: Spione mit kleinen Geschenken
Unsichtbare Computernetze überwachen die Kunden auch im Kaufhaus. Die Systeme heißen „Payback“ oder „Happy Digits“: Die elektronische Rabattmarke sammelt alle möglichen Daten über Kaufgewohnheiten und persönliche Vorlieben
von KONRAD LISCHKA
Umsonst ist nichts. 2.900 Euro muss man bei den Payback-Partnern ausgeben, um eine Funkmaus oder 29 Euro zu bekommen. Wozu also dieser Aufwand? Das hatte sich der Bielefelder Datenschutzverein Foebud auch gefragt und eine normale Payback-Rabattkarte so oft kopiert, dass etwa 1.500 Kunden unter derselben Nummer Punkte zugunsten des Vereins sammeln konnten.
Ein Glaubwürdigkeitstest, der inzwischen vor dem Gericht ausgetragen wird. Der Verein wirft Loyalty Partner vor, mit der Karte „personalisierte Daten zum Kaufverhalten“ der derzeit 17,5 Millionen Benutzer zu gewinnen, ohne sie ausreichend darüber zu informieren. Ein personalisiertes Profil von 1.500 Käufern ist sinnlos, und so wurde vergangenen Dezember Foebud die Payback-Karte tatsächlich gekündigt. Ob das rechtens war, soll nun das Amtsgericht München entscheiden. Überraschend wurde die Urteilsverkündung Anfang der Woche um einen Monat verschoben.
Sein wichtigstes Ziel hat der Datenschutzverein erreicht: Aufmerksamkeit für seine Kritik. Die Rabattprogramme selbst genießen die schon lange. Im Vorjahr ist die Anzahl der umlaufenden Kundenkarten um knapp ein Drittel auf 50 Millionen Stück gestiegen. Deutsche Telekom und Karstadt-Quelle bündeln derzeit ihre Bonusprogramme zum Angebot „HappyDigits“, von dem bis Jahresende 13 Millionen Karten ausgegeben werden sollen. „Wer anonym einkauft, hinterlässt in einem Geschäft nichts anderes als sein Geld“, erläutert Thilo Weichert, stellvertretender Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins das Motiv. „Daher wollen sie so viel persönliche Daten wie möglich ergattern. Der Köder dafür ist der Rabatt.“
Die ökonomische Vernunft muss dem Spieltrieb weichen: Bei HappyDigits gibt es für 2.040 Euro Ausgaben ein „Lego Team Telekom“ – mit Begleitfahrzeug. Dass es in Wirklichkeit darum geht, mehr über Kunden zu erfahren, bestreitet niemand. Die Payback-Sprecherin Andrea Schoeffner betont die Vorteile zielgerichteter Werbung.
Zentrale Kundendatei
Allerdings sind die bei solchen Programmen anfallenden Daten nicht nur dafür interessant. IT- und Marketing-Experten begeistern sich für den Begriff „Customer Relationship Management“ (CRM). Trotz international eher flauer Konjunktur wächst der Markt für CRM-Softwarelösungen je nach Studie um 15 bis 27 Prozent jährlich. Den Datenhunger dieser Systeme beschreibt Werner Sülzer vom großen CRM-Anbieter NCR Teradata so: „Alle operativen Daten müssen unternehmensweit in einer zentralen Instanz zur Verfügung stehen. Nur mit einer solchen einheitlichen Sicht auf die Kunden können sich Unternehmen zu kundenzentrierten Organisationen verändern.“
Was CRM-Systeme mit ihren Daten anfangen, dürfte die Fantasie jedes Rabattjägers übersteigen. „Mit ihrer Hilfe können umfassende Kundenprofile entstehen“, sagt der Bundesdatenschutzbeauftrage Joachim Jacobs. Alles legal, solange der Kunde der Auswertung seiner Daten zu Werbe- und Marketingzwecken zugestimmt hat. Nur ist es fast unmöglich, diese Zustimmung bei der Anmeldung zu verweigern. Lange Zeit galt bei Payback die ausdrückliche Zustimmung zu Marketingauswertung und gar zu Werbeanrufen automatisch mit der Anmeldung als gegeben. Einem Urteil des Münchner Landgerichts ist zu verdanken, dass Payback-Kunden wenigstens der SMS-Werbung ausdrücklich zustimmen müssen. Besserung verspricht Andrea Schoeffner für den Herbst: Dann soll „aktive Zustimmung“ zu allen Werbe- und Marketingzwecken kommen – und Payback würde seinem Konkurrenten HappyDigits weit voraus sein. Wer hier bei der Anmeldung eine Nutzung seiner Daten zu Marktforschung und Werbung ablehnen will, muss ihr erst zustimmen, um sie dann zu widerrufen – per Brief oder Anruf zu 12 Cent je Minute. Dafür reagiert HappyDigits schnell und bestätigt die Zurkenntnisname des Widerrufs. Payback begnügt sich eine Woche nach dem Widerruf mit einem nichtsagenden Standardbrief.
Zwar darf Payback seine Daten nicht an dritte Unternehmen verkaufen. Das verbieten Datenschutzgesetz und Wettbewerbslogik. Auch innerhalb des Payback-Systems haben nicht alle Unternehmen Zugriff auf die bei anderen angefallenen Kundendaten. Aber Payback weiß mehr: „Das System ist in jedem Fall geeignet, für die jeweilige Firma ein präzises, produktbezogenes Kauf- bzw. Konsumprofil zu erstellen“, hat Datenschützer Weichert festgestellt. Und sein Amtskollege Jacobs ergänzt: „Sie können Abfragen nach bestimmten Segmentierungskriterien in Auftrag geben. Die sich hieraus ergebenden Adresslisten werden einem Treuhänder übermittelt, der diese Adressen mit den Mailings der Partnerunternehmen zusammenführt. Zusätzlich können die Partnerunternehmen Auswertungen in aggregierter Form anfordern.“
Automatisches Vorurteil
Eine mögliche Anwendung sind so genannte Reaktivierungsversuche: Wer für seine Samstagseinkäufe plötzlich nicht mehr zum Real-Markt fährt, bekommt vielleicht einen netten Brief samt Rabattangebot. Rena Tangens hat auch dabei Bedenken: „Die Information, ob ich für solche Rabattaktionen anfällig bin, sagt etwas über meinen Charakter aus.“ Loyalty Partner spricht selbst davon, „gute Kunden“ zu binden, und man denkt jetzt schon über ein Sonderprogramm im Stil der goldenen Kreditkarten nach.
Dazu muss ein „guter“ Kunde aber irgendwie definiert werden – für Ulrich Herrmann von der IBM-Unternehmensberatung eine „zentrale Frage“. Es geht dabei nicht nur um Umsatzhöhen: „Man muss erkennen, wer wirklich attraktiv ist. Das kann auch ein Student mit niedrigen Umsätzen sein, der aber kurz vor seinem Abschluss, dem ersten Job und einem Hausbau steht.“ Segmentierung nach A- bis D-Kunden sei in der Wirtschaft längst ein übliches Instrument, sagt Rita Tangens von Foebud: „Hier werden Verbraucher in Schubladen eines automatisierten Vorurteilsverfahrens gesteckt.“
Zu Bonitätsprofilen verdichtete individualisierte Kundendaten können über die positive Diskriminierung hinaus zu negativer führen: Wer viel verdient, bekommt Angebote über teure Sportwagen und exklusive Kreditkarten – wer wenig oder gar nichts verdient, vielleicht nicht einmal einen Mietwagen oder ein Girokonto. Unverblümt beschrieb Richard G. Barlow, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Softwareunternehmens Frequency Marketing, wie man mit solchen Leuten umgehen sollte: „Still aber effektiv heraushungern.“
Amerika ist mal wieder vorne. Bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus 2000 werteten Wahlkampfmanager mit dem Programm „Geovoter“ angekaufte Daten aus. In Salem, Oregon, schrieben die Republikaner alle Besitzer von Geländewagen an, nachdem der Kandidat der Demokraten eine Sonderabgabe für Geländewagen gefordert hatte. Bei den Demokraten befand der Leiter des PR-Unternehmens „Clinton Group“ kühl: „Ich überlasse die Datenschutzdebatte den Intellektuellen.“
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