: Die Kölner Seilschaft
aus Köln PASCAL BEUCKER, SEBASTIAN SEDLMAYR und FRANK ÜBERALL
Jochen Ott sieht übernächtigt und abgekämpft aus. In schönere, bessere Zeiten hatte der 27-Jährige die Kölner Genossen führen wollen. Seit seiner Wahl vor fast genau einem Jahr beschwor der bundesweit jüngste SPD-Unterbezirksvorsitzende unablässig den mit ihm verbundenen Neuanfang.
Nun hat ihn die Vergangenheit eingeholt. Tag für Tag muss er neue Hiobsbotschaften überbringen. Die bislang letzte: Nicht 340.000 Mark, wie bisher angenommen, sondern mindestens 511.000 Mark hat Ex-Ratsfraktionschef Norbert Rüther an seine Partei weitergeleitet. Nein, woher das Geld stamme, darüber habe er immer noch keine Informationen. Die Aufklärungsarbeit gehe unablässig weiter. „Alles muss auf den Tisch.“ Und Ott versucht, dabei die Fassung zu wahren. „Wir müssen warten, was die Prüfer noch herausfinden“, sagt er. „Ich wage da überhaupt keine Prognose.“
Die Sozialdemokratie in der Domstadt liegt am Boden. „Die Kölner SPD wird in den kommenden Monaten wohl durch ein tiefes Tal der Tränen gehen müssen“, prophezeit der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes seinen Genossen. Dabei hatten sie gerade erst begonnen, wieder den aufrechten Gang zu erlernen – nach der Katastrophe von 1999. Damals musste der Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, Klaus Heugel, wegen illegaler Aktiengeschäfte zurücktreten. Mitten im Wahlkampf stand die SPD ohne Kandidaten da, nach 43 Jahren musste sie die Macht im Rathaus abgeben.
Nie wieder, schworen sich die Genossen damals. Und nun das.
„Die Heugel-Affäre war anscheinend nur ein Vorbeben“, sagt ein resignierter SPD-Ratsherr. „Der Rüther-Skandal scheint sich zum echten Erdbeben auszuweiten.“ Zur heutigen Ratssitzung wird die SPD-Fraktion schon nicht mehr geschlossen antreten können. Gestern morgen um kurz nach acht betrat der bisherige Fraktionschef Rüther ein letztes Mal das Rathaus, um dem CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma offiziell die Niederlegung seines Mandats zu erklären.
Und noch ein Weiterer ist nicht mehr an Bord: Rüthers Vize Manfred Biciste. Am Dienstag erklärte der frühere SPD-Schatzmeister seinen Rücktritt. Biciste musste zugeben, am Tag zuvor nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Rüther hatte ihm zwischen 1994 und 1999 doch nicht nur einzelne Beträge „in einer Größenordnung von jeweils knapp unter 20.000 Mark“ übergeben, sondern Tranchen zwischen 75.000 und 100.000 Mark – Spenden also, die nach dem Parteiengesetz veröffentlicht werden müssen. Biciste hatte sie klein gestückelt, damit es nicht auffällt. Deshalb stellte er 38 verdienten Parteimitgliedern und vier ihrer Ehegatten steuerlich absetzbare Spendenquittungen aus – über Spenden, die sie nie geleistet hatten. Darüber, welcher Spender die SPD so großzügig beglückte, will Biciste weiterhin nichts wissen.
Wer heute auf den sozialdemokratischen Ratsbänken sonst noch fehlen wird, ist nicht abzusehen. Die Spendenquittungsnehmer hält Biciste geheim. Doch der Druck auf sie wächst von Stunde zu Stunde. Der nordrhein-westfälische Parteichef Harald Schartau hat sie ultimativ aufgefordert, sich zu offenbaren und die nötigen Konsequenzen zu ziehen. „Es kann niemand die SPD nach außen vertreten, der den Staat hinters Licht führt“, so Schartau. Das Präsidium der Landespartei werde alle Mandatsträger der Kölner SPD fragen, ob sie unrechtmäßige Spendenquittungen bekommen hätten.
Immer noch ist unbekannt, wer außer Rüther von Zahlungen im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage gewusst oder von ihnen profitiert hat. Nach Feststellungen der Staatsanwaltschaft sollen mehr als 14,5 Millionen Mark an Schmiergeldern geflossen sein – und bei den bisher bekannten Zahlungen an die SPD geht es „nur“ um rund eine halbe Million Mark. Man kann sich leicht ausmalen, was die weiteren Ermittlungen im Kölner Rathaus noch auslösen könnten. Deshalb zittern viele vor Rüthers Gang zur Staatsanwaltschaft. Der einflussreiche Strippenzieher hat in jedem Klüngelkreis gesessen, in dem die Geschäfte der Stadt gemacht wurden.
Nicht nur der politische Schaden für die gebeutelten Genossen dürfte immens sein. Hinzu kommen hohe Strafzahlungen wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz. „Wenn Thierse das Dreifache des hinterzogenen Geldes als Strafe verhängt, übersteigt das die jährlichen – legalen – Einkommen der Kölner SPD“, sagt der Kölner Parteienforscher Erwin K. Scheuch. Die Bundespartei hat bereits angekündigt, dass der Unterbezirk für den Schaden aufkommen muss. „Dann wäre die Kölner SPD pleite, wäre sie ein privates Unternehmen“, so Scheuch.
Noch hat Kölns SPD-Kassierer Martin Börschel allerdings Hoffnung. „Wenn sich Norbert Rüther jetzt nicht wie Helmut Kohl verhält, sondern die Namen der bisher anonymen Spender nennt, stellt sich das Problem rechtlich anders dar.“ Im Klartext: Dann wird es für die Partei billiger. Deshalb habe die Partei, so Börschel, „Herrn Rüther bereits aufgefordert, alle Namen zu offenbaren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen