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■ Breloers „Todesspiel“ hat eine offene Frage auf die Tagesordnung gesetzt: Was war der Deutsche Herbst 1977?Die späte Liebe zu Helmut Schmidt

„Was für Gesetze müssen Sie haben, um den Terrorismus auszurotten?“

Helmut Schmidt im

Oktober 1977 zum Leiter

des BKA, Horst Herold

Die Bilder von 1968, auch die beunruhigenden wie jenes des sterbenden Benno Ohnesorg, sind Zeichen einer Geschichte geworden, auf die wir mit wohlgefälligem Interesse zurückzublicken gelernt haben. Denn 68, so heißt es einvernehmlich von links bis Mitte rechts, war eine Etappe in der Erfolgsstory „Modernisierung der Bundesrepublik“. Für die Bilder vom Herbst 1977, das Foto des gefangenen Schleyer und die Stammheim-Toten, gibt es hingegen keine sinnstiftenden, ikonographischen Muster. Deshalb schockieren diese Bilder noch immer. Denn dahinter steht eine ungelöste Frage: Was war der Herbst 1977?

Breloers „Todesspiel“ zeigte den Deutschen Herbst als eine Art Königsdrama. Kanzler Schmidt, Repräsentant des Staates, opfert Schleyer, Repräsentant der sozialen Marktwirtschaft. Nicht leichtfertig, sondern schweren Herzens. So wird Schmidt, der gußeiserne, auf die Staatsräson fixierte Kanzler, in ein neues Licht gerückt. Am Ende des „Todesspiels“ verzeiht auch Schleyers Witwe schließlich Schmidt seine Entscheidung. Ein Opernfinale: Der starke Staat, das Kollektiv und die Familie des geopferten Individuums sind wieder ausgesöhnt. Ein staatstragendes Happy-End. War es so?

In Breloers Königsdrama fehlt das Politische – nämlich daß Schmidts Krisenstab die Verfassung nach Gutdünken brach, Kompetenzen überschritt, massenhaft illegal Telefone abhörte etc. „Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, daß sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben“, bekannte Schmidt 1979. Breloer fand das offenbar ganz in Ordnung und nicht weiter erwähnenswert. Bei soviel neuem linksliberalem Verständnis für die Staatsmacht kann einem schon wieder bang werden um die Demokratie.

Im Herbst 1977 wurde für ein paar Wochen die formierte Gesellschaft Wirklichkeit, jenes Angstbild, das die 68er stets von der BRD gemalt hatten. Linke Wohngemeinschaften wurden nachts von Polizeitrupps heimgesucht, in der Provinz denunzierten neidische Nachbarn harmlose Bürger als Terroristen, nur weil sie einen Anti-AKW-Sticker trugen. Oder weil ihr Hund zu laut bellte. Im Krisenstab stellte niemand die naheliegende Frage: Wie riskant ist ein Austausch der Stammheim- Gefangenen, wie riskant ist die harte Linie? Für beides gab es Gründe. Doch der Staat mußte Flagge zeigen, das war ausgemacht, wort- und fraglos.

Was damals geschah, war nicht nur der Auswuchs eines wildgewordenen sozialdemokratischen Etatismus – es war die Mobilmachung der Gesellschaft gegen den Feind. Als Feind galt 1977 schon, wer sich der offiziellen Sprachregelung verweigerte. Auch die Medien parierten und befolgten die Direktiven aus Bonn ausnahmslos. Die Republik wurde zu einer Gesellschaft ohne öffentliche Opposition. So gelang es der RAF, den autoritären, faschistoiden Bodensatz der Nachkriegsdemokratie aufzuwirbeln. Ihr einziger „Sieg“.

Der RAF-Terror führte geradewegs in die deutsche Psychose. Mit den Politikern kann man nicht reden – das ist die Generation von Auschwitz, sagte Gudrun Ensslin. Doch die RAF wiederholte, was sie bekämpfte, bis ins bizarre Detail: War es ein Zufall, daß die Mörder Schleyer wie die SS per Genickschuß hinrichteten? Ein Zufall, daß der Entführer in der „Landshut“ ein paranoider Antisemit war? Ein Zufall, daß die RAF ausgerechnet die USA, den Befreier von 1945, und Israel zur Speerspitze des Imperialismus zählten? Die RAF hat, vielleicht stellvertretend für die 68er Linke, die irrsinnige Omnipotenz-Phantasie ausagiert, die Söhne und Töchter könnten die Schuld von Auschwitz tilgen.

1977 war ein doppelter Bruchpunkt für die 68er Linke mit ihren beiden heimlichen Lieben: der SPD und der RAF. Im Herbst 1977 war klar, daß das Brandtsche „Mehr Demokratie wagen“ in autoritären Etatismus und kalten Schmidtschen Offizierston gemündet war. Und die RAF war spätestens mit der Entführung von Mallorca-Touristen auf das Niveau einer Bande herabgesunken. Die Lehre der bunten, linken Szene aus dem Deutschen Herbst lautete: Keine Illusionen mehr über die SPD – und der Abschied von dem (Alp-)Traum einer gewalttätigen Revolution. So führten Mogadischu und Stammheim in einem dialektischen Umschlag zum linksalternativen Aufbruch in der Gesellschaft: zum Bruch mit dem linken Grundgefühl von Ohnmacht und Omnipotenz und dem Gefühl, im eigenen Land im Exil zu leben. 1979 gründeten sich unter linksradikaler Mitwirkung die Grünen. 1983 zog unter anderem der Ex- Militante Joschka Fischer in den Bundestag ein. So wurde der Herbst 77 paradoxerweise zum Katalysator auf dem Weg der Linksalternativen in die bundesdeutsche Gesellschaft.

Die bundesdeutsche Demokratie hat den Schock von 1977 überstanden. Sie war lernfähiger und hartnäckiger, als die linken Kassandrarufe prophezeiten. Aber ist das ein Grund, 20 Jahre danach ehrfurchtsstarr den autokratischen Helmut Schmidt zur Moralikone zu veredeln, wie es Breloer tat? Oder sich wie Mariam Niroumand Asche aufs Haupt zu schütten und nun Schmidt zu feiern, weil er 1977 die Stammheimer RAF-Häftlinge nicht einfach erschießen ließ? Den linken Abschied von den dummen Kinderträumen von gestern kann man offenbar immer wieder aufführen. Denn am Ende steht stets die (Selbst-)Versicherung, nun endlich erwachsen geworden zu sein. Und in der Erwachsenenwelt regiert halt das Prinzip Schmidt. Es gibt, mit Karl Kraus gesagt, Sachen, die sind so falsch, da ist noch nicht mal das Gegenteil richtig.

Die späte Faszination für den Tatmenschen Helmut Schmidt im Herbst 77 mag sich aus einem Unbehagen in der Demokratie speisen: einer Sehnsucht nach Schicksal, Tat und Drama. So wird Schmidt bei Breloer zu einer Figur, die im Angesicht des Bösen, des Terrors, selbst ein Stück weit böse werden muß und somit schuldlos schuldig wird an Schleyers Tod. Ein Tragödienheld. Wen interessiert da noch, ob das demokratische Procedere eingehalten wurde? Breloers „Todesspiel“ ist im Kern unpolitisch. Und wenn man die euphorischen Kritiken durchblättert, scheinen die (Ex-) Linksalternativen noch nicht einmal in der Lage zu sein, ihre eigene Geschichte zu verteidigen. Stefan Reinecke

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