Antisemitismusvorwurf in Mädchenzentren: Kritik an Schließungen
Der Jugendhilfeausschuss diskutiert über die Rücknahme der Kündigungen. Der Stadtrat spricht vom Verdacht auf antisemitische Strukturen beim Träger.
Ziel sei, die Arbeit möglichst schnell wieder aufnehmen zu können – und vor allem die Kontakte zu den Mädchen und jungen Frauen nicht abbrechen zu lassen. Das betonten am Donnerstag zahlreiche Redner*innen im Jugendhilfeausschuss des Bezirks. Der hatte sich zu einer öffentlichen Sondersitzung zusammengefunden, um über die Kündigung und ein mögliches Fortführen der Angebote zu diskutieren.
Kritik kam dabei von Grünen, Linken und SPD, gemeint war damit vor allem das Vorgehen an sich. Der Jugendstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Max Kindler (CDU), hätte den Jugendhilfeausschuss in seine Entscheidung mit einbeziehen und anhören müssen, betonte etwa Olja Koterewa von den Grünen. Außerdem kritisierte sie, dass Kindler gekündigt habe, ohne vorher mit dem Träger zu sprechen oder andere Lösungen zu suchen. Die Situation sei dadurch verfahren. Die Vorwürfe müssten vollständig aufgeklärt werden.
Auch aus dem Vorstand vom Frieda Frauenzentrum kam deutliche Kritik. Das Jugendamt habe private Konten ausgespäht und Tätigkeiten in der Freizeit von Mitarbeiter*innen bewertet. „Wir arbeiten intersektional. Antisemitismus hat bei uns keinen Platz“, sagte ein Mitglied aus dem Vorstand von Frieda. Sie betonte auch, dass der Stadtrat allein aufgrund eines Verdachts agiert habe. Das sei also noch keine Tatsache. Und auch eine Anzeige sei noch keine Verurteilung.
Keine Details wegen Datenschutz
Stadtrat Kindler verteidigte seine Entscheidung – erklärte aber, wegen Persönlichkeitsrechten nicht ins Detail gehen zu können. Die Gründe habe er in der nicht-öffentlichen Sitzung des Ausschusses dargelegt, und sie seien dort auch verstanden worden. Die Kündigung sei notwendig gewesen, denn Mitarbeiter*innen hätten Israel das Existenzrecht abgesprochen, zur Unterstützung der Hamas aufgerufen und sich eindeutig antisemitisch positioniert, deutete Kindler an. Woran genau er das festmachte, blieb vage.
Dass die Aussagen und Positionierungen antisemitisch seien, habe er sich von Expert*innen bestätigen lassen. In der Diskussion betonte Kindler auch erstmals, dass es nicht nur um einzelne Mitarbeiter*innen gehe, sondern der Verdacht bestehe, das „im Träger eine Struktur ist, die die antisemitische Haltung unterstützt“.
Im von Frieda veröffentlichten Kündigungsschreiben hatte Kindler Berichte über die Teilnahme an einer aufgelösten Mahnwache, Instagram-Posts und Likes für antisemitische Posts als Gründe für die Kündigung benannt. „Es ging eben nicht nur um Kritik am Staat Israel, oder um Teilnahme an Demonstrationen, beides ist natürlich möglich“, sagte er. Auch ihm sei daran gelegen, dass die Mädchentreffs möglichst schnell ihre Arbeit wieder aufnehmen könnten, möglicherweise mit neuem Träger. „Aber am Ende ist mir ein geschlossener Mädchentreff doch lieber, als einer, der möglicherweise von Antisemiten geleitet wird“, sagte er. Ob die Kündigung rechtens gewesen sei, das müsse nun das Verwaltungsgericht entscheiden.
Beschluss am kommenden Dienstag
Vier Stunden lang tauschten sich Ausschussmitglieder und zahlreiche Gäste über die Kündigung aus. „Wie kann es sein, dass der Stadtrat die Mädchen und jungen Frauen unbedingt vor einem vermuteten Mangel an Neutralität schützen will – und ihnen damit einen wichtigen Schutzraum raubt?“, fragte eine Sozialarbeiterin. Eine gerichtliche Entscheidung werde vermutlich mindestens mehrere Wochen, wenn nicht Monate, dauern, hieß es. Bis dahin müssten die Zentren nach jetzigem Stand komplett geschlossen bleiben. „Die Kündigung war ein Fehler“, sagte Frank Vollmert von der SPD. Das sei einmalig, „in der Schärfe habe ich das in 30 Jahren nicht erlebt“.
SPD, Grüne und Linke haben Beschlussvorlagen vorbereitet. Sie fordern, dass die Kündigung zurückgenommen wird oder aber der Betrieb – möglicherweise mit dem gleichen Personal – möglichst schnell wieder aufgenommen wird. Die Beschlussvorlagen regen außerdem einen Fachtag über politische Bildungsarbeit und das Neutralitätsgebot an und fordern Jugendamt und Träger auf, entsprechende Leitlinien oder Geschäftsordnungen zu erarbeiten. Am kommenden Dienstag soll der Jugendhilfeausschuss darüber entscheiden. Allerdings ist bisher unklar, ob das Jugendamt an einen Beschluss des Ausschusses gebunden ist.
Außerdem solle Frieda sich zu den Vorwürfen äußern und möglicherweise auch intern Konsequenzen ziehen. Von Frieda wiederum hieß es, dass es nicht darum gehen könne, einfach die Räume wieder aufzumachen. „Unsere Arbeit ist Beziehungsarbeit, die unsere Mitarbeiter*innen zu den Mädchen und jungen Frauen direkt aufgebaut haben. Wir sind nicht einfach austauschbar“, sagte ein Mitglied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“