: Edith Sitwell: als Jungfer stolz und grandios
Mit ihren hochkomplexen Gedichten schrieb sie in den zwanziger und dreißiger Jahren Literaturgeschichte; mit ihren exzentrischen Selbstinszenierungen prägte sie das Bild einer ganzen Epoche: Edith Sitwell. Ein „spätes Mädchen“, eine klassische Jungfer? Ja und nein. Daß so eine nicht zwangsläufig in Sack und Asche gehen muß, dafür war die englische Dichterin, Essayistin und Exzentrikerin, geboren 1887 im viktorianischen England und verstorben 1964 zu Beginn der Beat-Ära, der schlagende Beweis.
„Ich könnte unmöglich Tweed tragen!“ erklärte sie einmal dem Observer. „Die Leute würden mir mit dem Fahrrad hinterherfahren. Ich sähe aus wie ein Löwe im Kaninchenfell.“ Statt dessen ließ sie sich schwer fallende Gewänder aus Polsterstoff schneidern. Aufgrund ihrer Leidenschaft für Brokat und schöne, klotzige Halbedelsteinbroschen nannte man sie auch einen „wandelnden Hochaltar“.
Früh wurde Edith Sitwell sich ihrer vermeintlichen Unattraktivität bewußt. Ihre adligen Eltern wußten ihr nicht viel Liebe entgegenzubringen, was sie ihnen mit gleicher Münze heimzahlte. Schwer und zu Herzen gehend wog auch ihre erste Erfahrung von Treulosigkeit: Jeden Morgen spazierte sie als Vierjährige mit Peaky, einem Pfau, durch den Park des Familiensitzes. „Diese Romanze dauerte mehrere Monate. Dann kaufte mein Vater für Peaky eine Frau (in meinen Augen ein äußerst reizloser und unbedeutender Vogel), woraufhin sich jener von mir abwandte.“ Erläuternd sagte sie: „Ich glaube nicht, daß mir die Kränkung meines Stolzes naheging, die darin bestand, daß mich ein Pfau hatte sitzenlassen; was mich kränkte war die Zurückweisung meiner Zuneigung.“ Alle Leitmotive der Sitwellschen Vita klingen hier schon an.
Aus ihrer auffallenden Erscheinung – „sie war unansehnlich, und sie wußte es“, heißt es in ihrer Autobiographie – machte sie eine Tugend, zementierte damit aber auch ihre asexuelle Attitüde: Wenn sie schon nicht „hübsch“ sein konnte, so doch zumindest grandios.
Ihre treuesten Bewunderer waren homosexuelle Männer, etwa der Fotograf Cecil Beaton oder der Maler Pavel Tchelitschew. Mit letzterem verband sie eine aufreibende Haßliebe: Auf Leidenschaft mochte sie trotz allem nicht verzichten.
Auch als chronisch verschroben, ja als eine Frau, die ihr Anderssein lediglich als modischen Tick stilisiert, wollte sie nicht gelten. Anläßlich einer Reise in die USA im Jahr 1954 dachten sich Journalisten eine vermeintliche Sensation aus: Edith Sitwell, die berühmte Jungfrau, sollte auf Marilyn Monroe treffen, die noch berühmtere Sexgöttin.
Doch aus dem erhofften Spektakel, das scheinbar zum Scheitern verurteilt war, wurde nichts. Statt sich zu streiten oder anzuöden, unterhielten sich die beiden unaufgeregt kichernd über Rudolf Steiner und albern barfuß herumhopsende Jüngerinnen der Anthroposophie. Reinhard Krause
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