Kommentar: Ausgereizt
■ Die Bündnisgrünen haben beim Atomausstieg schlechte Karten
Da ist sie wieder, die ordnende Hand des Bundeskanzlers. Die Neufassung des Atomgesetzes ist verschoben und der für die Stromindustrie kurzfristig gefährlichste Absatz aus dem Text gestrichen – der schnelle Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung. Damit hat Schröder der deutschen Atomindustrie nachgegeben, die mit einem vorzeitigen Abbruch der Gespräche gedroht hatte.
Als Gründe für die Entscheidung des Kanzlers könnte man noch allerhand staatstragendes Gerede von gestörten Beziehungen zu den Nachbarstaaten, horrenden Schadensersatzforderungen an die Bundesregierung und sonstige rechtliche Bedenken hinzufügen – was in den letzten Tagen und Wochen auch ausführlich zu hören und zu lesen war.
Die eigentlichen Probleme beim Atomausstieg sind für Rot-Grün aber andere: Wie kann sich die Politik gegen die mächtige Strombranche durchsetzen? Und wie kann dabei vermieden werden, daß sich die Koalition handlungsunfähig streitet oder gar an dieser Frage zerbricht? Immerhin kann die Stromindustrie wohl mehr Abgeordnete in den Reihen der Sozialdemokraten mobilisieren, als die Bündisgrünen überhaupt Sitze im Bundestag haben. Und die Stromerzeuger können im Zweifel auf den Rückhalt anderer Branchen rechnen und haben auch schon frech gedroht, mit den Konsensgesprächen auch gleich das Bündnis für Arbeit zu begraben – nach Aussage von Gerhard Schröder immerhin das wichtigste Regierungsvorhaben dieser Legislaturperiode.
Angesichts dieser festgebauten Burg übernahm Trittin den Part des Überraschungsangreifers. Doch gleichzeitig führt nun Gerhard Schröder die Verhandlungen mit den belagerten Burgherren und läßt seinen Minister allein an die verrammelten Tore klopfen.
Ob das ein abgekartetes Spiel ist, wie die Opposition gestern vermutete, darf bezweifelt werden. Bisher haben die Bündnisgrünen allerdings gute Miene zu Schröders Spiel gemacht und weigern sich, auch nur ansatzweise von einer Koalitionskrise zu sprechen. Denn die SPD hat sie in der Tasche: Die Grünen können die Koalition nicht nach 100 Tagen platzen lassen, nur weil die Wiederaufarbeitung nun noch ein paar Jahre länger läuft. Da müssen wesentlich härtere Demütigungen folgen. Das weiß auch das Kanzleramt und kann so in aller Ruhe seinen Spielraum ausreizen. Reiner Metzger
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