt, Bremen und Berlin, wo Verwaltungsgerichte entschieden hätten, daß das Kindeswohl durchaus als Abschiebehindernis anzuerkennen ist. In Hamburg entscheiden die Verwaltungsgerichte anders.
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