■ 87,9: uniRadio Berlin-Brandenburg
Die Studierenden, die uniRadio in den Äther schicken, erzählen vom kleinen tapferen Radio in Dahlem. Da ist zuerst mal die Geschichte mit dem „Hochschulbezug“, eine Sache der Haltung und nicht der Bettwäsche:
Oh mein Gott, der Hochschulbezug – oder Wenn alle Deiche brechen ...
Genaugenommen machen auch die Dudelsender Programm mit hohem Wortanteil, aber eben brutto. Werbeblöcke, einfältige Spielchen und der Wetterbericht präsentiert von ... Viel Blabla, wenig Information, das ist dann ein Musikprogramm, netto jedenfalls. Wenigstens da ist uniRadio ehrlich. Ja, wir machen Wortprogramm, ja, wir nennen unsere Geldgeberinnen im redaktionellen Teil mit Namen, und nein, wir schämen uns überhaupt nicht. Brutto für netto. Unsere Werbung heißt Hochschulbezug, wir beziehen unser Geld von den Hochschulen in Berlin und Brandenburg. Und das Schöne an all dem Schlechten in der Welt ist, daß da bestimmt irgend jemand darüber forschte, forscht oder forschen will. Mal angenommen, rein hypothetisch natürlich, die Oderdeiche bei Hohenwutzen brechen. Da müssen wir was machen, sagt dann die Chefredakteurin. Hatten wir schon, sagt dann die Lieblingspraktikantin, Wasserschäden und Notprogramm an der Universität Frankfurt/Oder, immerhin Hochschulbezug. Wenn man nur wüßte, ob und wo der Bürgermeister studiert hat, dann könnte man den doch mal ... Könnten wir nicht vor Ort ... sagt dann jemand, nee, sind doch allet Soldaten, keene Studenten, und fast ist das Thema für uns gestorben, wenn da nicht die TFH wäre. Das ist die Technische Fachhochschule, und da gibt es einen Professor, der spielt im Sandkasten und kann erklären, was dem Deich in Krisenzeiten fehlt. Nehmwa, sagt dann die Chefredakteurin.
Epilog: Und am Ende fragt mich mein Professor immer: Was haben wir denn heute gelernt? Und dann sage ich: Hochschulbezug ist, wenn der Wissenschaftler erklärt, warum er Deiche so bauen würde. Werbung ist, wenn jemand das hört und Deiche so baut, wie ... na Sie wissen schon.Lausinger
uniRadio sendet aus einer alten Villa in der Thielallee 50, die die FU zur Verfügung stellt. Wo die ehemaligen Bewohner Wein und Kartoffeln lagerten, steht die Technik:
Hart gepegelt – zart geregelt
Wer uniRadio hört, der kennt sicher den kleinen, aber wichtigen Satz des Moderators am Ende einer Sendung: „An den Reglern saß heute ...“ oder: „Vielen Dank an die Technik.“ Was aber verbirgt sich hinter diesem kleinen Wink durch die Studioscheibe? Mikrofone, Computer, Bandmaschinen, CD-Player, Effektgeräte, das digitale Schnittsystem – und natürlich das heilige Sendepult. Im Studio einer Radiostation werden alle Arbeiten, die für eine Sendung erforderlich sind, in die Radiodimension befördert. Hier entsteht der Radiosound. Aus unterschiedlichen Geräuschen, oft auch selbstgemacht, werden Jingles und Trailer produziert. Radioarbeit ist Soundarbeit und deshalb sehr viel mehr als nur regeln und pegeln. Klang und Ton einer Radiostation sollen ja auch wiedererkennbar sein. Als Techniker habe ich zwar mit dem geschriebenen Text nichts zu tun, letztlich ist jedoch das Regiepult das ultimative Nadelöhr. Meine Finger fädeln Sprecherton, Interviewton, Musik und Effekte ein, und das Ergebnis dieser Kunst wird täglich als uniRadio in den Äther geschickt. Daß die Weite dieses Nadelöhrs davon abhängt, wie eng die Redakteure mit mir zusammenarbeiten, ist nicht immer allen klar. Für manche ist der Techniker gerade mal der Nadelhalter. Da überkommt einen schon mal die Lust, mit dem falschen Regler aus Versehen den Klangeindruck entschieden zu verengen. Neulich im uniRadio: 16:49 Uhr. Unser einziges Studio – Sende- und Produktionsstudio zugleich – brummt. Wie in einem Bienenstock schwirren die Redakteure herum. 16:50 Uhr. Endlich sitzt der Beitragsmacher vorm Mikrofon. Stimme einpegeln, im Computer eine Liste der O-Töne anlegen. Gerade wollen wir starten, mittlerweile ist es 16:51. Da tönt es aus dem Studio: „Ähh, ich muß hier noch einen Satz ändern.“ Ich überlege, wie viele Versprecher er wohl machen wird. Zwischen Sprecher und Redakteur entbrennt ein kurzer Disput. 16:53 Uhr. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, und los geht's. Versprecher Nr. 1. Nicht doch. 16:54 Uhr. Den ersten O-Ton abfahren – geschafft. Weiter im Text. O-Ton, der zweite. Jetzt bitte keinen Versprech... Nein. Da haben wir den Salat. Ich muß ruhig bleiben. 16:55 Uhr. Weiter machen. O-Ton Nr. 3. Letzter Satz. Uff. 16:58 Uhr. Oh Gott, ich muß dringend die Stimmen einpegeln, Moderator, Danke, Nachrichtentante, Danke, Wetteronkel, Danke. Noch einmal tief durchatmen – 17:00:00 Uhr. Der erste Jingle klingelt durch die Berliner Radios. Wir sind auf Sendung.
Giorgos Kalaitzis
Die „Nachrichtentante“ ist manchmal ein Onkel, und ein besonderer Nachrichtenmann ist Holger Lange. Denn so wie er Bonn sagt, können das sonst nur Sprecher mit mindestens 23 Jahren öffentlich-rechtlichem Stimmtraining:
Philosophieren in der
Nachrichtenredaktion
Nachrichten sind eine ernste Sache, und nur die Deprivation, die der Beruf eines Nachrichtenredakteurs mit sich bringt, kann einen auf das Niveau derber Späße herabziehen, für welche ich hier kein Beispiel geben möchte. Der einzige Trost, so scheint mir, den diese Arbeit wenigstens im uniRadio zu bieten hat, ist der Live-Auftritt zu Beginn jeder „Live-at-Five“-Ausgabe, das Lesen selbstausgesuchter Meldungen. Die Travestie des Nachrichtensprechers ergibt sich zwangsläufig: mit konzentriertem Geiste einerseits und mit sachlich-strenger Stimme andererseits das zu vermelden, was Sie interessiert, immer im Bewußtsein, daß Sie noch gar nicht wissen, was gerade passiert ist ... Nachrichten werden nicht interessant gemacht, das wäre zu einfach. Unserem Systemadministrator schwebte einst die Idee vor, das Nachrichtenschreiben einem Computerprogramm zu überlassen. Dagegen war der kategorische Imperativ: „Tue nichts, was dich durch eine Maschine ersetzbar macht!“ Die Nachvollziehbarkeit der Auswahl der Meldungen bleibt also aus ökonomischen Gründen mangelhaft. Dies zu verschleiern ist die Aufgabe des Nachrichtensprechers. Die Verantwortung der Redakteure für die inhaltliche Richtigkeit der Meldung wird dadurch nicht geringer. Das betrifft nicht allein die Auswahl, sondern auch das sogenannte „Zusammenschreiben“ verschiedener Meldungen, was nicht mit dem Zusammentragen von Informationen verwechselt werden darf.
Letzteres ist die vortreffliche Aufgabe des Korrespondenten, ersteres hingegen notwendige Praxis des Nachrichtenredakteurs. Das Radio muß seinem Wesen nach seinen Hörern – verzeihen Sie diese Wendung – nach dem Ohr reden. Der semantischen Verzerrung, die Tickertexte erfahren, wenn sie zum Zwecke der leichteren Rezipierbarkeit zerschnitten, gekürzt und umformuliert werden, wird m.E. zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bevor ich schließe muß noch eines richtiggestellt werden: Ohne den Mut und das Verständnis derer, die es im Laufe ihres uniRadio-Praktikums in die Nachrichtenredaktion verschlug, ohne ihre Neugier wären diese Gedanken gar nicht möglich gewesen. Vielen Dank und auf Wiederhören.Holger Lange
Bevor Nachrichtenmann oder -frau zu „Bonn“ und „Brüssel“ kommen, waren die Moderatoren schon zu hören. Die Verkäuferinnen und Verkäufer der Sendung, die Geschichtenerzähler, Erklärer, Gute-Laune-Macher, die eben, die der Sendung Schwung und ihre persönliche Würze geben:
Moderation
Schecheltes ... nee ... äh ... Tschecheltes ... na ... Tschechisches ... Streich ... holz ... schäch ... tel ... chen. Maren, unsere Sprechtrainerin, lächelt gezwungen. So viele hat sie schon ins Rennen geschickt. Die Schar jener, die bei uniRadio hinter dem Mikrofon saßen und sitzen, ist groß und bunt geworden: Männlein und Weiblein gleichermaßen (darauf wird geachtet!), aus allen Teilen der Republik, Alter zwischen 20 und 40, Publizisten, Lateinamerikanisten, Mediziner, Juristen und BWLer. Alle haben sie den schweren Gang zur ersten Sendung auf sich genommen, und alle haben sie die Täler durchschritten, die Höhen erklommen, die das Moderieren mit sich bringt. Moderator: „Herr Radunski, glauben Sie nicht auch, daß ...?“ Der Senator: „Nein!!!“ Das „Warum?“ will einem in diesem Moment natürlich nicht einfallen – Stottern folgt – nächste Frage. Wie war das noch im Interviewtraining? Keine suggestiven Fragen! Beim nächsten Mal wird's besser.
Wenn sich in diesem Sender auch keine Profis an den Mikros präsentieren, so stehen die uniRadio-Moderatoren weit über dem Einheitsgelaber der hauptstädtischen Radioszene, sind weit entfernt von den geklonten Brummbären diverser Privatradios, die mit ihren three element breaks („Das war Tina Turner, es ist jetzt kurz vor zwei, und hier ist Joe Cocker“) wahres Können kaum unter Beweis zu stellen haben. Bei „Live at Five“ lernt man alles, was für das Moderieren notwendig ist: Aussprache, Präsenz, Spontaneität, Interviews führen. Vor allem wird der Teufelskreis: „Hast Du Erfahrung, dann darfst du ran, wenn nicht, dann eben nicht“, durchbrochen.
Pack den Hörer bei den Ohren und zieh ihn direkt in den Bericht rein, lautet die Devise. Natürlich wird auch gelegentlich bei den „Großen“ entliehen, nur um die Traditionen hochzuhalten, versteht sich. „Hallo, wir sind's!“ beginnt der, der den Küppersbusch mag. „Tschüs, wo immer ihr seid!“ schließt der, der zu oft Alexander Niemetz gesehen hat. Das wichtigste aber ist, daß dieses Radio ein guter Anfang ist und darüber hinaus noch viel mehr bedeuten kann. Und das ist schon seit dem 15. Januar des Jahres 1996, 17 Uhr mitteleuropäischer Zeit so: der erste Jingle, „Hallo“, sagte Funky Anky, „hier ist ,Live at Five‘, das Magazin von uniRadio Berlin-Brandenburg.“ Ein Aufschrei der Erleichterung schallte durch die Redaktion: „Wir sind auf Sendung!“ Hoch die Tassen!Mao Tse Timm
Musik! Spätestens jetzt kommt Musik. Das Thema, über das sich endlos streiten läßt:
Liebling, mein Herz läßt Dich grüßen
Die Musikredaktion bei uniRadio
Mit welchem Musikprogramm bedient man ein Zielpublikum, das sich aus Studierenden, im Beruf stehenden Akademikern, aus Angestellten der Hochschulen und ganz unbekannten Hörern zusammensetzt? Da wird die Musikauswahl zu einem integrativen Drahtseilakt. uniRadio hat bisher keiner Musikspielart eine Absage erteilt. Außer Phil Collins, U2, Eric Clapton, Simple Minds und anderem fiesen, üblen Mainstream. Erstes Kriterium bei der Musikauswahl ist der persönliche Geschmack, was uniRadio allein schon dadurch von den anderen Sendern der sogenannten prime time unterscheidet. Weitere Direktive: breitgefächerte Auswahl, das heißt von Roger Miller und Steely Dan über Prodigy zu Manfred Krug, Lee „Scratch“ Perry und Stan Kenton. Wobei wir auf allzu extreme Spitzen verzichtet haben, um nicht unserer fünfzigjährigen Hörer verlustig zu gehen. Die kann man nämlich einerseits mit aktueller, harter Musik vergraulen, andererseits sind deutsche 50er-Jahre-Schlager für sie die schiere Provokation, während wir, die Generation XY, eine diebische Freude daran haben, ihre Feindmusik zu hören. Hier fangen die Probleme an. Wie weit kann man gehen, wenn die programmverantwortlichen Redakteure in genau diesem Alter sind?
Echte musikredaktionelle Herausforderungen sind redaktionelle Beiträge über ernste Themen wie Nationalsozialismus, Folter usw. Eigentlich ist jegliche Musik deplaziert. Ob Klassik, Techno oder Jazz. Es gibt keine neutrale Musik.
Es kann aber auch Freude machen, musikalische Kommentare zu Themen abzugeben. Nach einem nichtssagenden Geseiere der Pressesprecherin von Senator X eierte anschließend das Frank-Schöbel-Sample „Das weißt nur Duuuuhhh...“ vom gleichnamigen Andreas-Dorau-Titel durch den Äther. Da kann man Spaß haben, wenn auch ungewollt. Oder gewollt, wie nach einem Beitrag über neue Techniken der Herztransplantation. Als Kommentar setzten wir den Titel „Liebling, mein Herz läßt Dich grüßen“ von Lilian Harvey und Willy Fritsch.Felix Steinbild
Die Musikredaktion besteht aus vier Herren, manchmal sind es fünf oder auch nur drei. Einmal hatte sich eine Praktikantin mit ihren CDs durchgesetzt, aber das ist auch schon eine Weile her:
Frauen bei uniRadio ...
... gibt's natürlich, und nicht zu knapp. Was also darüber schreiben?
Brainstorming bei den männlichen Kollegen: „Frauen bei uniRadio – fällt Dir dazu was ein?“ Der betreffende kaut an seinen Nägeln, runzelt die Stirn: „Nö!“ Auch andere schauen mich entgeistert an: „Wieso?“ Na, ganz so unschuldig müssen sie ja auch nicht tun, schließlich hat so mancher bei uniRadio seine Traumfrau kennengelernt ...
Die Statistik spricht dafür, daß Frauen bei uniRadio keine zu schützende Minderheit darstellen. Es bewerben sich sogar deutlich mehr Frauen für ein Praktikum als Männer. Auch bei uns TutorInnen ist das Verhältnis fifty-fifty. Und die leitende Ebene besteht aus zwei Journalistinnen und zwei Journalisten.
Zugegeben: Gleichberechtigung fällt nicht vom Himmel. Auch ich, einst erklärte Gegnerin von Frauenquoten, habe meine Meinung geändert. Sozusagen im Selbstversuch. Mehrmals wurde ich angesprochen: „Bewirb dich doch für ein Tutorium!“ Meine Reaktion: zögern. Lust hatte ich schon – aber bin ich dem Job gewachsen? Warum ich? Ganz anders die meisten Männer. Vielleicht innerlich von Selbstzweifeln zerfetzt, aber trotzdem: „Klar, mach' ich, probier' ich aus.“ Offenkundiges Machotum ist mir beim uniRadio noch nicht begegnet, also woran liegt's? Es gibt wohl eine unterschiedliche Art der Selbstdarstellung, die sich auch in der Herangehensweise an neue Aufgaben niederschlägt.
Bei der Arbeit mit den PraktikantInnen beobachte ich: Frauen fragen weniger, haben das Bedürfnis, unbedingt von vornherein selbständig mit ihren Aufgaben fertigzuwerden – bloß niemanden belästigen. Und die sind unzufriedener mit den Ergebnissen ihrer Arbeit. Auch die Hemmungen vor der Technik sind größer: Der Praktikant ist davon überzeugt, daß er sich mit dem Computer-Redaktionssystem eh schon auskennt, kein Problem, auch wenn er daheim eine elektrische Schreibmaschine stehen hat. Die Praktikantin hingegen befürchtet, alles zu löschen, wenn sie den Computer nur anschaut. Zugegeben, ein bißchen überzeichnet.
Trotzdem: Auch wenn das uniRadio im Vergleich zu anderen Medien fast als feministischer Traum anmutet – es hat schon seinen Grund, daß wir immer wieder Frauen ermutigen, Tutorin zu werden. Sonst gäbe es wahrscheinlich nicht so viele selbstbewußte und kompetente Frauen bei uniRadio!
Und schließlich sind nicht zuletzt meine reflektierten männlichen Kollegen immer auch engagierte Verfechter der Frauenquote gewesen ...Conni Siebeck
Fast jede Woche kommen neue PraktikantInnen, manchmal ein ganzer Schwung, manchmal nur eine. Sie betreten mit uniRadio eine Art Raumschiff, denn sie heben ab aus ihrem alltäglichen Leben, nichts geht dreißig Tage lang so weiter wie bisher:
PraktikantInnenleben
Ein Tag von dreißig ... Früh aufstehen natürlich, denn um neun ist Sendebesprechung. Es gibt den Nachrichtenüberblick, an dem sich die Themenvergabe orientiert: Weltpolitik und Hochschulinterna, alles, was wichtig erscheint.
Hier folgen die ersten Diskussionen. Zum einen, weil die Praktis nicht immer willig sind und sich nicht gleich auf jedes angebotene Thema stürzen. Manche haben schon etwas in Arbeit, manche haben keine Lust, manche haben etwas in Arbeit, an dem sie schon seit zwei Wochen sitzen, haben also auch keine Lust. Zum anderen gibt es jeden Tag einen neuen „Chef vom Dienst“, der die Entscheidungsgewalt des Tages hat.
So ein Mensch ist natürlich subjektiv-selektiv und entscheidet nicht nur über die Zusammenstellung der Sendung, sondern auch über die Endfassung der Beiträge. Letzlich siegt die Hierarchie – oder die Erfahrung überzeugt. Hat man ein Tagesthema erwischt, muß man sich sputen: Möglichst schnell die Vorlesungsverzeichnisse und andere Adressenlisten durchtelefonieren, um bis mittags ein Gespräch mit einem „Experten“ zu organisieren. Dann die Fragen überlegen, hinfahren, Fragen stellen, zurückfahren, alles einspielen, die besten Stellen rausschneiden und von „äähs“ und dergleichen befreien. Hatte man noch kein Konzept für den Text – dementsprechend unpräzise und ausufernd sind die Antworten –, ist es nicht nur schwierig, die bedeutsamsten Inhalte herauszufiltern; die Zeit bis zur Sendung reicht dann auch kaum, einen passablen Text zu verfassen. Diesen spricht man dann auch selbst zwischen seine O-Töne, aufgenommen ergibt das den fertigen Beitrag. Um fünf ist „Sendepause“, jedenfalls für die, die nicht „live“ an der Sendung beteiligt sind. Danach allgemeine Sendebesprechung ... Meistens war alles „schön“, und wenn jemand anderer Meinung war, hört man das oft nur auf dem Weg zur U-Bahn. „Konstruktive Kritik“ in diesen Besprechungen kommt in der Regel von den leitenden Redakteuren. Aufbruchstimmung. Späte Heimkehr, anderes Leben liegt brach. Und morgen geht's von vorne los.
Ein Fazit? Selbständigkeit ist Trumpf, wie üblich. Nur wer sich kümmert, erreicht etwas für sich – und für die Sendung. Learning by doing – viel gelernt. Vor allem jedoch Einblick in ein menschliches Laboratorium, wie es mir im zukünftigen Berufsleben wohl nicht erspart bleiben wird. Mit mehr und weniger Sympathischen, mit Engagierten und Desinteressierten. Wie im richtigen Leben.Katja Schwarz
Heiß ersehnt sind bei allen PraktikantInnen die Tage, an denen Maren kommt. Maren ist die mit den tschechischen Streichholzschächtelchen, sie ist Sprecherzieherin:
Sinnlose Eifersuchtsszenen
Sprechtraining bei uniRadio
Wenn bei uniRadio „ah“ und „oh“ und zufriedene Kaugeräusche zu hören sind, ist das bestimmt kein Staunen über das abwechslungsreiche Mensaessen. Wenn danach „sinnlose, entsetzliche Eifersuchtsszenen“ inszeniert werden, um „Kirschmilchschnitten“ gebeten wird, ist die Verwirrung perfekt: Was machen die da eigentlich?
Wir sind mittendrin im Stimm- und Sprechtraining. Sprechen kann jeder. Aber fast jeder, der mal vor dem Mikro saß und sich später hörte, ist erst mal enttäuscht: Das klingt so langweilig, so abgelesen. Und dann die Stimme! So hoch! So verkrampft! Das bin doch nicht ich! Immerhin ist uniRadio einer der wenigen Radiosender, bei dem Sprecherziehung geboten wird. Vor allem für Praktikanten. Die meisten Studierenden bei uniRadio, die zur Sprecherziehung kommen, wollen „professionell klingen“; sprechen, wie sie es aus dem Radio kennen. Im besten Fall locker und natürlich. Es ist aber eine Professionalität anzuzweifeln, die nicht an den Inhalten orientiert ist. Deshalb halte ich es für einen guten Weg, die Individualität der Sprecher zu kultivieren. Die Frage ist aber: Wie kommt das, was ich meine, beim Hörer an? Richtig artikulierte Texte, die mit angenehmer Stimme vorgetragen werden, kommen besser an. Das richtige „Spannungsverhältnis“ im Körper ist wichtig, die Haltung, die Atmung, die Artikulation. So lag mancher Praktikant schon auf dem Boden, um seine Atmung im Liegen zu beobachten: Was passiert mit dem Bauch, wenn ich einatme? Manch einer muß in den „sauren Korken“ beißen und damit sprechen: Sooo weit kann man den Mund beim Sprechen aufmachen! Und vor dem Spiegel läßt sich wunderbar beobachten, wie die Lippen beim „ch“ und wie sie beim „sch“ geformt sind. Doch wohlartikulierte und schön tönende Beiträge sind nicht das Ziel. Der Hörer soll verstehen, wie das Gesagte gemeint ist, und das kann er nur durch die dem Inhalt entsprechende Betonung. Dazu gehört, den Text gut zu kennen, zu wissen, wovon man spricht. Die nonverbalen Mittel der Kommunikation unterstützen Betonungen. Wenn die Moderatorin im Studio gestikuliert, kommt der Techniker hinter der Scheibe zwar ins Schwitzen, weil er auf die vermeintlichen Handzeichen reagieren will, die Moderatorin benutzt jedoch nur ihre natürliche Gestik. Und die gehört zum natürlichen Sprechen. Auch wenn sie im Radio nicht gesehen wird, ist sie doch hörbar. Schade eigentlich, daß man Radiosendungen nicht sehen kann. Dann wäre vielleicht zu beobachten, wie die Moderatorin zwischen zwei Moderationen zufrieden kaut. Zur Lockerung der Stimme natürlich.Maren Böhm
Es ist bis jetzt noch nicht ausgezählt worden, ob der Anteil an ausländischen PraktikantInnen dem der Studierenden an den Hochschulen entspricht, aber bei uniRadio sind fast immer Gäste aus anderen Ländern, aus den USA, China, Nigeria, Frankreich und besonders Italien:
Ich im uniRadio
Als ich mich vor einem Jahr im uniRadio beworben habe, dachte ich, es würde anregend sein, in einem Radio zu arbeiten. Es würde für mich eine große Herausforderung sein. Die Frage stellte sich: Was werde ich dort machen, was wäre ich überhaupt in der Lage zu tun? Und diese Fragen bezogen sich nicht nur darauf, daß ich Italienerin bin. Aber zuerst war die Sprache meine größte Sorge. Als ich dann im uniRadio fragte, was zu tun sei, hörte ich schlicht und einfach: „Alles!“ Das klang überwältigend. Und in der Tat war es das auch. Andererseits gefiel mir diese Antwort, weil damit die Frage nach meinen Deutschkenntnissen ganz in den Hintergrund gestellt war. Keiner hatte was zu meckern. Begonnen habe ich damit, Nachrichten zu schreiben und Interviews zu verschiedenen Themen zu führen. Anfänglich war ich allerdings frustriert bei der technischen Vorbereitung der Beiträge, am digitalen Schnittsystem. Ich habe sowieso mit Technik nichts am Hut. Als ich sie aber einigermaßen verinnerlicht hatte, begann ich auch Spaß daran zu haben. Es ist vielleicht nicht die Sache jeder Studentin und jedes Studenten. Dazu kommt noch, daß das Praktikum viel Arbeit bedeutet und unbezahlt ist. Es ist also ein kleiner Luxus. Ich würde es aber allen empfehlen, besonders den GeisteswissenschaftlerInnen, die bereit sind, in diesem Bereich zu arbeiten und Erfahrungen zu sammeln, und zwar schon während des Studiums. Spaß hat man/frau auch bei der Teamarbeit, wo es die Möglichkeit für alle gibt, die eigene Persönlichkeit „solidarisch“ für andere zu entfalten. Selbständig und kreativ: Das bleibt jeder/m überlassen. Klar ist, daß es in jedem anderen Radio, das ausschließlich von Profis gemacht wird, viel hektischer zugeht. Aber ich habe erst mal die kleine, noch heile Welt des uniRadios gewählt. uniRadio ist nicht perfekt, aber im großen und ganzen klein und fein.Antonietta Amato
uniRadio berichtet vor allem aus Wissenschaft und Forschung, aber nicht nur für Wissenschaftler und Forscher. Deswegen müssen komplexe Zusammenhänge nachvollziehbar dargestellt werden. Wie bei jedem anderen Sender auch. Und das ist oft ein hartes Brot:
Kleiner Mann, was nun?
Die Probleme des Reporters
uniRadio (uR): Professor Dr. Ernst, sagen Sie, was hat Ihr Institut eigentlich dazu bewogen, zu den „Tagen der Soziologie“ auch Schüler der Oberstufe einzuladen?
Professor Ernst (E): Ja wissen Sie ... nein anders ... nun, ich glaube, daß die Soziologie ein ganz außerordentlich spannendes Fachgebiet ist und daß es unsere Aufgabe sein muß, äh ... Jugendliche früh an die Kernprobleme unserer Wissenschaft heranzuführen und Neugierde zu wecken.
uR: Aha ... wie ich dem Veranstaltungsprogramm entnehme, halten Sie ja einen Vortrag „Luhmann meets Reality: Soziologie von heute zum Greifen nah“ ... Nennen Sie doch bitte ein paar Tricks, mit denen Sie den abstrakten Stoff veranschaulichen wollen.
E: Natürlich. Ich habe da zum Beispiel eine Overhead- Folie vorbereitet ... aber wissen Sie, die Soziologie bietet wirklich eine Menge Zündstoff. Mein Kollege Professor August und ich befassen uns ja schon lange mit Niklas Luhmann und seiner Systemtheorie. Wie er da den Parsonschen Strukturfunktionalismus genommen hat und ihn radikalisiert hat, das ist zum Beispiel so eine Sache, die im Vortrag thematisiert wird.
uR: Vielleicht könnten Sie ganz kurz einmal darauf eingehen, wie Sie im Vortrag methodisch vorgehen ...
E: Ja ... also, Luhmann hat ja eine Theorie aufgestellt, die allumfassend das menschliche Zusammenleben zu erklären sucht. Dazu gehören ja beispielsweise auch Schülerfreundschaften, Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern usw.
uR: Ja, genau. Wie läßt sich die Systemtheorie zum Beispiel anhand von Schülerfreundschaften erklären?
E: Na ja, ganz im Luhmannschen Sinne wird es mir um Reduktion von Komplexität gehen. Daher brauchen wir zur Entwicklung einer systeminternen Problemlösungstechnik ein Teilsystem, das ausschließlich einen Schüler A und, etwa, eine Schülerin B enthält ... na, wissen Sie, Sie dürfen nicht vergessen, wir sprechen ja über Theorie. Luhmann ist doch gar nicht denkbar ohne Parson, den ich ja, glaube ich, schon erwähnte. Oder Antonio Gramsci ...
uR: Tschuldigung, Professor Ernst ... was bedeutet die Systemtheorie ...
E: Genau. Theorien, wie die Luhmanns, versuchen doch schlicht und einfach die Kontingenz von gespenstisch inhumanen Autopoiesis-Szenarien qua gedanklichem Konstrukt zu dekonstruieren. Die Verschiebung eines Problems globalen Zuschnitts von außen nach innen gewissermaßen ...
uR: Ach, wissen Sie, Professor Ernst, ich glaube, wir gehen einfach noch mal einen Schritt zurück: Vielleicht ... wenn Sie mir bitte einmal die Overhead-Folie zeigen, die Sie für die Schüler haben. Und dann gehen wir Ihre Vortragsschritte einfach mal Schritt für Schritt durch, okay?Knud Ahlborn
„Live at Five“ ist von Montag bis Freitag zu hören, das Wochenende gehört den Spezialsendungen: Da gibt es die Literatursendung „Dahlemer Diwan“, das Wissenschaftsmagazin „Elfenbeinturm“, die Musiksendungen „Unisono“ und „Zwischentöne“, den Vortragsmitschnitt „Das lange Wort“, die Sendung der neuen Medien „Convex tv“ und die Fortsetzung der traditionsreichsten studentischen Funkerei:
RX5, Forum unerfüllter Hörfunkträume
Der Platz für alles, was sonst nicht ins Programm paßt, ist auch auf uniRadio das Wochenende. Alle zwei Wochen am Samstag um 17 Uhr gibt's deshalb RX5 . Der Name ist eher unverfänglich, paßt aber ganz gut, denn hier machen fast alle, was sie wollen. Die Sendung entstand als Ableger von Radio 100.000 und ist seit dem Sendestart von uniRadio ein fester Bestandteil des Programms. Vor zwei Jahren formulierte RX5 den Anspruch an die eigene Sendung in einem Konzeptpapier mit vier inhaltlich-formalen Eckpunkten: die Wechselwirkung zwischen urbaner Vielfalt und studentischem Leben; gesellschaftskritischer Weltrevolution und anderen zivilisatorischen Randerscheinungen; Scherz, Satire und Ironie mit und ohne tiefere Bedeutung; Hörkunst: Klangexperimente, Collagen und Hörspiele. Später setzten sich Bezeichnungen wie „ein Hort grenzenloser Beliebigkeit“ oder „die Spielwiese mit umgedrehtem Rasenmäherprinzip“ durch. Alle, die willkürliche Themenauswahl und schwankende Qualität bei RX5 beklagen, verkennen den Reiz, beim Radiohören noch überrascht zu werden.
Die RX5-Redaktion ist eine dieser offenen, auf Selbstausbeutung aufbauenden, basisdemokratischen Gruppen, bei denen die lästige Organisationsarbeit immer an wenigen Leuten hängenbleibt. Zumindest die Leute, die RX5 machen, glauben, daß ihre Sendung, wenn schon nicht die härteste, dann aber auf jeden Fall die wunderbarste im uniRadio ist.Paul Morf
uniRadio hat die Sendelizenz für eine Stunde pro Tag. Auf der alten AFN-Frequenz sendete uniRadio im Umfeld der „Voice of America“. Bis Ende September gestattete die „Voice“ den Studis ein tägliches Nachtmagazin in ihrer Sendezeit. Das ist seit 1. Oktober anders, denn der neue Partner der „Voice of America“ will sein eigenes Musikprogramm fahren. „The Sound of America“ ist das Programm von „Star FM“ ... und mittendrin nach wie vor um 17 Uhr uniRadio.
uniRadio auf Antenne 87,9, Kabel 94,55, Kabel Potsdam 103,3 und Kabel Cottbus 105,45.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen