: Scharping stört, schweigt und genießt
Dass Rot-Grün aus der Dauerkrise nicht herausfindet, kommt Verteidigungsminister Scharping gut zupass. Der Mann mit dem Image des pflichtbewussten Parteisoldaten hält sich für den besseren Kanzler ■ Von Tina Stadlmayer
Berlin (taz) – Die rot-grüne Regierung steckt in der größten Krise seit ihrem Bestehen. Einem jedoch scheint dies klammheimliche Freude zu bereiten: Verteidigungsminister Rudolf Scharping.
Im Streit um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer die Nerven verloren und sich laut angebrüllt. Scharping goss während der Koalitionsrunde weiter Öl ins Feuer und belehrte die Grünen, Panzer vom Typ Leo 2 seien in den kurdischen Bergen sowieso nicht einsetzbar.
Bereits vor der entscheidenden Runde hatte Scharping Fischers Nein zur Lieferung des Testpanzers kritisiert. Angeblich hat er dem Außenminister vorgeworfen, dieser lasse sich von den Linken in seiner Partei gängeln. Seither ist die Männerfreundschaft beendet, die Fischer und Scharping noch vor wenigen Wochen bei der Vorstellung von Scharpings Buch über den Kosovo-Krieg öffentlich demonstrierten. Auch Fischers Verhältnis zu Schröder ist deutlich angekratzt. Doch Kanzler und Vizekanzler wissen, dass sie einander brauchen, wenn die Koalition bis zur nächsten Bundestagswahl halten soll.
Scharping braucht diese Koalition nicht. Im Gegenteil. Sollte das labile rot-grüne Bündnis vorzeitig auseinanderbrechen, dann wäre seine Stunde als Kanzler einer Großen Koalition gekommen. Denn Schröder hat in den vergangenen Wochen unmissverständlich gesagt: „Jede andere Koalition nur ohne mich.“ Joschka Fischer kann sich durchaus vorstellen, dass die Koalition an einer der nächsten anstehenden schwierigen Frage zerbricht. Sie muss demnächst über Lieferungen von Tiger-Helikoptern an die Türkei und Panzern an Saudi-Arabien entscheiden. Auch die Konflikte um das Sparpaket, die Gesundheitsreform und den Atomausstieg sind noch nicht ausgestanden.
Rudolf Scharping verhält sich in dieser Situation wie einer, der nichts zu verlieren hat. Er nervt den Kanzler mit der harnäckigen Forderung nach zusätzlichen Mitteln für den Bundeswehretat und droht sogar mit Standortschließungen. Angetrunken, aber immer noch Herr seiner Sinne, lästerte er vor Journalisten und Generälen in einem Offizierskasino auf Sardinien über den Kanzler und die Koalition. Teilnehmer der illustren Runde erzählten anschließend: „Es war klar, dass er sich für den besseren Kanzler hält.“
Nachdem die Berliner Zeitung über Scharpings Lästereien berichtet hatte, stellte Schröder den Verteidigungsminister zur Rede. Gegenüber Parteifreunden erklärte er Scharpings Affront psychologisch: „Das hat mit der Historie zu tun.“
Tatsächlich herrscht zwischen Schröder und Scharping seit langem eine herzliche Feindschaft. Schröder hatte 1994 den damaligen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Scharping für die verlorene Bundestagswahl persönlich verantwortlich gemacht. Daraufhin entließ Scharping seinen Rivalen als wirtschaftspolitischen Sprecher der Partei. Schröder schlug prompt zurück und beteiligte sich 1995 aktiv am Sturz des SPD-Vorsitzenden auf dem Mannheimer Parteitag. Heute fühlt sich Rudolf Scharping an das Chaos des Jahres 1995 erinnert. „Dies ist ein besonders risikoreicher Zustand“ sagte er am Wochenende auf dem südhessischen SPD-Bezirksparteitag.
Gerhard Schröder lässt deutlich erkennen, wie sehr ihm das Agieren seines alten Rivalen missfällt. Vertraute des Kanzlers erzählen, er habe gesagt: „Ich habe Lafontaine geschafft, und Scharping werde ich auch noch schaffen.“ Ganz offensichtlich ärgert es den Kanzler, dass der Kontrahent im „ZDF-Politbarometer“ als beliebtester SPD-Politiker dasteht, während seine eigene Popularität sehr gesunken ist.
Schröder hat die Gefahr erkannt. Seit der Serie von Niederlagen bei den vergangenen Landtagswahlen bemüht er sich, das Image des kaltherzigen Modernisierers loszuwerden und die Partei hinter sich zu bringen. Der Einzelkämpfer und Macher an der Spitze sucht nun bewusst den Kontakt mit der Parteibasis. Er weiß, dass ihm der pflichtbewusste Parteisoldat Scharping zweierlei voraushat: Der Verteidigungsminister ist in der Bundestagsfraktion bei vielen beliebt. Und als Vorsitzender der Programm-Kommission ist er mit der Partei enger verbunden als der hauptberufliche Bundeskanzler und nebenberufliche Parteichef.
Als Scharping noch Parteichef war, warfen ihm die GenossInnen politische Beliebigkeit und mangelnde Durchsetzungskraft vor. Dieses Nicht-festgelegt-Sein und seine sanfte, bodenständige Tour sind nun plötzlich wieder Vorteile gegenüber dem als neoliberaler Macher geltenden Schröder.
Schröder hat versprochen, die Partei und den Koalitionspartner in Zukunft in seine Entscheidungen mehr einzubeziehen. Doch sein Machtwort zur – auch innerhalb der SPD umstrittenen – Frage der Lieferung eines Testpanzers an die Türkei hat gezeigt, dass er nur eingeschränkt lernfähig ist.
Auf dem kommenden Parteitag Anfang Dezember in Berlin wird klar werden, wie viel Rückhalt Schröder noch in der Partei hat. Seine Referenten und Berater sind bereits emsig mit dem Abfassen der alles entscheidenden Parteitagsrede beschäftigt. Gelingt es Schröder nicht, die GenossInnen zu begeistern, könnte Scharping Oskar Lafontaine als das „soziale Gewissen“ der Partei beerben. Immerhin hat er sich für eine Vermögensabgabe stark gemacht, von der Kanzler Schröder partout nichts wissen will.
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