Anwalt über Berliner Mietendeckel: „Man lässt den Markt nicht regeln“
Tobias Scheidacker, Anwalt für Immobilienrecht, erklärt, was gegen Mietpreisbremse und Mietendeckel spricht und warum man den Markt wirken lassen sollte.
taz: Herr Scheidacker, Sie haben kürzlich argumentiert, der geplante Berliner Mietendeckel sei ein Grund für die Kündigung von Mietverträgen seitens der Vermieter. Kennen Sie schon jemand von Vermieterseite, der wegen des Deckels kündigen und mit Ihnen als Anwalt einen Prozess führen würde?
Tobias Scheidacker: Einer hat sich gemeldet. Sonst aber nicht. Weil meine Argumentation eine andere ist.
Nämlich?
Der frühere Karlsruher Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat in einem Gutachten den Berliner Mietendeckel als verfassungswidrig beurteilt. Aus Eigentümersicht ist die Frage: Wie führt man das Gutachten in einen Prozess ein?
Man kann das über eine Mieterhöhung machen. Wenn der Mieter dann einwendet, der Mietendeckel sei verfassungsgemäß, muss der Eigentümer die Nichtigkeit dieses Mietendeckels thematisieren. Bei einer Kündigung ist es andersherum. Da ist die Nichtigkeit des Mietendeckels für den Mieter ein Vorteil, weil sonst die Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag aufgrund des Mietendeckels wegfiele. Im Grunde dreht es sich um die prozessuale Darlegungslast bezüglich der Nichtigkeit des Mietendeckels. Nüchtern betrachtet macht es keinen Sinn zu kündigen, denn der Mietendeckel wäre ja ohnehin nichtig, wie wir alle wissen – aber wie es derzeit überall ignoriert wird.
Aber Sie würden dafür plädieren, mittels Kündigung einen Musterprozess zu führen, um die Nichtigkeit des Mietendeckels nachzuweisen?
Auch nicht. Ich würde es zwar machen, wenn mich jemand fragt. Aber im Grunde war dieser Artikel nur ein irritierter fachlicher Beitrag, der die Politik fragt: Was macht ihr denn da? Denn wenn der Berliner Senat jetzt einen wirksamen Mietendeckel zustandebringen würde, wäre in der Tat die Folge, dass man alle Mietverhältnisse kündigen kann. Das kann ja keiner wollen.
Sie haben mit Ihrer Idee viel Wirbel verursacht. Bei Strafverteidigern nennt man es Konfliktverteidigung, wenn man das Gericht hart konfrontiert und den Prozess zum Platzen bringen will. Eine Art Einschüchterungstaktik. War Ihr Artikel auch ein Versuch, dem Senat und Mietern Angst vor dem Mietendeckel zu machen?
Nein. Erst einmal: Ich wurde in der Presse als Verbandsvertreter bezeichnet, bin aber gar keiner …
… Sie sind Mietrechtsanwalt und zugleich der Vorsitzende von Haus und Grund Kreuzberg, einem Eigentümerverband.
Ja, und dennoch kein Verbandsvertreter. Was wir im Ortsverein von Haus und Grund in Kreuzberg machen, ist ehrenamtliche Arbeit. Da kommen Einzeleigentümer mit einer Frage, brauchen ein Formular oder einen Handwerker. Es gibt einen Berliner Landesverband und einen Bundesverband von Haus und Grund, dort findet die Öffentlichkeitsarbeit statt. Ich und die anderen Berater im Kreuzberger Ortsverein sind hingegen so eine Art Sozialarbeiter für die Eigentümer vor Ort.
Ein Sozialarbeiter?
Viele Menschen denken, dass Eigentümer alle reich sind. Das stimmt nicht. Wir haben ganz häufig Leute in der Beratung, die Mieter ihrer Wohnung sind und zugleich Eigentümer einer Wohnung, die sie gekauft haben, um Altersvorsorge zu betreiben. Die stehen auf beiden Seiten. Die Leute werden von ihrem Mieter wegen der Betriebskostenabrechnung angegangen, mit der sie sich nicht auskennen, weil sie so was nie gemacht haben, und bekommen die Jahresabrechnung von der Eigentümergemeinschaft weitergereicht.
Die fragen mich: Was muss ich denn da machen? Stimmt das? Warum kommuniziert der Mieter gleich mit einem Anwalt? Warum ruft der mich nicht an? Zurück zu Ihrer Eingangsfrage: Ich habe den Artikel auf meinem Blog, den ich als Anwalt betreibe, eingestellt. Die Presse hat das herausgefunden und mich dann in die Verbandsecke gestellt, um dann sagen zu können, dass die Eigentümerseite die Diskussion eskaliert. Dabei beinhaltet der Beitrag nur eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, was der Mietendeckel unbeabsichtigterweise vielleicht sonst noch so auslösen würde, wenn man ihn ernst nehmen müsste.
Das war zu erwarten. Ihr „Immobilien und Recht“-Blog ist inzwischen bei Medienvertretern bekannt.
Danke, das freut mich. Aber noch mal: Mein Beitrag war eine normale juristische Arbeit. Es schützt auch die Mieter, wenn man solche Dinge im Vorfeld thematisiert und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Sie vertreten auch Eigenbedarfsklagen. Das ist ein, vorsichtig gesagt, schwieriger Bereich.
Meines Erachtens nicht. Auch Eigentümer müssen irgendwo wohnen. Warum nicht in den eigenen vier Wänden?
Da wohnt noch jemand in der Wohnung und muss dann rausgeklagt werden.
So sind die Regeln. Es ist die gesetzliche Entscheidung, dass Eigentum an der Stelle Vorrang hat.
Der Deutsche Mieterbund und andere sind dafür, die Möglichkeiten zu solchen Eigenbedarfsklagen deutlich zu verringern.
Das ist wiederum eine politische Frage. Ich wende die Regeln an. Wenn sich die Gesellschaft entscheidet, die Regeln zu ändern, sind die Regeln andere und dann wenden wir diese an. Irgendwo gibt es aber eine Grenze. Das ist die Verfassung, die sagt: Es gibt einen Kernbereich des Grundrechts auf Eigentum, dieser darf nicht verletzt werden. Bis zu dieser Grenze ist die Gesellschaft frei, sich anders zu entscheiden als derzeit.
Viele von der Vermieterseite glauben, dass der Markt in Berlin alles regeln wird. Sehen Sie das auch so?
Da würde ich mit Ihnen gerne in die Historie schauen. Die Mietpreisbremse wurde 2015 eingeführt. Wir hatten in den Jahren davor bis einschließlich 2016 rapide steigende Baugenehmigungszahlen im Wohnungsbau. Seitdem geht es bergab. Und zwar schneller, als es vorher bergauf ging. Meines Erachtens dürfte einer der Gründe dafür sein, dass diese Mietregularien eingeführt wurden, weil es jetzt weniger attraktiv ist, Wohnungen zum Zwecke der Vermietung zu bauen. Baugenehmigungszahlen haben einen Vorlauf von ein bis zwei Jahren.
Um eine Baugenehmigung beantragen zu können, muss man in erheblichem Umfang Architektenleistungen vorfinanzieren und veranlassen. Das dauert eine Weile. Dann muss die Baugenehmigung beantragt werden und dann wird sie irgendwann beschieden. Das heißt, ich vermute, dass der Höhepunkt an Baugenehmigungen im Jahr 2016 auf Anträgen vor Inkrafttreten der Mietpreisbremse beruhte. Hätte man das laufen lassen, statt eine Mietpreisbremse einzuführen, wären wir wahrscheinlich schon über den Berg und es gäbe heute genug Wohnungen.
Aber die Mietpreisbremse ist fast wirkungslos.
Das ist nicht richtig, sie hat schon Wirkungen. Zum Beispiel hat sie dazu geführt, dass sich die Leute vermehrt überlegt haben, ob sie noch Mietwohnungen bauen wollen. Die Verschärfung der Mietpreisbremse, die zum Jahresanfang 2019 in Kraft trat, ist in den Bauantragszahlen im Jahresvergleich noch gar nicht zu sehen, das kommt erst noch.
geboren 1975, ist Anwalt mit Schwerpunkt Immobilienrecht in Berlin, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzerverein Kreuzberg und Betreiber des Blogs „Immobilien und Recht“.
Eine Untersuchung von Immoscout sagt, die Angebotsmieten sind in Neukölln zwischen 2007 und 2018 um 146 Prozent gestiegen, in Kreuzberg um 114 Prozent.
Immoscout kennt nur die Angebotsmieten. Ob die tatsächlich zu einem Vertrag führen, weiß Immoscout nicht. Die tatsächlichen Mietentwicklungen sehen Sie im Mietenspiegel. Der Mietspiegel sieht eine Durchschnittsmiete von 6,72 Euro in Berlin. Davon abgesehen hat der Berliner Mieterverein gerade eine Studie veröffentlich, wonach die städtischen Gesellschaften aktuell für 2.400 Euro pro qm bauen können. Das entspricht einer Kaltmiete von 12 Euro.
Private Bauherren haben der Studie zufolge Baukosten von 2.900 bis 3.500 Euro pro qm, das entspricht einer Kaltmiete von 14,50 Euro bis 17,50 Euro. Daran haben Sie dann noch nichts verdient. Die Verteuerung liegt nicht nur an den Preissteigerungen im Baugewerbe, sondern unter anderem auch an hohen Steuern und teuren rechtlichen und energetischen Auflagen. Das macht sich natürlich auch bei bestehenden Gebäuden bemerkbar, wenn etwas repariert oder erneuert werden muss.
„Die Branche hat irres Geld verdient in den letzten zehn Jahren“, sagt Harald Simons vom Forschungsinstitut empirica. Mit dem Mantra, dass der Markt schon alles regeln wird, könne man die Öffentlichkeit nicht überzeugen. In Berlin bekommt selbst eine radikale Forderung wie nach der Enteignung der Deutsche Wohnen große Zustimmung aus der Bevölkerung. Müssten Sie nicht differenzierter argumentieren, als „Der Markt regelt alles“ zu sagen?
Man lässt den Markt ja nicht regeln. Wie will man denn feststellen, dass der Markt versagt, wenn man ihn gar nicht wirken lässt, sondern rigoros ausbremst und das ohne Validierung der Effekte der bisherigen Regulierung ständig weiter verschärft? Ihr Zitat wirft außerdem alle in einen Topf, wenn es von „der Branche“ spricht. Ein Millionär und 9 Obdachlose haben im Durchschnitt alle 100.000 Euro.
Man muss viel mehr differenzieren, wenn man die Eigentümerseite betrachtet. Es gibt große Wohnungskonzerne in Berlin, deren Geschäftsmodell die dauerhafte Vermietung ist. Es gibt Leute, die in den Markt einsteigen und eine Werterhöhung mitnehmen, indem sie das Haus aufteilen und dann wieder abverkaufen. Wenn sie währenddessen modernisiert haben, ist die Substanz hinterher ebenfalls aufgewertet.
Und ein sehr großer Teil des Marktes besteht eben aus privaten Einzeleigentümern, die etwas für ihre Altersvorsorge tun. Sie versuchen, eine Wohnung zu finanzieren und dann bestmöglich bis zu ihrem Ruhestandseintritt zu verwalten. Während man ihnen sagt, dass sie ein Heidengeld verdient haben, sehen sie selbst eigentlich nur den Kredit und dass die Miete den nicht deckt. Eine ganze Reihe von Eigentümern zahlen jeden Monat drauf, selbst wenn in der Wohnung nichts kaputtgeht und der Mieter keine Mietschulden entstehen lässt.
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