Antisemitismus in Deutschland: Klein will Vorfälle zentral erfassen
Judenfeinliche Übergriffe sollen bundesweit erfasst werden. Das fodert der zukünftige Antisemitismusbeauftragte Felix Klein.
An mehreren Orten hatte es am Mittwochabend Demonstrationen gegen Antisemitismus gegeben. Viele Teilnehmer trugen die jüdische Kopfbedeckung. In Berlin folgten laut Polizei rund 2.500 Menschen dem Aufruf der Jüdischen Gemeinde „Berlin trägt Kippa“. Eine Solidaritätsaktion gab es auch in Köln mit rund 1.000 Teilnehmern.
Klein, der sein Amt am 1. Mai antritt, sagte: „Antisemitismus hat es in Deutschland immer schon gegeben. Aber jetzt äußert er sich unverhohlener und auch aggressiver.“ Um konkrete Maßnahmen dagegen entwickeln zu können, müsse man genau wissen, wo der Antisemitismus sitze, wo er herkomme. Das Vorgehen gegen solche Vorurteile in der Mitte der Gesellschaft sei allerdings eine Aufgabe, „die nur mittel- und langfristig zu lösen ist“.
Antisemitismus ist in der Gesellschaft geächtet
Der Historiker Wolfgang Benz warnte indes vor einer übertriebenen Darstellung eines neuen Antisemitismus im Land. „Die Wissenschaft sagt, dass es keinen Anstieg gibt“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. „Das widerspricht aber sicher emotionalen Befindlichkeiten.“ Der Antisemitismus in Deutschland sei kein neues Phänomen, betonte der Experte. „Nein, es gibt hier keinen neuen Antisemitismus. Es ist der alte, der Bodensatz in der Gesellschaft. Der wird nicht schlimmer, aber es ist schlimm genug, dass es ihn überhaupt gibt.“
Zuwanderer seien nicht gekommen, um Antisemitismus zu forcieren, sagte Benz. „Aber es ist so schrecklich einfach, von unserem selbstgemachten, deutschen Antisemitismus abzulenken, indem man mit dem Finger auf andere zeigt.“ Der Historiker macht aber auch deutlichen Widerstand gegen diese Strömungen in der deutschen Öffentlichkeit aus. „Die gute Botschaft ist doch die, dass Tausende auf die Straße gehen und sagen: Wir wollen das nicht, das verstößt gegen die politische Kultur in diesem Lande. In dieser Gesellschaft ist Antisemitismus geächtet wie in keiner anderen Gesellschaft.“
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), forderte weiter Engagement der Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus. „Ein lautes und starkes Nein zu religiösem Mobbing, zu tätlichen Angriffen, Verunglimpfungen und Hass“ sei notwendig, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). Die Solidaritätskundgebungen gegen Judenhass in Berlin und anderen Städten bezeichnete sie als „wichtiges Zeichen“. Widmann-Mauz sieht besonders die islamischen Verbände in der Pflicht. Die Religionsgemeinschaften müssten sich „zu einem klaren Nein zu Antisemitismus“ bekennen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip