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Im Zeichen des Sarrazin

Nach den ersten 100 Tagen von Rot-Rot stellt sich die Frage: Ist Klaus Wowereit jenseits des regierenden Bussibärs? Anfängliche Fundamentalablehnung der SPD-PDS-Koalition ist sachlicher Kritik gewichen – es bietet sich ausreichend Angriffsfläche

von STEFAN ALBERTI

Über den Fußballbundestrainer Uli Stielike hieß es wegen seiner Ausdrucksweise, bei seinem früheren Wirken in Genf sei dort wohl die Diplomatenschule geschlossen gewesen. Die ersten 100 Tage des rot-roten Senats hat einer geprägt, der ein ähnlicher Freund des offenen Wortes ist, der die Berliner Schuldenlage „abartig“ nennt und sich an den Trainingsanzügen seiner Einwohner reibt. Nicht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verkörpert bislang die Regierungspolitik, sondern sein SPD-Genosse, der Finanzsenator Thilo Sarrazin. Den Haushaltsentwurf und die mühsam erstrittene Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft nennen SPD und PDS als zentrale Projekte ihrer ersten gemeinsamen dreieinhalb Monate – und sie sind Sarrazins Werk. Die anfangs rein ideologische Kritik an Rot-Rot ist währenddessen einer fast reinen Sachopposition gewichen.

Das sei doch geschickte Aufgabenteilung, ist aus dem Roten Rathaus zu hören. Good guy, bad guy, das alte Polizistenspiel. Wowereit weiter als der regierende Bussibär, den er schon seit zehn Monaten gibt, Sarrazin als der gewollte Buhmann für alle Kritik an den Streichplänen – „den haben wir doch nicht für den diplomatischen Dienst geholt“, heißt es.

Das Spiel kann nicht funktionieren. Die Finanzlage wird sich mittelfristig nicht ändern, Gelegenheiten für Schönwettermeldungen werden sich wenige bieten. Und falls doch mal eine Unternehmensansiedlung oder Kulturförderung vom Bund zu feiern sein sollte, werden die PDS-Fachsenatoren Gregor Gysi und Thomas Flierl das für sich beanspruchen. Will Wowereit weiter nur den lieben Regierenden geben und Sarrazin die Drecksarbeit überlassen, wird er auf Jahre im Hintergrund bleiben. In seiner schwachen Regierungserklärung ist er jegliche Vision schuldig geblieben, die dem Sparkurs einen Unterbau jenseits von nackten Zahlen geben könnte.

100 Tage Rot-Rot haben zudem gezeigt, dass er mit seinem Finanzsenator nicht spielen kann. Sarrazin macht Ernst als der Sanierer, als den ihn die SPD geholt hat. Er will tatsächlich die versprochene Konsolidierung, jenseits von Parteibetulichkeiten, er mag die halbgaren Sparbemühungen nicht wie Wowereit schönreden. Unzufrieden sei er mit dem Ergebnis, ließ er in einer schier einmaligen Fußnote unter dem Haushaltsentwurf festhalten.

Das passt den Koalitionären nicht. SPD-Chef Peter Strieder spricht von „Drohgebärden“ Sarrazins und macht ihn für das schlechte Verhältnis zu den Gewerkschaften verantwortlich. PDS-Fraktionschef Harald Wolf spricht von wenig hilfreichen Äußerungen.

Das schlägt auf die Stimmung. Die SPD müht sich zwar, von einer wesentlich besseren Atmosphäre als in der schwarz-roten Koalition mit der CDU zu sprechen, PDS-Mann Flierl erkannte stattdessen bei den Haushaltsverhandlungen eine „Atmosphäre panischer Heiterkeit“.

Doch um ein Stück Senatsalltag mitzubekommen, braucht es nicht die dezenten Hinweise in Hintergrundgesprächen. Die Verstimmung lässt sich schon in öffentlichen Parlamentssitzungen ablesen. Sarrazin sitzt dort in beredtem Schweigen neben PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, die sich mit allen Mitteln gegen Sarrazins Privatisierungspläne für den Klinikkonzern Vivantes stemmt, die verzweifelt, wenn er per Bundesrat an der Sozialhilfe knapsen will. Schulter an Schulter sitzen sie da, haben sich nichts zu sagen, vermeiden es, sich anzuschauen. Die Plätze ergaben sich bei der Senatswahl – da kannte man sich noch nicht. Jetzt noch zu tauschen, wäre zu auffällig. „Die hat echt die Jokerkarte gezogen“, sagt ein Abgeordneter grinsend.

Sie wird es tapfer weiter tragen müssen, auch wenn er dauerhaft eine Reizfigur im rot-roten Gefüge ist. Sarrazins Rhetorikbruder im Geiste, Fußballtrainer Stielike, musste zwar nach ein paar Monaten gehen, weil sein schmuseweicher Chef Erich Ribbeck, quasi der Fußball-Wowereit, die schroffen, aber ehrlichen Worte nicht mehr hören mochte. Wowereit kann sich das nicht leisten. Er hat den Sparkurs als das zentrale Projekt von Rot-Rot beschworen, und Sarrazin ist der Inbegriff dieses Kurses.

Ideologische Kritik weitgehend verschwunden

Schleichend hat die Koalition jenseits aller Finanzprobleme einen ganz anderen, wenn auch zweifelhaften Erfolg erzielen können. Nach 100 Tagen ist kaum noch ideologische Fundamentalkritik an Rot-Rot zu hören. Die Vorwürfe aus der Opposition sind weitgehend sachlich-technisch geworden. Hinweise auf die Hinterlassenschaft der SED wirken bemüht. Eine echte Ausnahme war nur der jüngste Streit über die Louise-Schroeder-Medaille, bei dem der designierte CDU-Chef Stölzl gegen die „PDS als eigentliche SED“ ausholte. Die SPD hat wegen ihrer Liasion mit den Postkommunisten nach eigener Zählung rund 400 Mitglieder verloren, was bei insgesamt 20.000 Sozis kaum ins Gewicht fällt.

Rot-Rot ist ein Stück weit Alltag geworden, und das war vor 100 Tagen nicht absehbar. „Schaut bitte nicht auf diese Stadt“, schrieb der Tagesspiegel damals über das Bündnis. SPD-Landeschef Peter Strieder, der die Koalition zimmerte, wurde bei der Senatswahl aus dem eigenen Lager abgestraft, fiel im ersten Anlauf durch und bekam erst im zweiten die nötige Mehrheit. Fast täglich formierten sich Demos gegen die angeblich ideologisch motivierte Abwicklung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin, während die Morgenpost eine Unterschriftenaktion inszenierte und regelmäßig den Pegelstand des Protests verkündete. Boulevardblätter pickten sich aus den Streichplänen die Reiterstaffel der Polizei heraus und sorgten dafür, dass ihre 44 Pferde bald einzeln bekannt waren. „Golan“, das war zeitweise nicht mehr die besetzte Höhe im Norden Israels, sondern der Name eines vom Pferdemetzger bedrohten Polizeigauls.

Heute trabt die Staffel beim Bundesgrenzschutz weiter, das Thema Universitätsklinikum beschäftigt auf sachlicher Ebene eine Expertenkommission, und in den Medien poltert allein B.Z.-Rechtsausleger Georg Gafron noch dauerhaft gegen einen „rot-dunkelroten Senat“. Dass die Ideologiekritik derart vereebt, ist für den Senat jedoch ein zweifelhafter Erfolg, weil er nicht allein mit einem „Jetzt isses eben so“ oder philosophisch mit der normativen Kraft des Faktischen zu begründen ist.

Denn jenseits aller Couleur und seines Sparprogramms bietet der Senat ausreichend anderweitige Kritikfläche – wie zuletzt bei der Sportpolitik. Binnen weniger Tage den Zuschlag für die Leichtathletik WM zu verpassen, bei der Pleite des traditionsreichen Sportfestes Istaf kein besseres Krisenmanagent zu betreiben und sich dann noch beim Medienzentrum der Fußball-WM 2006 von Franz Beckenbauer abwatschen zu lassen, das ließ sich nicht mehr als Kette unglücklicher Zufälle verkaufen. Eine Opposition, der sich solche Angriffsflächen bieten, braucht nicht mehr ideologische Grabenkämpfe zu bemühen.

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