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Arbeitsbedingungen in EuropaLohnsklaverei ist normal

Schwere Ausbeutung von Arbeitskräften ist in der EU weit verbreitet: Der Lohn liegt zum Teil unter einem Euro pro Stunde. Das Ausmaß der Zustände ist unklar.

Arbeiterinnen in einem Restaurant in Lissabon. Wieviel sie wohl verdienen? Foto: ap

Brüssel dpa | Hungerlohn, Pass einkassiert, von der Außenwelt abgeschnitten: Schwere Ausbeutung von Arbeitskräften ist nach einem EU-Bericht in einigen Wirtschaftszweigen weit verbreitet. Die EU-Grundrechteagentur (FRA) stützt sich bei dieser Einschätzung unter anderem auf rund 600 Gespräche mit Gewerkschaftern, Polizisten oder Mitarbeitern von Aufsichtsbehörden. „Ausländische Arbeitnehmer haben in der EU ein ernsthaftes Risiko, ein Opfer von Arbeitsausbeutung zu werden“, sagte Blanca Tapia von der FRA.

Jeder fünfte Gesprächspartner traf demnach mindestens zweimal pro Woche auf einen solchen Fall, heißt es in der am Dienstag in Brüssel veröffentlichten Untersuchung. Zum Teil verdienten die Betroffenen nur einen Euro pro Stunde oder weniger, arbeiteten an sechs bis sieben Wochentagen und hätten keinen Vertrag.

Eine klare Definition ist indes schwierig. “Das Projekt hat sich nur mit jenen Formen der Arbeitsausbeutung befasst, die strafrechtlich verfolgt werden können“, sagte Albin Dearing von der FRA. Dabei sei die rechtliche Situation unter den EU-Ländern aber unterschiedlich. In Polen beispielsweise gelten landwirtschaftliche Betriebe laut seiner Kollegin Tapia als Privatgrundstücke, relevante Kontrollen seien schwierig. „Sie können die Bedingungen für die Hühner kontrollieren, aber nicht für die Arbeiter“, beklagte Tapia.

Deutschland gehört laut Bericht zu gerade einmal vier Staaten innerhalb der Europäischen Union, die EU-Bürgern den gleichen Schutz gewähren wie Nicht-EU-Bürgern. Allerdings sei hierzulande unklar, welche Behörde gegen Arbeitsausbeutung vorgehen müsse, bemängelte Dearing. „Es fühlt sich keiner richtig zuständig.“ Die Verhältnisse in der Baubranche geben in Deutschland den Befragten zufolge am häufigsten Anlass zur Sorge. Die Einbindung von Subunternehmern erhöhe das Risiko, betonte Dearing.

„Verbrechen in Verborgenen“

Insgesamt sahen die Teilnehmer der Untersuchung im Bereich Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei das höchste Risiko für Ausbeutung, gefolgt von der Baubranche, dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der Beschäftigung im Haushalt und in der verarbeitenden Industrie.

Zahlen zum Ausmaß des Problems in Deutschland oder in der EU liefert die Studie nicht. „Diese Verbrechen geschehen im Verborgenen“, erklärte Tapia von der FRA. „Niemand kann diese Zahlen haben.“ Die Autoren hätten vielmehr nach Ursachen forschen oder Gruppen von Betroffenen identifizieren wollen.

Die Agentur pocht auf bessere Kontrollen und schärfere Gesetze. Vorbildlich seien die Instrumente im Kampf gegen den Menschenhandel. Denkbar sei auch ein staatlich überwachtes Siegel für Produkte, die ohne Ausbeutung entstanden sind.

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6 Kommentare

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  • Dass es so ist, wie hier beschrieben, spricht dafür, dass es so bleiben wird. Die Politiker planen doch die extremen Niedrigpreise schon mit ein, damit halten sie Lohnforderungen und Sozialleistungen unten.

     

    Die wissen doch genau, dass ein Kilo Tomaten für €1,49 oder €1,99 nicht mit fairen, nachhaltigen Löhnen anbietbar ist. Selbst wer im Bioladen kauft, kann sich nicht sicher sein, dass seine Bio-Tomaten nicht auch Ausbeuter-Tomaten sind.

     

    Letztlich ist der extreme Geiz und die staatlich-verordnete Verarmung in Deutschland (und anderen EU-Staaten) die Ursache für dieses Spiel. Beim Mindestlohn sind fast alle Agrarsaisonarbeiten ausgenommen - und dann beschweren sich teilweise noch diese 'Bauern'.

     

    P. S. Einfach mal selber die Erdbeeren ernten gehen. Auch Kartoffeln kann man selber ernten - eine dauerhafte Lösung wird das aber nicht sein oder werden.

  • Lohnausbeutung ist bis dato kein strafbewehrter Rechtsbegriff.

     

    Sollte sich ändern !

  • Es gibt zwar in fast allen Staaten Europas einen Mindestlohn, doch durch die Ausbeutung von Illegalen wird der zur Farce. So ernten in Spanien Afrikaner für 1 bis 2 Euro Erdbeeren und Tomaten. In Italien arbeiten arbeitslose Jugendliche laut einer ARD-Reportage ohne soziale Absicherung für 2 Euro/Std. schwarz.

    Und je mehr durch Mindestlöhne einfache Arbeiten uninteressant werden, desto mehr wird Illegale Ausbeutung zunehmen. Denn Kontrollen gibt es de facto nicht.

    • @Richard Kotlarski:

      Wie Sie korrekt bemerken, versuchen viele den Verbot, unter dem Mindestlohniveau zu arbeiten, zu umgehen. Was wollen Sie eigentlich, wenn Sie die fehlenden Kontrollen bemängeln, dass diese Leute und Ihre Familien verhungern (in Italien gibt es kein Harz IV o.ä.)?

  • ein "schönes" Beispiel ist die "Mall of shame" in Berlin.

    https://berlin.fau.org/kaempfe/mall-of-shame

     

    Nicht Gesetzte und kontrollen werden diese Zustände ändern, sondern kämpferische Gewerkschaften!!!

  • Seien wir doch ehrlich: Den Menschen, wovon es hier geht, graust es vor den Gewerkschaften, Aufsichtsbehörden & co., da diese ihnen nur die Arbeit verbieten können. Wer stattdessen davon profitiert sind die Bessergestellten, die sich von der lästigen Konkurrenz der Niedriglohnarbeiter befreien und sich somit höhere Preise für ihre Arbeit sichern können!