: „Die PDS muss sich Realitäten stellen“
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), warnt die PDS vor vorschnellen Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung nach den Wahlen. Sie sei noch weit davon entfernt, Bedingungen stellen zu können
Interview: ROBIN ALEXANDERund ANDREAS SPANNBAUER
taz: Herr Wowereit, was unterscheidet Sie von Ihrem Vorgänger Eberhard Diepgen?
Klaus Wowereit: Eine ganze Menge. Erstens: Ich bin Sozialdemokrat. Zweitens: Ich gehöre einer ganz anderen Generation an. Drittens: Ich habe ein anderes Naturell.
Beschreiben Sie uns Ihr Naturell.
Das überlasse ich Journalisten und anderen professionellen Beobachtern. Ich denke, die Unterschiede zwischen mir und meinem Vorgänger sind unübersehbar.
Manche Beobachter glauben, in der Amtsführung Kontinuitäten ausgemacht zu haben.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Der neue Senat versucht doch, die Probleme anzupacken und zu lösen anstatt sie auszusitzen und zu vertagen oder falsche Formelkompromisse einzugehen. Das haben wir schon jetzt bewiesen und wir werden noch stärker Profil zeigen.
Sie haben es verstanden, den Eindruck zu erwecken, die SPD, die zehn Jahre Verantwortung im Senat trug, stehe jetzt für einen Neuanfang. Wie haben Sie das geschafft?
Ja, die SPD hat zehn Jahre in der großen Koalition gearbeitet – und zwar erfolgreich. Aber die SPD hat seit 1995/1996 deutlich gemacht, dass es in der Berliner Politik eine Wende geben muss: eine Wende zum Realitätsbewusstsein und zur Konsolidierungspolitik. Sie ist noch in der großen Koalition eingeleitet worden. Im Jahr 2001 war der Vorrat an Gemeinsamkeiten dann aufgebraucht. So ging es einfach nicht weiter.
Sie wollen vor allem einen Mentalitätswechsel schaffen. Was soll das sein?
Die Subventionsmentalität, die sowohl im ehemaligen Westteil der Stadt als auch im Ostteil vorhanden war, muss sich verändern. Die Berliner Politik hat sich immer um Entscheidungen herumgedrückt mit dem Hinweis: „Das können wir der Bevölkerung nicht zumuten.“ Aber die Leute spürten schon lange, wie unehrlich das war. Mentalitätswechsel beginnt damit, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen: So kann es nicht weitergehen. Wir haben eine schwierige Situation.
Mentalitätswechsel ist also eine Sache der Politiker?
Nein, das fängt bei der Politik nur an. Die Veränderung wird in viele Bereiche der Gesellschaft dringen müssen: in Unternehmerverbände, Gewerkschaften und andere Interessensgruppen, wo sich die Subventionsmentalität auch breit gemacht hat.
Es hat den Anschein, Ihr rot-grüner Übergangssenat ist weniger ein Instrument für neue Politik als vielmehr eine Gelegenheit für Sie, sich schon vor den Neuwahlen im Oktober als Regierender Bürgermeister in Szene zu setzten.
Ihr Eindruck täuscht. Zwar können wir in dieser Übergangsphase nicht alles lösen, was in zehn Jahren nicht geschafft worden ist. Aber wir werden schon die richtig dicken Probleme angehen. Und wir können auch zeigen, wie ein Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit anders Politik macht. Wir haben etwa beim Thema BVG und S-Bahn deutlich gemacht: Hier müssen Entscheidungen her! Wir packen neu zu und beschleunigen das Tempo.
Schon jetzt gibt es Widerstand gegen Ihre Pläne einer Fusion der Verkehrsbetriebe.
Es gibt aktuell einen jährlichen Zuschussbedarf von rund einer Milliarde Mark bei der BVG. Eine riesige Summe. Trotzdem ist im Unternehmenskonzept jedes Jahr eine Tarifsteigerung vorgesehen. Dabei sind die Fahrpreise schon jetzt hoch. Ich wünsche mir eine Situation, wo mehr Kunden zu niedrigen Preisen fahren. Natürlich ist der Weg dorthin nicht unumstritten. Aber genau das ist doch der Punkt: Wir werden auch Themen aufgreifen, die in der Vergangenheit immer zu Blockaden geführt haben. Mit Schönwetterpolitik ist in dieser Stadt gar nichts mehr zu gestalten!
Dringenden Handlungsbedarf gibt es bei der Bankgesellschaft.
Der Senat arbeitet auch an diesem schwierigen Thema. Wir führen Sondierungsgespräche und Verhandlungen. Wann es konkrete Ergebnisse gibt, kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls packen wir die Probleme zügig an.
Kann sich Berlin noch ein Prestigeprojekt wie eine erneute Olympiabewerbung leisten?
Die gescheiterte Olympiabewerbung war in der Tat ein Prestigeprojekt. Zur Zeit haben wir andere Sorgen als eine erneute Olympiabewerbung, etwa für das Jahr 2012. Aber eine Metropole wie Berlin kann natürlich immer Kandidat sein. Für 2016 schließe ich daher eine Bewerbung nicht aus, wenn man vorher die Chancen vernünftig geprüft hat. Dabei soll die Region einbezogen werden.
Wie machen sich denn Ihre grünen Partner im Senat?
Die Arbeitsatmosphäre ist wesentlich besser als in der großen Koalition.
Man hört von Koordinierungsschwierigkeiten.
Wissen Sie, gerade für neue Senatsmitglieder gibt es am Anfang Eingewöhnungsschwierigkeiten. Es ist doch ganz normal: Wenn man vorher in der Opposition war, muss man die Regierungsrolle erst einmal üben. Ich finde gut, dass die Grünen das jetzt probieren, dann geht es nach dem 21. Oktober umso besser.
Ihr Wahlprogramm verspricht Kürzungen, Kürzungen und nochmal Kürzungen. Kann man damit tatsächlich Wahlen gewinnen?
Wir benennen nicht nur notwendige Kürzungen, sondern setzen auch Schwerpunkte, etwa bei Bildung, Ausbildung und Hochschule. Aber die Zeiten sind vorbei, als in Wahlprogrammen allen alles versprochen wurde. Das nimmt einem heute doch kein Mensch mehr ab. Man gewinnt keine Wahlen mehr, indem man den Leuten Sand in die Augen streut. Jeder in Berlin weiß doch: Die Finanzkrise ist so enorm, dass es harte Einschnitte geben muss.
Wie Ihr Vorgänger hoffen auch Sie am Ende auf den Bund. Sie nennen es nur anders: Berlin-Pakt.
Auch dies ist ein Beispiel für Mentalitätswechsel: In der Vergangenheit wurde immer nur gesagt, gebt uns diese und jene Summe. Ich möchte stattdessen eine Diskussion führen mit der Bundesregierung, aber auch mit den anderen Bundesländern: Was bedeutet Hauptstadt für die Republik?
Bei jeder Gelegenheit versuche ich den Ministerpräsidenten klar zu machen, dass Berlin bestimmte Aufgaben nicht allein wahrnehmen kann: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz etwa oder die Museumsinsel, aber auch Sicherheitsfragen. Darüber führen wir einen Dialog.
Viele haben die Ablösung Diepgens begrüßt, sind aber besorgt, weil sie mit den Stimmen der PDS geschah.
Elf Jahre nach der Wiedervereinigung der Stadt müssen wir doch zur Kenntnis nehmen: Die PDS ist mit erheblichem Wählerreservoir im Ostteil und entsprechender Repräsentanz im Abgeordnetenhaus natürlich ein politischer Faktor in Berlin. Ich kann verstehen, wenn Menschen, die in Ost und West unter der SED gelitten haben, die PDS auch heute noch schlimm finden. Diese persönliche Betroffenheit der Opfer ist aber etwas völlig anderes als die ideologische Betroffenheit der Konservativen.
Wenn man sich die aktuellen Wahlprogramme von SPD und PDS anschaut, fragt man sich, wann sich die Berliner Landesverbände wiedervereinigen.
(lacht) Wenn vernünftige Mitglieder der PDS ihre Partei verlassen wollen – wofür ich Verständnis hätte –, dann wird die SPD deren Aufnahme wohlwollend prüfen.
Warum soll jemand wechseln, wenn die Programme doch sowieso ähnlich sind ...
Wesentlich ist doch nicht ein Programm, sondern wie die praktische Politik aussehen wird. Wenn die PDS Verantwortung übernehmen will, muss sie sich von ihrer Rolle als Fundamentalopposition verabschieden und sich Realitäten stellen. Und zwar in allen Politikfeldern! Regierungsverantwortung bedeutet, dass man auch Dinge tun muss, die nicht der reinen Lehre entsprechen. Wenn Herr Gysi sich einer so verstandenen Regierungsverantwortung stellen will, wird er mit seiner PDS noch sehr viel Arbeit haben.
Sie haben die Möglichkeit einer rot-roten Koalition doch erst ins Spiel gebracht.
Wir brauchten Optionen und jetzt haben wir Optionen. Ich kämpfe dafür, dass die SPD stärkste Partei wird, und wünsche mir, dass es mit den Grünen gemeinsam reicht. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Danach wird verhandelt, mit wem wir so viel wie möglich an vernünftiger Politik für die Stadt umsetzen können. Eins ist klar: Möglichkeiten sind noch keine Abschlüsse!
Der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf möchte gerne eine rot-rote Koalition ohne ein grünes Feigenblatt.
Die PDS verliert die Realitäten aus dem Blick. Herr Gysi sieht sich schon als Regierender Bürgermeister. Und Herr Wolf tut so, als könne die PDS irgendwelche Bedingungen stellen. Von beidem ist die PDS weit entfernt.
Im Moment stiehlt Ihnen Gregor Gysi ein wenig die Schau. Im Oktober wird er Ihnen wichtige Prozente stehlen. Fürchten Sie nicht, dass er Ihnen am Ende auch den Posten des Regierenden Bürgermeisters stiehlt?
Überhaupt nicht. Die PDS wird unter 20 Prozent landen. Es ist ja niemandem verwehrt, Träume zu haben. Aber Herr Gysi sollte sich darauf besinnen, was er tatsächlich erreichen kann.
Gesetzt den Fall, die PDS überholt die SPD. Wählen Sie dann Gregor Gysi zum Regierenden Bürgermeister?
Natürlich nicht. Aber das ist wirklich eine sehr, sehr theoretische Frage.
Dann müssten sie wieder mit der ungeliebten CDU koalieren.
Nein. In so einem Fall würde sich die SPD gar nicht an der Regierung beteiligen.
Ihren allgegenwärtigen Spruch „Und das ist auch gut so“ können Sie doch bestimmt schon nicht mehr hören.
Es ist doch nett, wie die Leute ihn verwenden. Neulich wurde er mir sogar von Hertha-Fans zugerufen. Mich freut diese Art der Sympathie.
Ihre Kampagne arbeitet sehr stark mit diesem Satz. Leisten Sie nicht damit dem Eindruck Vorschub, Sie benutzten Ihr Coming-out, um sich bekannt zu machen?
Nein. Ich habe diesen Ausspruch nicht kalkuliert, er kam quasi aus dem Bauch. Hätte ich ihn geplant, würde er wohl nicht so eine Wirkung entfalten. Aber nun ist er als geflügeltes Wort in der Welt – und das ist auch gut so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen