Moralkeule, Pflichtübung etc.: Notizen zur Meinungsabwurfstelle
■ Schon wieder eine Friedenspreis-Rede als Skandalon. Zu den Reaktionen auf Martin Walsers Innerlichkeitsschuldverarbeitung. Genaues Hinhören wäre allerdings die erste Kritikerpflicht
Martin Walser ist geübt darin, eine wohlmeinende Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen. Schließlich war er in den 80er Jahren einer der ersten, der das Tabu der deutschen Teilung skandalisierte. Unter anderem deshalb wurde er am Sonntag mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Zeiten haben sich geändert.
Seine Dankesrede taugt nun erneut denen als Skandalon, die sich noch immer an einem schlichten, dichotomischen Weltbild orientieren. Walsers Warnung, das Auschwitz-Gedenken für „gegenwärtige Zwecke“ zu instrumentalisieren, es zu einer „jederzeit einsetzbaren Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“ zu machen, rief programmgemäß den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, auf den Plan, der in den „schockierenden Thesen“ „geistige Brandstiftung“ entdeckte. Als sei er nicht in der Lage, zwischen Kritik an den Formen des Gedenkens und Kritik an den Inhalten zu unterscheiden, rückte er den frisch ausgelobten Friedenspreisträger Walser grob in die ganz rechte Ecke: „Leute wie der DVU-Vorsitzende Gerhard Frey und Ex-Republikaner-Chef Franz Schönhuber sagen es auch nicht anders.“
Und als wolle er Bubis sekundieren, stellte sich ausgerechnet Peter Sichrovsky, jüdischer Europaparlamentarier der rechtslastigen österreichischen FPÖ, hinter Walser. Daß Sichrovsky der in Ungnade gefallene Co-Autor von Bubis' Autobiographie „Damit bin ich noch lange nicht fertig“ ist, ist dabei nur eine zusätzliche, hübsche Fußnote. Die Schubladisierung Martin Walsers als „Rechter“ – ob ablehnend oder zustimmend – wird dadurch nicht richtiger.
Eher scheint sich Walsers Kritik zu bewahrheiten, daß der Gedenk-Diskurs jederzeit für gegenwärtige Zwecke instrumentalisierbar ist. Das Gedenken als eine moralische Kategorie und Frage des persönlichen Gewissens, wie sie Walser vorschwebt, droht dabei verlorenzugehen. „Wenn Walser sagte, daß er bei der Darstellung des Auschwitz-Grauens inzwischen wegschaut, dann hat er nie hingeschaut“, meint Ignatz Bubis und liegt damit völlig falsch.
Er verkennt, daß Walser das Gedenken als eine religiöse Größe retten will, als innerste Angelegenheit jedes Deutschen, vor der es qua Geburt und nationaler Geschichte kein Entrinnen gibt. In seinem jüngsten Roman „Ein springender Brunnen“ hat Walser sich mit seiner Schuld auseinandergesetzt, die darin besteht, zur Zeit des Nationalsozialismus ein glückliches Kind gewesen zu sein, das mit ersten Liebeserfahrungen beschäftigt war und von Auschwitz nichts wußte. Daß Auschwitz darin nicht vorkam, fanden auch schon einige skandalös, die von literarischer Perspektive noch nie etwas gehört haben. Walser aber wollte die Vergangenheit ohne Kenntnis der Gegenwart rekonstruieren und ihr damit näher kommen.
Die je persönliche Schuld nicht in die Niederungen der Tagespolitik und der Gedenkinszenierungen absinken zu lassen und sich deshalb gegen bloße „Lippenbekenntnisse“ zu wehren, ist ein berechtigtes Anliegen. Dennoch kann man diese Haltung kritisieren, da ihr jede Form von Öffentlichkeit des Gedenkens suspekt, jeder Antifaschismus umstandslos zum Ritual degeneriert und dadurch Erinnerungspolitik insgesamt nicht mehr zulässig scheint. Und hier – in der Wirkung – besteht eben doch die Gefahr, daß Walsers Innerlichkeitsschuldverarbeitung von tumben, rechten Vergangenheitsverleugnern nur bei genauerem Hinsehen zu unterscheiden ist. Das aber, genaues Hinsehen, ist das mindeste, was man von Ignatz Bubis in dieser Frage erwarten darf.
Walsers Ablehnung des Holocaust-Mahnmals als „Alptraum“ und „Monumentalisierung der Schande“ ist aus seiner Position heraus verständlich – und übersieht doch das Wichtigste: daß auch Rituale und symbolische Setzungen wie das Holocaust- Mahnmal dazu geeignet sind, Politik zu machen. Man kann ja gegen eine staatsoffizielle Kranzabwurfstelle sein, doch damit baut man mit am Holocaust-Mahnmal als diskursiver Meinungsabwurfstelle, auch wenn dazu längst keine neuen Argumente mehr beizusteuern sind. Es gibt von dieser zentralen Stelle des deutschen kollektiven Bewußtseins eben kein Entkommen. Und das ist auch gut so. Jörg Magenau
Zum gleichen Thema erscheint morgen ein Beitrag von Micha Brumlik auf der Meinungsseite.
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