Antisemitismus in Schulen: Es gibt Redebedarf
Antisemitismus an Grundschulen steht wenig im Fokus. Immerhin: Nun gibt es eine „Handreichung“ der Bildungsverwaltung, die Orientierung bieten soll.
Eigentlich beinahe merkwürdig, dass es diese Broschüre, die da am Montagmorgen in der Aula der Friedenauer Gemeinschaftsschule vorgestellt wurde, tatsächlich erst seit gerade eben gibt: „Umgang mit Antisemitismus in der Grundschule“ heißt der Leitfaden, den Patrick Siegele, Direktor des Anne-Frank-Zentrums am Hackeschen Markt, „druckfrisch aus dem Copyshop“ präsentierte. Man habe, sagt Siegele, was die Arbeit an Grundschulen angehe, „eine Leerstelle gesehen.“
Diese Analyse dürfte nicht nur richtig sein,sie drängt sich seit Jahren geradezu auf. Zwar bemüht sich die Bildungsverwaltung schon länger, dem Antisemitismus an Schulen mit Lehrerfortbildungen, diversen Unterrichtsprojekten zu politischer Bildung und Handreichungen für das pädagogische Personal zu begegnen. Doch die meisten dieser Maßnahmen – etwa die Workshops des bekanntesten Akteurs auf diesem Gebiet, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) – richten sich an ältere SchülerInnen ab der siebten Klasse aufwärts.
Deshalb, betonte Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Montag bei der Vorstellung des Leitfadens, den das Anne-Frank-Zentrum im Auftrag der Bildungsverwaltung entworfen hat: „Wir müssen frühzeitiger mit den Kindern reden.“ Denn natürlich brächten auch die GrundschülerInnen „als Spiegelbild ihrer Familien“ bereits viel mit ins Klassenzimmer, und LehrerInnen wüssten dann nicht: Wie kontert man das? War das jetzt schon Antisemitismus? Und wie kann man damit in einer pädagogisch sinnstiftenden Arbeit umgehen?
„Wir wurden von Lehrkräften immer wieder darauf hingewiesen, dass es da gerade in der Grundschule zu wenige Projekte gibt und man sich überfordert fühlt“, sagte Scheeres.
Am Donnerstag soll der Doppelhaushalt 2020/21 im Parlament beschlossen werden. 8,8 Millionen Euro will Senatorin Scheeres (SPD) in den Gesamtkomplex politische Bildung investieren, sagte sie am Montag. Das seien rund 1,7 Millionen Euro mehr als im letzten Doppelhaushalt und bedeute deshalb „schon ein politisches Statement“.
Neu in 2020 soll u. a. eine überbezirkliche Praxisstelle für antisemitisch- und rassismuskritische Jugendarbeit sein.
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) zählte im 1. Halbjahr 2019 404 Vorfälle, darunter 13 Angriffe. (akl)
Wie grundsätzlich der Nachholbedarf bei den LehrerInnen zu sein scheint, zeigt sich schon daran, dass die Broschüre zunächst klarstellt, dass es neben dem Post-Schoah-Antisemitismus auch israelbezogenen Antisemitismus gibt, und dazu diesen Hinweis gibt: „Auch in Ihrer Klasse sitzen möglicherweise jüdische Kinder, ohne dass Sie das wissen.“
Mehmet Can, Lehrer an der Neuköllner Rütli-Schule und seit Jahren in der KIgA aktiv, ist allerdings am Montag, auch mit Blick auf den neuen Grundschulleitfaden, optimistisch, dass sich insgesamt der Blick für Antisemitismus „schärfe“. Die Materialien und Projekte, die den Schulen inzwischen zur Verfügung stünden, würden der Erkenntnis Rechnung tragen, dass man das Thema Antisemitismus „nicht mit der Schoah enden“ lassen könne – die ohnehin im Rahmenlehrplan erstmals im Geschichtsunterricht in der Mittelstufe als Unterrichtsstoff vorgesehen ist.
Israelbezogener Antisemitismus
Dass aus Cans Sicht „virulenteste Problem“ an den Schulen sei der auf den Staat Israel bezogene Antisemitismus: „Den muss man angehen.“ Der werde gerne verkürzt als „muslimischer Antisemitismus“ dargestellt, dabei sei Religion nicht unbedingt immer das allein bestimmende Moment, auch die „politische Identität“ spiele eine Rolle.
Tatsächlich ist der Grundschul-Leitfaden zunächst zwar auch erst mal nur 67 Seiten bedrucktes Papier – aber er macht immerhin ein paar erstaunlich konkrete Vorschläge für Übungen mit den SchülerInnen und gibt sachdienliche Hinweise, wie man das Thema in welchem Fach am besten in den Lehrplan integrieren könnte. Ein bisschen böse könnte man sagen: Wenn die Zeit für grundsätzliche Fortbildungen fehlt, ist der Leitfaden ein passabler Rettungsanker.
Was in der Praxis am besten funktioniert, weiß am Montag Schulleiter Uwe Runkel: „Alle Projekte, die möglichst konkret sind.“ Exkursionen zur Gedenkstätte deutscher Widerstand, ZeitzeugInnen im Unterricht, die „meet2respect“-Workshops, bei denen ein Imam und ein Rabbi gemeinsam Klassen besuchen, kämen „nachhaltig“ an.
An Runkels Schule wurde 2017 ein jüdischer Junge von muslimischen Mitschülern dermaßen gemobbt, dass er die Schule wechseln musste. Man stehe noch in Kontakt mit der Familie, dem Jungen gehe es heute gut, sagt Runkel.
Wie gut es inzwischen auch dem Schulklima geht, soll dann am Montag noch ein kurzer Unterrichtsbesuch von „meet2respect“ zeigen: Rabbi Elias Dray und Imam Ender Çetin diskutieren mit Jugendlichen darüber, ob Muslime und Juden überhaupt Freunde sein dürfen. Die SchülerInnen gucken irritiert; warum nicht?, scheinen die Blicke zu sagen. Einer sagt: „Es geht um Respekt. Man muss ja nicht immer an dasselbe glauben.“
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