Apple-TV-Serie „Down Cemetery Road“: Ohne Märtyrerinnentum
In „Down Cemetery Road“ ermitteln Ruth Wilson und Emma Thompson in Oxford, nach einer Romanvorlage von Mick Herrons – mit viel Witz und noch mehr Biss.
Sarah Trafford ist vor allem eins: gelangweilt. Die Kunstkonservatorin, gespielt von Ruth Wilson, restauriert in Oxford Kunstwerke von Männern, die eigentlich deren Ehefrauen gemalt haben („Wann wird er endlich gecancelt?“). Nach der Arbeit hastet sie nach Hause, um tiefgekühlte Gemüselasagne aufzuwärmen und sie den furchtbaren Geschäftsfreunden ihres ebenso furchtbaren Freundes als Delikatesse zu servieren. Sie ist müde von den Fragen nach ihrem fehlenden Kinderwunsch und erschöpft von der emotionalen Tölpelhaftigkeit ihres Freundes.
Als in der Nachbarschaft ein Haus explodiert und das überlebende Kind verschwindet, lässt das Sarah nicht mehr los. Die Grenzen zwischen persönlicher Sinnsuche, echten Verdachtsmomenten und einer seit ihrer Jugend bestehenden Neigung zu psychischer Instabilität verschwimmen mehr als einmal, sodass sie besänftigt, bedroht und mit Engelszungen gebeten wird, ihre Privatermittlungen einzustellen.
acht Folgen, jetzt auf Apple TV+
Sie wendet sich stattdessen an Joe (herrlich: Adam Godley), einen Privatdetektiv, der eigentlich eher Affären mit Au-Pairs auf den Grund geht, als hochkomplexe Komplotte aufzudecken. Doch Joe wird kurz darauf umgebracht. Spätestens da wird aus seiner Ehefrau Zoë Boehm (Emma Thompson), die selbst Privatdetektivin ist, und Sarah eine Schicksalsgemeinschaft der hartnäckigen Frauen. Gemeinsam lassen sie keinen Vertuschungsversuch unaufgedeckt.
Das Zusammenspiel von Emma Thompson und Ruth Wilson ist an sich schon ein Ereignis. Die mehrfache Oscar- und Golden Globe-Preisträgerin Thompson und die ebenfalls Golden Globe-ausgezeichnete Wilson – unvergessen brillant als Hauptdarstellerin in „The Affair“ – wurden für ihre Schauspielleistungen schließlich in den „Order of the British Empire“ aufgenommen. Dass diese beiden Exzellenzdarstellerinnen nun gemeinsam in Mick Herrons „Down Cemetery Road“ einem verworrenen Verbrechen auf den Grund gehen, ist Anlass genug, sich in die acht Folgen der Thrillerserie versinken zu lassen.
Thompsons beste Rolle seit Langem
Die Serie ist aber auch auf jeder anderen Ebene sehenswert – Filmmusik, Spannungsdramaturgie und Setting erzeugen einen Sog menschlicher Abgründe. Tiefschwarzer britischer Humor verhindert gleichzeitig jede Art der Sentimentalität über das große Böse im Menschen.
Zoë Boehm ist in vielerlei Hinsicht das weibliche Pendant zu Jackson Lamb aus Herrons „Slow Horses“-Reihe – unverschämt, sarkastisch, sich unentwegt durchschnorrend. Die kurzhaarig-zerzauste Boehm im Ledermantel, mit treffsicherer Menschenkenntnis belustigt sich endlos über alles Angepasste, Bürgerliche. Es ist Thompsons beste Rolle seit Langem und bietet ihrem britisch-unterkühlten, komödiantischen Talent alle Möglichkeiten.
Wo die Serie Herrons Buchvorlage verändert, ist das logisch und sinnvoll. So wird aus der gelangweilten Hausfrau Sarah Tucker in der Serie die Konservatorin Trafford, genauso in der Sackkasse des Alltags gefangen wie ihr literarisches Vorbild. Die von Herron entworfenen Frauenfiguren verpflichten sich aufrichtig und uneitel der Wahrheitsfindung, ohne ins Märtyrerinnentum abzurutschen – davor bewahrt zu jedem Zeitpunkt der für Herron typische schwarze Humor.
Die Buchvorlage, Herrons Debütroman von 2003, ist kürzlich erstmals in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag erschienen. Herron widmete Zoë Boehm mehrere Bände und ließ sie nach diesem Debüt weiterermitteln. Es ist zu hoffen, dass Apple TV sich auch den folgenden Boehm-Romanen annimmt und dass sie in deutscher Übersetzung erscheinen, denn sie sind ein echter Gewinn an weiblicher Ermittlungskunst mit Witz.
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