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Aufgeklärte Islamophobie

Islam in Deutschland: Muslime geraten durch die Rasterfahndung pauschal in Terrorismusverdacht. Doch es gibt auch Zeichen der Annäherung: Türkische Gemeinden öffnen ihre Moscheen

von WOLFGANG GAST

Der erste Gedanke, den Nadeem Elyas am frühen Nachmittag des 11. September 2001 hatte, war: Wie kann ein Mensch nur so viel Brutalität an den Tag legen? Das Fernsehen übertrug gerade die Bilder von den Terroranschlägen in New York und Washington.

Elyas ergriff ein Gefühl von Unsicherheit und Hilflosigkeit. Als zweiter Gedanken schoss dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) durch den Kopf: Werden wir Muslime jetzt einer ähnlichen Hetze ausgesetzt sein wie damals während des Golfkriegs?

Zwölf Monate später. Mohammed Herzog bekommt keine Morddrohungen mehr. „Die Lage ist ruhig“, sagt der Berliner, der vor 23 Jahren in Jordanien zum Islam übertrat. Jetzt kann sich der Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime wieder zu seiner Religion bekennen.

Die Muslime ziehen sichzurück und kapseln sich ein

In den ersten Tagen nach den Anschlägen sah das anders aus. Trotz einer klaren Distanzierung vom Terrorismus entluden sich die Emotionen gegen die Muslime in Deutschland. Hunderte E-Mails, Anrufe und Briefe mit Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen gingen beim Zentralrat und bei vielen anderen islamischen Organisationen ein. Muslimische Schülerinnen und Schüler wurden auf den Schulhöfen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln belästigt; besonders Frauen mit Kopftüchern waren das Ziel solcher Attacken.

Zeitweilig mussten zwei Leibwächter den Frührentner Herzog schützen. Anderen erging es ebenso. Nach mehreren Mord- und Branddrohungen wurden das Büro und das Haus des Zentralratsvorsitzenden Nadeem Elyas unter Polizeischutz gestellt.

Auch wenn Ausländergruppen ein Jahr nach den Anschlägen kaum mehr offene Anfeindungen gegen Araber in Deutschland bemerken, das Leben für die rund 3,2 Millionen Muslime hat sich verändert. „Die Unsicherheit der Muslime hat zugenommen“, sagt Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen. Viele Türken hätten sich zurückgezogen, weil sie der Unterstützung muslimischer Extremisten verdächtigt worden seien. Von der Mehrheit der Deutschen argwöhnisch betrachtet, kapseln sich Muslime ein.

Neu war der Pauschalverdacht des „islamischen Fundamentalismus“ gegen die Muslime und ihren Organisationen nicht. Doch der 11. September hatte für Migranten wie für die islamische Gemeinschaft gravierende Folgen – vor allem durch die in aller Eile vom Gesetzgeber verabschiedeten „Sicherheitspakete“. Ein Großteil der darin verabschiedeten repressiven Regelungen war bereits lange vor den Attentaten in New York und Washington als Forderungen im politischen Diskurs. Doch mit dem 11. September gewannen sie ein unerwartetes Maß der Verschärfung und Beschleunigung. Als besonders problematisch erwies sich die Rasterfahndung.

„Bist du Muslim, landest du beim Kriminalamt“

Die Abschlussklausuren stehen vor der Tür – und dann dies. Dem Studenten Majid flattert ein Brief der Hamburger Kriminalpolizei ins Haus. Er sei ins Raster gefallen, schreiben die Beamten, er solle ins Präsidium kommen. „Ich war nur genervt und wollte das schnell hinter mich bringen“, erinnert sich Majid. Weil er dachte, er habe nichts zu verbergen, geht er ohne Anwalt zur Polizei.

„Im Nachhinein habe ich das Gefühl, ich hab zu viel gesagt“, sagt Majid. Seine Mappe mit privaten Unterlagen und Briefen sei ihm einfach aus der Hand genommen worden. „Die haben kopiert, was sie wollten.“ Über „alles“ sei er gefragt worden: ob er eine Freundin hat, wo sie wohnt, ob er betet und zur Moschee geht. Ob er in Vereinen oder politisch aktiv ist. Letzteres trifft zu. Der gebürtige Marokkaner hat eine Veranstaltung zu Palästina organisiert und ist als Studentenvertreter aktiv. Majid: „Es reicht, dass du Muslim bist, und du landest beim Kriminalamt. Das finde ich beleidigend.“

Student an einer technischen Fakultät, Herkunftsland Nordafrika, Naher oder Mittlerer Osten, allein stehend, vermutlich islamischer Religion, finanziell unabhängig – das sind die Hauptkriterien der Rasterfahndung, die in beinahe allen Bundesländern unmittelbar nach dem 11. September eingeleitet wird. An der Technischen Universität Hamburg-Harburg hatten die Todespiloten vom 11. September 2001, Mohammed Atta und Marwan al-Shehhi, studiert. Und an der Hamburger Fachhochschule war der mutmaßliche Terrorpilot Ziad Jarrah eingeschrieben.

Rasterfahndung ergibt tausende Verdächtige

Das Ausmaß der Rasterfahndung ist immens. Ein Jahr nach den Anschlägen ist die erste Phase der Suche nach den so genannten Schläfern weitgehend abgeschlossen. Nun wird den einzelnen „ausgerasterten“ Fällen mit den klassischen Mitteln der Kriminalpolizei nachgegangen. Es wird eine Sisyphusarbeit. Das Bundesland Bayern nennt rund 2.000 „Gerasterte“, die man sich, so das Innenministerium, „jetzt genauer anschauen“ müsse.

Aus Sachsen-Anhalt werden Angaben zu 1.292 Personen an das Bundeskriminalamt zur weiteren Auswertung übermittelt, nachdem das dortige Landeskriminalamt mehr als 150.000 Informationen aus Meldeämtern, Universitäten und anderen Quellen abgeglichen hat. Auch das Land Berlin meldet 109 „als kritisch anzusehende Datensätze“, die beim elektronischen Abgleich der Daten von ausländischen Studenten angefallen sind. „Etwa 58.000 Daten sind abgeglichen worden“, teilt Staatssekretär Lutz Diwell (SPD) im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit. Nach einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung wird die Rasterfahndung in der Hauptstadt zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib oder Freiheit einer Person“ für rechtlich zulässig erklärt. Zu ähnlichen Verfahren kommt es auch in anderen Bundesländern.

Während Menschenrechtsgruppen Vorurteile gegen Muslime auf dem Vormarsch sehen, boomt das Interesse am Islam. Ähnlich wie nach dem Golfkrieg 1991 verdoppelten sich nach dem 11. September die Zulassungszahlen im Fach Islamkunde an vielen Universitäten. „Das Interesse am Islam steigt stark“, sagt Stefan Reichmuth, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bochum. Dort drängen sich 60 Studenten in Anfängerkursen für Arabisch. Der Dialog der Religionen sei intensiver geworden, sagt auch Faruk Sen vom Zentrum für Türkeistudien. Die Türken hätten ihre Moscheen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

„Die Leute beschäftigen sich ernsthafter mit dem Islam“, sagt Reichmuth, der mit seinen Studenten die Videobotschaften des mutmaßlichen Terroristenanführers Ussama Bin Laden und dessen Netzwerks al-Qaida auf Arabisch analysiert. Mit einem dauerhaften Boom rechnet er aber nicht. „Arabisch lernen ist mit Hürden verbunden.“

Die Wahrnehmung der Muslime wird vor allem durch die Medien beeinflusst. Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September beginnen Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen, Erklärungen für die Vorgänge im „Islam“ zu suchen. Die meisten Wochenzeitungen und -zeitschriften wie Spiegel, Stern oder Focus widmen der „Weltmacht Islam“ Titelgeschichten.

Der Islam wird in der Regel auf den Fundamentalismus reduziert

Wertet man die Literatur aus, die sich in den vergangenen Jahren kritisch mit dem Islambild deutscher Medien beschäftigt hat, werden nach Ansicht des Erfurter Politikprofessors Kai Hafez folgende Punkte beanstandet:

– Das Interesse für den Islam beschränkt sich regelmäßig auf den „politischen Islam“; gerade so, als sei der Islam eher eine politische Ideologie als eine Religion

– Der Islam wird in der Regel auf den Fundamentalismus reduziert; reform- oder volksislamische Strömungen entgehen den Medien.

– Es wird zu wenig zwischen gewaltbereitem und gewaltlosem Islam unterschieden; mehr als sechzig Prozent der Islamberichte der wichtigen Printmedien nennen den Islam nur in Zusammenhang mit Gewaltereignissen.

– Fundamentalismus und Gewalt werden aus ihrem Kontext gerissen.

In der Islamberichterstattung nach dem 11. September sieht Hafez vor dem Hintergrund dieser „klassischen“ Kritikpunkte jedoch einige Fortschritte. Anders als bei früheren Krisen (Rushdie-Affäre, Algerienkonflikt, Golfkrieg) bemühen sich viele deutsche Medien um eine deutlichere Trennung zwischen dem „Islam“ und der Mehrzahl der friedlichen Muslime einerseits und gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits. Eine neue Generation von Journalisten, die mit der Kritik an dem häufig verzerrten Islam- und Orientbild vieler Medien aufgewachsen ist, scheint sich heute stärker durchzusetzen – „aber der Weg zu einer ausgewogenen Sicht ist dennoch weit“, sagt Hafez, der gleichzeitig Mitarbeiter des Deutschen Orientinstitutes in Hamburg ist. Zwar sei die mögliche Mitverantwortung der Medien für die Angst vor dem Islam, die bis zu 80 Prozent der Deutschen in Umfragen äußern, schwer nachweisbar, aber der Zusammenhang scheine doch plausibel.

Bis zu 80 Prozent der Deutschen haben Angst vor dem Islam

Nicht zuletzt, so Hafez, leisten auch scheinbar aufgeklärte Journalisten dem Islam eine Bärendienst: Indem sie ihn überhaupt als zentralen Ankerpunkt zum Verständnis des Phänomens Terrorismus heranziehen, statt nach den komplexen politischen und gesellschaftlichen Ursachen (etwa dem Zerfall der staatlichen Gewaltmonopole im Nahen und Mittleren Osten) zu forschen. Das Urteil des Experten über den Umgang deutscher Medien mit dem Islam nach dem 11. September: In seiner neuen Mischung aus Differenzierung und struktureller Fehleinschätzung erweckt der Umgang der Medien den Eindruck einer „aufgeklärten Islamophobie“.

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