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■ „Bier! Das Lexikon“ von Roth/Rudolf erscheint nach einer Unterlassungsklage in zweiter, dezent gekürzter Auflage„Aans is sischä – Lischä!“

„Paderborner Pilsener 4,9 % Paderborner Brauerei Hans Cramer. ,Wie das Land, so das Bier‘ heißt es korrekt, und wer ,herzhaft westfälisch‘ genießen will, packt die Dose, goutiert den grünen, womöglich aspirinangereicherten Schwall, labt sich an karzinogenem Schaum und süffelt Eugen Drewermanns Stammgetränk (siehe Drewermann, Eugen) bis zur bitteren Neige. Denn Paderborner Pilsener ist nicht nur Opium für den Papstverleugner, sondern tot wie Gottes Sohn, wie Gott selbst.“

Soviel biertesterische Hingabe, gedankliche Klarheit und sprachliche Schönheit investieren Jürgen Roth und Michael Rudolf in die Rezens eines einzigen Büchsenbiers, daß man gleich merkt: Hier hat man's mit Autoren zu tun, die mit ihren Kräften nicht knieperig haushalten müssen, sondern aus dem vollen schöpfen dürfen.

Roth und Rudolf halten das Bierige in Schach

Und das ist gut so. Denn wenn einem ein Buch über Bier angeboten wird, befürchtet man unwillkürlich ein trüb lalliges, ungelenk im Trunk zusammenkrakeeltes und -gekrakeltes Harr-Harr-Kompendium für eine Leserschaft, die T- Shirts mit Aufschriften wie „Bier formte diesen wunderschönen Körper“ trägt.

Roth und Rudolf aber haben die immanente Gefahr des Sujets, das Bierige also, souverän in Schach zu halten verstanden und ein Bier- Kompendium ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen erstellt, ein literarisches, intellektuell leichtfüßiges, komisches und polemisches Buch für fortgeschrittene Leser und Trinker. Unter dem Eintrag Kunze, Reiner etwa liest man: „Schrieb das ,Lied vom Biermann‘: ,Wo wäre das bier ohne biermann? / Im faß // Helles bier dunkles bier / ausgeschenkt nach dort und hier / Ihr wolltet nicht trinken // Wer trinkt nun das bier dieses biermann / Der Grass // Starkes bier dünnes bier // ausgeschenkt nach dort und hier / Ihr wolltet nicht trinken // Biermann sei ihrmann? / Achwas! // Mann ist mann bier ist bier / Biermann kam von dort nach hier / Ihr wolltet nicht trinken.‘ Das war 1966. Daraufhin erließ Ulbricht das Endreimverbot für den Lyrikernachwuchs. Nun wissen Sie, warum.“ – Das Schönste am zitierten Gedicht ist: Es stammt tatsächlich original und echt von eben jenem Greizer Dissidenten und heutigen CSU- Dichter Reiner Kunze.

Doch auch über das Bier als solches wissen Roth und Rudolf viel Wissenswertes: „Bei jedem Schluck setzen wir Hüte auf, um sie vor dieser Zelebration des Brauens ziehen zu können“, heißt es unter dem Eintrag Flensburger Pilsener. Der ebenfalls mit dem beliebten Bügel- und Plopp!verschluß ausgestattete, allerdings von der Brauerei Gilde Hannover hergestellte und nicht mal als Stützbier taugliche, in Dumpfbackenkreisen aber lange angesagte Modetropfen Werner Bölkstoff wird genauso kompetent beschrieben: „Hundsföttische Malzbrandigkeit liegt im Hinterhalt. Das Gemetzel findet auf der Zunge statt. Schaum? Fettaugen schauen dich an.“

Nicht so wohlformulierter Wahrheiten wegen aber bekamen die Autoren juristischen Ärger an die Hälse, sondern wegen der Verbreitung eines Gerüchts. In ihrem Eintrag über Licher Premium Pilsener schrieben sie unter anderem: „Die teils belegte, teils nur kolportierte Auffassung hält sich hartnäckig, das Haus Licher unterstütze die Reps und anderes Pack finanziell.“ Das Haus Licher, in Hessen durch den User-Slogan „Aans is sischä – Lischä!“ bekannt, klagte auf Unterlassung, und der Reclam Verlag fügte sich, als eine Bestätigung des Rumors auf die Schnelle nicht beizubringen war. 2.000 Exemplare der Erstauflage wurden makuliert, und in zweiter Auflage erscheint das Lexikon ohne den Licher-Eintrag, was nichts schadet, die Autoren aber eventuell vorsichtiger macht beim losen Gerede, auf daß sie nicht enden müssen wie Jutta Ditfurth, die mit ihrem Schlachtruf „Alles Nazis außer Mutta!“ zum Schrecken der Podien ward.

Brauereien: Die nächste Klage ist bereits anhängig

Unter dem Stichwort Abscheu / Ekel notieren Roth / Rudolf: „Empfinden wir vor Worten wie Hopfenbrause, Hopfenkaltschale, Hopfentee, Gerstensaft, Gerstenwein, Arbeitersekt, Kühles Blödes, nein: Blondes. Des weiteren Bierchen, Schlückchen, Fäßchen, Fläschchen, überhaupt vor allen sinnverkrüppelnden Diminuitiven, die bei Alkoholnähe zwanghaft in Anwendung und Anschlag gebracht werden.“ – So ist es wahr, so hat man sie oft durchmessen müssen, die Hölle aus Synonym und gedruckster Verniedlichung.

Bier! Das Lexikon von Jürgen Roth und Michael Rudolf ist ein Buch, das die ewig Durstigen klüger macht und die schon Klügeren tränkt. Die nächste Klage indes ist bereits anhängig: Weil der gelernte Brauer Michael Rudolf in einem Interview mit der jungen Welt den Brauerbund einen „Förderverein des organisierten Verbrechens“ nannte, erwägen die organisierten Brauer jetzt juristische Schritte. Wiglaf Droste

Jürgen Roth / Michael Rudolf: „Bier! Das Lexikon“. Reclam Verlag, Leipzig 1997, 329 S., Schwabbelcover, 18 DM

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