■ Die Linke und Europa (2): Maastricht befördert den Nationalismus, den es angeblich überwinden helfen soll: „Wir kriegen Tausende Gauweilers“
taz: Edmund Stoiber ist gegen den Euro, Peter Gauweiler, Hans Tietmeyer – und die PDS. Macht Sie diese Anti-Euro-Front stutzig?
Gregor Gysi: Natürlich. Sie erfordert, sehr genau zu argumentieren und aufzupassen, daß man nicht in ein falsches Fahrwasser gerät. Aber das gilt für die andere Seite genauso. Die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, Daimler-Benz und Siemens sind ganz scharf auf den Euro – wenn ich wollte, könnte ich das Joschka Fischer zum Vorwurf machen.
Diese eigenartige Links-rechts- Koalition ist aber zumindest ein Beweis dafür, daß die Debatte komplizierter ist, als nur zu sagen, auf dem Altar des Euro wird der Sozialstaat geopfert.
Das ist richtig. Aus sehr unterschiedlichen Ängsten können ähnliche Positionen resultieren: Die einen hängen an ihrer Macht in Währungsfragen, die anderen am Nationalstaat. Die einen haben Angst um die Sparguthaben der kleinen Leute, die anderen vor einem Abbau von sozialen und demokratischen Rechten. Und alle sind sie am Ende gegen den Euro.
Die PDS als Retter der D-Mark?
Das ist doch Unsinn. Wir haben ja noch nicht einmal eine emotionale Bindung an die D-Mark. Also wollen wir sie auch nicht retten.
Aber Sie sagen nein zum Euro und machen sich auch schon mal Sorgen, daß der kleine Mann auf der Straße mit der D-Mark sein Erspartes verliert.
Wir sagen: „Euro – so nicht!“ Das ist ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied. Wir sind nicht prinzipiell gegen die Idee einer europäischen Währungsunion. Wir sagen nur, daß die Bedingungen der Währungsunion nicht stimmen. Im übrigen ist es falsch, die Ängste der Menschen nicht ernst zu nehmen, dazu ist das Thema viel zu sensibel.
Was haben Sie gegen den Euro?
Mein erster Einwand ist ein verfassungsrechtlicher. Mit dem Europa von Maastricht wird eine demokratische Grundstruktur aufgegeben – die Teilung der Gewalten. Wir haben keine europäische Verfassung, keine europäische Regierung und keine europäische Legislative, trotz des Europäischen Parlaments. Die wichtigen Entscheidungen fällen die nationalen Regierungen im EU-Ministerrat, und die nationalen Parlamente können darauf nicht mehr Einfluß nehmen. Sie können nur noch ratifizieren, also ja oder nein sagen. Es gibt somit eine Verschiebung von der Legislative hin zur Exekutive. Deswegen wollen wir, daß die Bürger über die Einführung des Euro selbst entscheiden können. Die PDS will einen Volksentscheid.
Also sehen Sie im Euro auch Chancen?
Kaum. Der Euro spaltet Europa. Wir kriegen jetzt das, was Schäuble schon immer wollte: ein Kerneuropa. Die Folge davon ist, daß die politischen und ökonomischen Spannungen zwischen den europäischen Staaten zunehmen, vor allem zwischen den Ländern, die nicht an der Währungsunion teilnehmen, dies aber wollen. Außerdem führt der Euro zu Sozialabbau und Lohndumping. Und schließlich wird er die Hauptausrede aller Regierungen dafür sein, daß sie sich in den und den Sachzwängen nur so und nicht anders verhalten konnten. Das macht Politik fast unmöglich. Wenn sich dieses Grundgefühl durchsetzt im Bewußtsein der Bevölkerung, dann gibt es keine Politikverdrossenheit, sondern eine Demokratieverdrossenheit. Ich garantiere Ihnen, daß wir dann Tausende von Gauweilers kriegen. Die werden einfach sagen: Als wir noch ein richtiges Deutschland waren, gab's das alles nicht. Lohndumping fördert Ausländerfeindlichkeit.
Das mögen berechtigte Kritikpunkte an Maastricht sein, aber das sind keine Argumente gegen eine europäische Integration.
Ich bin ja für eine europäische Integration – aber für einen anderen Weg dorthin als den über Maastricht. Aus Europa muß wieder ein politisches Projekt werden, an dessen Ende erst eine gemeinsame Währung steht. Die sozialen, ökologischen und juristischen Standards, die Löhne und Steuern der einzelnen Länder müssen vorher angeglichen werden, Schritt für Schritt. Den umgekehrten Weg zu gehen ist falsch. Wer meint, man müsse erst eine Währungsunion machen und alle politischen, sozialen, verfassungsrechtlichen Fragen ließen sich hinterher regeln, der macht sich Illusionen. Der Markt wird die Angleichung der unterschiedlichen Standards erzwingen – und angeglichen wird immer nach unten.
Die europäische Integration ist relativ weit fortgeschritten und gleichzeitig nicht unumstritten. Bestünde bei einer totalen Umkrempelung von Maastricht nicht die Gefahr, daß man das europäische Projekt auf Jahrzehnte hinaus vergessen kann?
Der Euro als letzte Chance für Europa?
Wenn Sie so wollen.
Und was tun wir, wenn der Euro aufgrund der von mir beschriebenen Folgen in den einzelnen Ländern einen Nationalismus produziert, der nicht mehr zu stoppen ist?
Sie sehen Maastricht nur als Chiffre für die große Misere und Europa nur als Synonym für Neoliberalismus. Aber Maastricht ist nicht die Ursache des Neoliberalismus, sondern dessen Folge. Also gilt auch: Die Macht des Ökonomismus ist nur in einem vereinten Europa zu brechen.
Daran glaube ich nicht. Wir verfügen doch auf europäischer Ebene über gar keine politischen Instrumente zur Regulierung dieser Prozesse. Nehmen Sie das Beispiel Beschäftigungspolitik. Beim EU- Gipfel in Amsterdam ist ein Beschäftigungspakt verabschiedet worden, aber es wurde gleichzeitig festgelegt, daß er nichts kosten dürfe. Bei den Regierungen herrscht also in Wirklichkeit die Vorstellung vor, dieses Problem sei national zu lösen. Das ist es natürlich nicht, erst recht nicht, wenn wir den Euro haben. Aber was soll unter diesen Voraussetzungen auf europäischer Ebene passieren? Es gibt kein europäisches Instrumentarium zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Die globalisierten Märkte interessieren sich aber nicht für die nationalen Ökonomien. Und in der Situation kommen Sie mit dem Nationalstaat?
Eben nicht. Ich sage doch, daß die nationalen Instrumentarien nicht ausreichen. Wir brauchen europäische soziale Grundrechte, eine europäische Verfassung, eine Steuerharmonisierung und einen funktionierenden europäischen Gerichtsweg – aber vor der Währungsunion. Einfach zu sagen, jetzt lasse ich den Euro erst mal kommen, und der Rest wird sich schon irgendwie zusammenschieben, das halte ich für ziemlich unverantwortlich. Interview: Jens König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen