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Großmarkt im Überseehafen verschoben

■ „Sichtachse“ von Walle zum Wasser bleibt frei / Grüne: falscher Standort / Kommen Großmarkt-Händler doch nicht?

Die Wirtschaftsdeputation hat gestern der Übertragung eines 16,3 Hektar großen Grundstücks im Überseehafen an eine Projektentwicklungsgesellschaft der staatlichen Hibeg zugestimmt. 30 Mark sollen pro Quadratmeter berechnet werden, hinzu kommen als Subvention ein verlorener Zuschuß von 12 Millionen Mark und ein Gesellschafterdarlehen von 24 Millionen Mark. Damit ist die grundsätzliche Entscheidung für die Verlagerung des Großmarktes in das alte Hafengebiet gefallen.

Die SPD-Fraktion begrüßte ausdrücklich den Beschluß. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Detmar Leo, sieht in einem „citynahen Großmarkt“ Chancen, die ein Standort am Stadtrand nicht bieten würde: „Wir sehen den neuen Großmarkt nicht als geschlossene Insel.“ Am Rande des Großmarktes, entlang der 400 Meter langen historischen Fassade des Speichers 11, sollte eine Art „Schaufenster“ entstehen. Da könne er sich auch Touristen vorstellen, meinte Leo. Hinter dem Großmarkt ist eine 58 Hektar große Fläche, die das Häfenressort bisher als „Distributions-Lager“ beansprucht. Daran glaubt Leo aber nicht recht. Wenn aus dem Lager nichts werde, könnte man sich dort am Wendebecken andere Dinge vorstellen. Dort, direkt gegenüber vom „Pier 2“, sei „eines der schönsten Areale des alten Hafenbereiches überhaupt“, schwärmte Leo.

Die von den Händlern als neuer Standort selbst favorisierte Hemelinger Marsch sei „nicht für ein Verteilzentrum“ da, „auch wenn wir im Moment Schwierigkeiten haben, große Qualität dahin zu bekommen.“ Im Frühjahr des Jahres 2001 soll mit dem Bau des Großmarktes begonnen werden.

Die SPD-Fraktion hatte durchgesetzt, daß das Großmarkt-Gelände im Vergleich zu früheren Plänen um 175 Meter weiter zum Wendebecken hin „verschoben“ werden soll. Die große Fläche zwischen dem Überseehafen-Kopf und dem Faulenquartier jedenfalls soll für die Stadtentwicklung zur Verfügung stehen, sagt Leo. Wenn über „Wohnen im Hafenquartier“ nachgedacht werde, dann sei da Platz dafür. Durch die Rückverlagerung des Großmarktes sei eine „Sichtachse“ vom Waller Ring bis zum Schuppen 3 am Europahafen frei. Ob aus der Sichtachse eine Verkehrsachse werden soll, ist in der Koalition bisher umstritten. Was aus dem Schuppen 3 werde, aus dem der Fruchtumschlag weggehe, ist aber noch offen. Während das Häfenressort wieder Fruchtbetriebe für den Standort gewinnen will, hätten die Waller Kommunalpolitiker nichts gegen einen freien Zugang des Europahafenbeckens.

In der Pressemitteilung des Wirtschaftssenators liest sich das einigermaßen anders. Die Fläche, um die der Großmarkt zurückverlagert werden soll, sollte für einen „funktional mit ihm verknüpften Bereich“ zur Verfügung stehen, teilt der Wirtschaftsenator Josef Hattig mit. Falls doch noch ein „Cash&Carry“-Markt nach Art der Metro gewonnen werden könnte, soll der dort seinen Platz haben. Als „Sondergebiet Frischezentrum“ sollte die Fläche planungsrechtlich reserviert werden. Nur „in diesem Rahmen“ könnte eine ca. 5,5 Hektar große „Zwischenzone zwischen Großmarkt und der Funktionsfläche städtebaulich attraktiv entwickelt werden“, wobei klar ist, daß in diesem Zwischenbereich täglich 2.000 Liefer-Fahrzeuge zum Großmarkt und doppelt soviele PKWs in den Cash&Carry-Markt verkehren würden. Bei aller städtebaulichen Attraktion sollen, so teilt der Wirtschaftssenator denn auch mit, „keine Einrichtungen angesiedelt werden, welche später immissionsschutzrechtliche Begrenzungen für die Entwicklung des Frische-Zentrums schaffen“.

In der Wirtschaftsdeputation haben nur die Grünen gegen die Verlagerung in den Überseehafen gestimmt. Das sei eine „falsche Standortentscheidung“, sagt Fraktionssprecherin Helga Trüpel, daran könne auch die Tatsache nichts ändern, daß der Standort um 175 Meter verschoben wurde. Denn „wieder einmal wurde eine Chance verpaßt, Bremen als Stadt am Fluß aufzuwerten“. Die Großmarkt-Ansiedlung im Überseehafen-Bereich verbaue die Möglichkeit, das alte Hafenrevier attraktiv zu gestalten. „Ich hatte bis zuletzt gehofft, daß die große Koalition den Protest der Großmarkt-Händler ernst nimmt und ihren Standortvorschlag Hemelinger Marsch aufgreift.“ Diesen Standort hatte auch ein Gutachter des Senats als verkehrspolitisch sinnvoll und kostengünstiger bewertet, wenn der Großmarkt dem Bau der Stadtautobahn A 281 weichen muß.

Die Großmarkt-Händler, so ihr Beiratssprecher Andreas Lahmann, sehen auch nach dem Deputations-Beschluß die Idee des Frische-Zentrums im Überseehafen als „gescheitert“ an. Ihnen sei versprochen worden, daß ringsherum „artverwandtes Gewerbe“ angesiedelt sei oder würde. Mit der Abwanderung des Fruchtumschlages aus dem Europahafen-Bereich sei damit aber nicht mehr zu rechnen, die vom Wirtschaftssenator umworbenen Cash&Carry-Märkte hätten alle abgewunken. 90 Prozent der Großmarkt-Händler, so berichtet Lahmann, hatten auf einer Versammlung am Dienstag den Umzug in den Überseehafen abgelehnt. Die Händler hatten gehofft, daß der Wirtschaftssenator mit ihnen spricht, bevor Fakten geschaffen werden. Dies sei aber nicht passiert. Über die jetzt beschlossene Verschiebung der Fläche sei mit ihnen zum Beispiel nicht einmal geredet worden. Daß ihre Forderung einer direkten Verkehrsanbindung an die Hafenrandstraße in der Politik abgelehnt werde, hätten sie in der Zeitung gelesen.

Die Händler sind so sauer, daß sie die Möglichkeit erwägen, das Projekt noch scheitern zu lassen. Denn ein CDU-Landrat aus Weyhe hatte noch in der vergangenen Woche deutlich daran erinnert, daß die Umland-Gemeinde direkt in Autobahnanschluß-Nähe ein Gewerbegebiet für den Großmarkt zur Verfügung hätte. Könnte es sein, daß die Händler einfach beschließen, dorthin zu gehen? „Diese Möglichkeit besteht durchaus“, sagt Beiratssprecher Lahmann, „und ob das im Endeffekt teurer wird, wage ich zu bezweifeln“. Zwar würden ihnen die Umlandgemeinden das Grundstück nicht so billig anbieten können wie Bremen das getan hat, aber Subventionstöpfe gebe es dort auch, wenn 130 Betriebe vor der Tür stehen. K.W.

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