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Mit der Axt durch die Justiz

Ein willfähriger Minister und willfährige Abgeordnete: Der Angeklagte Berlusconi nimmt die Gerichte in die Zange

aus Rom MICHAEL BRAUN

Sivilo Berlusconi kann sich über die Frage nur wundern: Nein, er denke überhaupt nicht daran, Justizminister Roberto Castelli zu entlassen, bloß weil der sich mit den Mailänder Staatsanwälten und der Zunft der Richter überhaupt überworfen habe. Und Silvio Berlusconi hat natürlich recht, wie immer: In der Tat wäre es bizarr, wenn ausgerechnet Abscheu gegen Staatsanwälte für einen Berlusconi-Minister zum Stolperstein werden sollte.

Schließlich teilt der Dienstherr des Ministers dessen Allergie, spätestens seit 1993, seit dem Beginn der ersten Ermittlungsverfahren gegen ihn. Derzeit leidet er mal wieder unter einem akuten allergischen Anfall. Ein Mailänder Gericht verhandelt nämlich unverdrossen weiter gegen „Berlusconi und andere“. Dabei geht es um den unschönen Vorwurf der Richterbestechung.

Aufgerollt wird im „SME-Prozess“ ein Wirtschaftskrimi aus den Achtzigerjahren. Die SME war die Lebensmittelsparte der staatlichen Industrieholding IRI. Der damalige IRI-Chef Romano Prodi wollte mit dem Verkauf des defizitären Tomaten- und Panettone-Ladens erstmals ein staatliches Unternehmen privatisieren. Ein Käufer war bald gefunden – der Großindustrielle Carlo De Benedetti. Dem damaligen Regierungschef Bettino Craxi aber war De Benedetti als „Kommunistenfreund“ suspekt. Craxi habe deshalb – dies der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – die befreundete Unternehmerseilschaft Barilla-Ferrero-Berlusconi mobilisiert, damit sie mit einem konkurrierenden Scheingebot den Verkauf an De Benedetti blockiere. So kam es; De Benedetti aber klagte auf Einhaltung des schon mit der IRI aufgesetzten Vertrages. Den Prozess verlor er – weil Berlusconi und seine Partner die Richter geschmiert hätten. So lautet die Anklage.

Berlusconi hat diese wie alle anderen über die Jahre gegen ihn erhobenen Vorwürfe immer als haltlos bezeichnet. Dennoch kann er dem Fortgang des Verfahrens nichts abgewinnen. Er verteidigt sich nicht im Prozess, sondern gegen den Prozess. Darin hat er Übung. Seine Anwälte verstehen es, mit immer neuen Befangenheits-, Unzulässigkeits- und Ablehnungsanträgen Verfahren oft jahrelang hinzuziehen. Das Spiel lohnt sich. Berlusconi behauptet gern, nie sei er in letzter Instanz verurteilt worden; die schließlich erfolgten Freisprüche bewiesen, dass er vollkommen unschuldig sei. Seine Wähler nehmen ihm das ab. Aber so stimmt es nicht: Diverse Verfahren erledigten sich nicht durch Freispruch, sondern schlicht wegen Verjährung.

Und um die noch laufenden Prozesse kann Berlusconi sich mit der geballten Macht des Regierungschefs kümmern, der eine satte Parlamentsmehrheit hinter sich weiß. Eine fachlich hoch kompetente Mehrheit: Unter den Deputierten und Senatoren seiner Partei „Forza Italia“ finden sich über 80 Rechtsanwälte; 24 von ihnen waren direkt für Berlusconi, seine Firmen und seine engsten Mitarbeiter tätig. Manche sind es noch. Sie ziehen schöne Synergieeffekte aus der Doppelrolle. So stellte Anwalt Niccolò Ghedini im SME-Prozess am 29. Dezember wieder einmal einen Ablehnungsantrag. Nach dessen Ablehnung ließ Ghedini das Gericht wissen, er werde sich ihm nun als Abgeordneter widmen: mittels parlamentarischer Anfrage an den Justizminister.

Nebenher schreibt Berlusconis Anwaltskollegium mit Abgeordnetenmandat sich die Gesetze so zurecht, dass sie in die Verteidigungsstrategie passen: Mit einem Federstrich wurde gleich nach Regierungsübernahme der Straftatbestand Bilanzfälschung in ein bloßes Bußgeldvergehen umgewandelt. Schön für Berlusconi: Gleich drei seiner Verfahren stehen vor der Einstellung. Dann nutzten Berlusconis Parlamentarier die Ratifizierung des Rechtshilfeabkommens mit der Schweiz, um formale Fallstricke auszulegen. So sollen Schweizer Bankdokumente schon beim Fehlen eines Beglaubigungsstempel nicht prozesstauglich sein. Solche Anträge hatten Berlusconis Anwälte mehrfach in Prozessen gestellt – erfolglos.

Und für Fälle, in denen Gesetzesänderungen nicht reichten, war ja noch der Justizminister da, der Lega-Nord-Mann Roberto Castelli. Mit der Axt bewaffnet habe er seinen Dienst im Ministerium angetreten, rühmt er sich, und 50 der 52 Beamten der Leitungsebene versetzt.

Auch im Mailänder Prozess funkte Castelli dazwischen. Am 31. Dezember ordneten seine Beamten per Fax die sofortige Versetzung eines Richters der gegen Berlusconi verhandelnden Kammer an. Die Folge wäre der sofortige Prozessstopp gewesen – die Neuauflage hätte zwei bis drei Jahre Zeitgewinn in Richtung Verjährung bedeutet. Das Appellationsgericht ordnete den versetzten Richter jedoch wieder zum alten Prozess ab. Nun klagen Berlusconis Anwälte vor dem Verwaltungsgericht – viele Wege führen zur Prozessabwürgung.

Den Königsweg kennt der Justizminister: Er plant eine Justizreform, die engültig mit der Unabhängigkeit der Staatsanwälte Schluss macht. Der Exekutive gegenüber weisungsgebundene Staatsanwaltschaften – das wäre die Verwirklichung des Berlusconi-Traums vom definitiven Ende unliebsamer Ermittlungen.

Zugleich holzt Castelli weiter mit der Axt. Dem Mailänder Oberstaatsanwalt Gherardo D’Ambrosio drohte er ein Disziplinarverfahren an, weil der mit den Versuchen, die Prozesse gegen Berlusconi abzuwürgen, „die Nacht der Demokratie“ heraufziehen sah. Noch härter kommt es womöglich für Generalstaatsanwalt Francesco Borrelli. Der hatte die Zeremonie zur Eröffnung des Justizjahres für eine Philippika gegen die Behinderung der Justiz genutzt. Und er hatte der Regierung vorgeworfen, sie habe ausgerechnet einer gegen Berlusconi tätigen Staatsanwältin die Polizeieskorte entzogen. Das will Innenminister Claudio Scajola nicht auf sich sitzen lassen. Er hat Strafanzeige angekündigt. Wäre das eine Freude für Berlusconi: Ein Staatsanwalt auf der Angeklagtenbank!

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