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Arbeitnehmervertreter gegen US-KonzernGewerkschaft will Amazon piesacken

Bislang konnte der Online-Händler verhindern, dass sich die Mitarbeiter organisieren. In den USA gibt es nun einen neuen, ernstzunehmenden Versuch.

Protest für Arbeitnehmervertretungen: „Die Gewerkschaft ist auf deiner Seite“ steht auf dem Schild Foto: AP

New York ap | Sobald Jennifer Bates ihren Platz in einem Warenlager von Amazon verlässt, tickt die Uhr. Sie hat exakt 30 Minuten, um sich in einer Kantine etwas zu essen zu holen. Dabei muss sie zweimal eine Halle durchqueren, die so groß ist wie 14 Fußballfelder. Die Zeit reicht daher nur für ein kaltes Sandwich aus einem Automaten. Wenn sie sich beeilt, ist sie pünktlich zurück. Wenn nicht, könnte Amazon ihr den Lohn kürzen – oder sie sogar feuern.

Es sind Belastungen wie diese, die zumindest einige Mitarbeiter des riesigen Versandhändlers nicht länger hinnehmen wollen. Trotz großer Risiken bieten sie der Konzernführung die Stirn. Ihr Ziel: eine gewerkschaftliche Organisierung. Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1995 gab es keine so umfassende Initiative wie aktuell in Bessemer im US-Staat Alabama. Bemerkenswert ist dabei auch, dass der rechtliche Rahmen für Gewerkschaften gerade in Alabama eigentlich ungünstig ist.

Für Amazon steht daher viel auf dem Spiel. Wenn die Bewegung in Bessemer ihr Ziel erreichen sollte, könnte dies eine Kettenreaktion im ganzen Land auslösen. Dann würden womöglich gleich Zehntausende Angestellte des zweitgrößten Arbeitgebers in den USA bessere Bedingungen und bessere Bezahlung fordern. In den vergangenen Jahren war es dem Unternehmen sonst gelungen, jeden Ansatz von gewerkschaftlicher Aktivität praktisch im Keim zu ersticken.

An dem Standort in Bessemer, einem Vorort der Großstadt Birmingham, sind etwa 6.000 Menschen beschäftigt. Ob es dort zu einer gewerkschaftlichen Organisierung kommt, hängt davon ab, ob eine Mehrheit in einer bis Ende März laufenden Briefwahl „Ja“ ankreuzen wird. Versuche von Amazon, die Abstimmung zu verzögern, scheiterten ebenso wie Bemühungen, auf persönliche Stimmabgabe zu bestehen – was angesichts der Pandemie komplizierter geworden wäre.

Gewerkschaft bringt nur Kosten

Das Unternehmen, dessen Umsätze und Gewinne seit Beginn der Coronaviruskrise in die Höhe geschnellt sind, argumentiert gegenüber den eigenen Mitarbeitern, dass eine Gewerkschaft ihnen kaum Vorteile bringen würde, wohl aber mit Kosten verbunden wäre. Die Amazon-Sprecherin Rachael Lighty sagt, die meisten Forderungen der Gewerkschaften würden ohnehin schon erfüllt: Sozialleistungen, Aufstiegschancen und Stundenlöhne ab 15 Dollar (12,40 Euro).

Bates bekommt 15,30 Dollar pro Stunde dafür, Kartons mit Waren auszupacken, die später an Kunden verschickt werden. Bei dem Job, mit dem sie im Mai begann, ist die 48-Jährige fast ununterbrochen auf den Beinen. Laut ihren Angaben wird nicht nur die Einhaltung der knappen Pausenzeiten genau überwacht, sondern auch jede Unterbrechung durch Toilettengänge oder wenn sie sich etwas zu Trinken oder ein neues Paar Handschuhe holt. Amazon bestreitet dies.

Im vergangenen Sommer wandten sich Bates und einige ihrer Kollegen jedenfalls an die US-Handelsgewerkschaft RWDSU (Retail, Wholesale and Department Store Union). „Sie werden eine Stimme sein, wenn wir keine haben“, hofft sie. Auf ihrem Weg hin zu mehr Mitsprache dürften die Amazon-Mitarbeiter aber noch viele weitere Hürden zu überwinden haben. „Die Vergangenheit lehrt uns, nicht optimistisch zu sein“, sagt Sylvia Allegretto von der University of California in Berkeley.

70 Prozent in Bessemer sind Afroamerikaner

Im Jahr 2014 hatten 30 Mitarbeiter eines Amazon-Lagers im US-Staat Delaware eine ähnliche Abstimmung durchzusetzen versucht. Der Anlauf bleib aber erfolglos. Dass die Bewegung in Bessemer nun bereits einen Schritt weiter gekommen sei, habe vermutlich einiges damit zu tun, dass sie wirklich vor Ort entstanden sei und dass die Initiatoren, wie die Mehrheit der Arbeitskräfte in dem Logistiklager, Schwarze seien, sagt Michael Innis-Jiménez von der University of Alabama.

Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung von Bessemer sind Afroamerikaner. In der örtlichen Niederlassung von Amazon liegt der Anteil laut RWDSU-Schätzung sogar bei bis zu 85 Prozent. Eine aufseiten der Unternehmen beliebte Strategie ist laut Innis-Jiménez sonst die, Gewerkschafter als ortsfremde Funktionäre zu charakterisieren, die gar nicht wüssten, was die Arbeiter tatsächlich bräuchten. In diesem Fall aber seien die treibenden Kräfte konkret verankert. „Ich denke, das hilft wirklich sehr“, sagt der Experte. „Sie werden nicht als Außenstehende betrachtet.“

Der RWDSU-Chef Stuart Appelbaum führt den unerwarteten Erfolg seiner Gewerkschaft in Bessemer auch auf die Pandemie zurück. Viele Amazon-Mitarbeiter hätten das Gefühl, dass das Unternehmen nicht genug getan habe, um sie vor einer Ansteckung zu schützen, sagt er. Darüber hinaus habe die Black Lives Matter-Bewegung viele Afroamerikaner inspiriert, eine bessere Behandlung einzufordern.

Tägliche Informationsveranstaltungen von Amazon

Örtliche Vertreter der RWDSU verbringen derzeit viele Tage damit, mit Bannern vor den Toren des Amazon-Lagers auszuharren. Beim Schichtwechsel bleiben einige Mitarbeiter kurz stehen, um sich zu informieren. Andere eilen vorbei, als würden sie die Gewerkschafter nicht sehen. Innerhalb der Halle versuche das Unternehmen mit täglichen Informationsveranstaltungen darzulegen, warum es auch für die Arbeitnehmer besser sei, die gewerkschaftliche Initiative abzulehnen, sagt Bates.

Dawn Hoag zählt zu denen, die „Nein“ ankreuzen wollen. Amazon habe von Anfang an deutlich gemacht, dass der Job körperlich anstrengend sei, sagt die 43-Jährige, die seit April in Bessemer beschäftigt ist. Außerdem könne sie auch gut für sich selbst sprechen und müsse dafür nicht eine Gewerkschaft bezahlen. „Das ist meine Meinung“, sagt sie. „Ich sehe überhaupt keinen Bedarf.“

Aus Protest gegen mangelnden Infektionsschutz hatten im vergangenen Jahr einige Amazon-Mitarbeiter in New York gestreikt. Der Anführer der Aktion, Christian Smalls, und mehrere weitere Personen, die sich öffentlich beklagt hatten, wurden daraufhin entlassen – auch wenn Amazon erklärte, dies sei aus anderen Gründen erfolgt. Bates ist sich darüber im Klaren, dass auch sie ihren Job verlieren könnte. „Ich weiß, dass das passieren kann“, sagt sie. „Aber das ist es wert.“

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5 Kommentare

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  • Tja, liebe Arbeitnehmer.



    Da kämpft wenigstens noch jemand.



    Und hierzulande ? - Flötepiepen.

  • 30 Minuten Mittagspause ist aber nicht ungewöhnlich.

    Ungewöhnlich ist höchstens der weite Weg, wenn er denn notwendig ist.

    Aber diese dauernde Überwachung, die muss man bekämpfen.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Wir haben eine Zweigstelle in einem anderen Bundesland, bekamen dort immer die besten Mitarbeiter vom Markt, weil wir für Ungelernte 2 Euro pro Stunde mehr zahlen als die Konkurrenz. Als Amazon ein Depot in die Nähe baute, war es mit unserer Sonderstellung am Markt vorbei. Seither gehen die besten Leute zu Amazon und wir bekommen nur noch die zweite und dritte Liga vom Markt. Allem Anschein nach ist Amazon als Arbeitgeber sehr viel beliebter als bei den Gewerkschaftsfunktionären. Verdi will nur eigene Leute im Aufsichtsrat haben, weil man sich dadurch zum Teil finanziert. Der exzellente Kundenservice von Amazon wäre auch schnell vorbei, wenn die Behördengewerkschaft mitregiert,

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind den USA ganz andere als in Deutschland und die unternehmensinternen Regeln vermutlich auch. Daher sagen die Arbeitsbedingungen bei Amazon in Deutschland nichts über die Bedingungen in den USA aus.



      Wenn die besten Leute bei ihnen in der Umgebung jetzt zu Amazon gehen, bedeutet das ja nur das der Arbeitslohn oder die Arbeitsbedingungen scheinbar dort besser sind als in ihrer Zweigstelle, es bedeutet aber nicht das beides auch in Ordnung ist. Gegen einen exzellenten Kundenservice ist nichts einzuwenden so lange die Mitarbeiter, die für exzellenten Kundenservice auch exzellent bezahlt werden. Für eine exzellente Bezahlung ist Amazon aber nicht bekannt sondern dafür das sich Jeff Bezos und seine Aktionäre durch die Ausbeutung der Mitarbeiter die Taschen voll schaufeln. Exorbitante Gewinne sind immer ein Zeichen von Ausbeutung der Natur oder von Menschen meistens aber von beidem.

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Ressourci:

        "Wenn die besten Leute bei ihnen in der Umgebung jetzt zu Amazon gehen, bedeutet das ja nur das der Arbeitslohn oder die Arbeitsbedingungen scheinbar dort besser sind als in ihrer Zweigstelle, es bedeutet aber nicht das beides auch in Ordnung ist."



        Wenn wir die höchsten Stundenlöhne der Region im Bereich Ungelernter zahlen, aber die besten dieser Leute einer Region jetzt nicht mehr zu uns, sondern zu Amazon gehen, dann bedeutet es nicht, dass unsere Bedingungen schlecht sind, was sie auch gar nicht sind.



        Es bedeutet halt nur, dass die besten Leute dieser Region Amazon für den besten Arbeitgeber halten. Die besten Beschäftigten haben halt andere Vorstellungen von den besten Arbeitgebern als Ideologen.



        Verdi verbietet es schon einmal bei uns im Tarifvertrag, Überstunden auszubezahlen, sondern in Freizeit abzugelten, was halt für Leute, die bei weitem keine 5000 Euro im Monat verdienen und Familie haben (wollen), recht unattraktiv ist.



        Die Ideologie, die dahinter steckt, ist die, dass die Firmen möglichst neu einstellen sollen und nicht bestehendem Personal höhere Einkünfte zu ermöglichen.



        Das dürfte bei Amazon schon einmal nicht der Fall sein. Was Gewerkschaftsfunkionäre für gut halten, müssen die Menschen nicht zwingend auch für gut halten.