piwik no script img

Antisemitismus an Stadtkirche WittenbergBGH verhandelt zu Relief

Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit einer antisemitischen Plastik in Wittenberg: Reicht Kontextualisierung, um sie dort zu lassen?

Antisemitisches Relief an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg Foto: Winfried Rothermel/imago

Freiburg taz | Muss das antisemitische Schmährelief an der Stadtkirche Wittenberg beseitigt werden? Darüber verhandelte am Montag der Bundesgerichtshof. Geklagt hatte der konvertierte Bonner Jude Michael Düllmann, der sich von der Schmähung persönlich beleidigt sieht.

An der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg, an der einst Martin Luther gepredigt hat, ist seit dem 13. Jahrhundert in vier Meter Höhe eine antisemitische Skulptur angebracht. Sie stellt unter anderem Juden dar, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Umgangssprachlich wird die Skulptur deshalb als „Judensau“ bezeichnet.

Anfang 2020 entschied das Oberlandesgericht Naumburg, dass das Relief im heutigen Kontext nicht mehr beleidigend ist. Die von der Kirche vorgenommene „Kommentierung“ der Plastik neutralisiere die ursprüngliche Wirkung. Schon 1988, also noch zu DDR-Zeiten, hatte die Kirchengemeinde am Fuße der Plastik eine künstlerisch gestaltete Bodenplatte als Mahnmal angebracht. Später wurde diese durch eine Informationsstele ergänzt.

Kläger Düllmann hält das alles für unzureichend und ging in Revision. Sein Anwalt Christian Rohnke sagte in Karlsruhe: „Bei einer so schweren Beleidigung muss ich als Verantwortlicher mein Äußerstes tun, um die Wirkung zu beseitigen. Das hat die evangelische Kirchengemeinde aber nicht getan.“ Im Gegenteil, so Anwalt Rohn­ke, „der Text auf der Bodenplatte ist wirres Geschwurbel, das niemand versteht.“ Seit 1988 steht dort: „Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.“

„In Stein gemeißelter Antisemitismus“

Zudem kritisierte Anwalt Rohnke den Text auf der Informationsstele, auf der es unter anderem heißt: „Schmähplastiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen – Tiere, die im Judentum als unrein gelten – waren besonders im Mittelalter verbreitet.“ Rohnke hält das für „verharmlosend und relativierend“, so als sei Derartiges früher normal gewesen.

Dietrich Düllmann, Kläger gegen eine als Judensau bezeichnete Plastik an der Stadtkirche Wittenberg Foto: Uli Deck/dpa

Für die Kirchengemeinde betonte Anwältin Brunhilde Ackermann, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, das Relief zu belassen. „Das war letztlich aber ein klares Bekenntnis, dass Erinnerungskultur sein muss“. Erinnern sei nun mal am eindrücklichsten möglich am historischen Ort. Die Kirche habe sich auch unmissverständlich distanziert. „Man darf die Erinnerungskultur nicht auf dem Altar des Zeitgeists opfern“, forderte Anwältin Ackermann.

Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters betonte, das Relief sei „in Stein gemeißelter Antisemitismus“. Juristisch komme es darauf an, ob es sich durch die Ergänzungen der Kirchengemeinde in eine Art Mahnmal verwandelt hat. Das Urteil wird am 14. Juni verkündet.

Nach der Verhandlung sagte der neue Wittenberger Pfarrer Matthias Keilholz: „Der Text der Bodenplatte ist vielleicht zu undeutlich.“ Die Gemeinde denke über eine klarere Botschaft nach.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Der Tatbestand der Beleidigung setzt einen Vorsatz voraus.

    Wenn klar ist, dass der heutige Eigentümer diesen Vorsatz seiner Vorgänger nicht trägt, dann ist das Relief nicht beleidigend.

    Das "persönlich beleidigt sehen" kann für einen Entfernungsanspruch wohl nicht ausreichen.

  • "Das war letztlich aber ein klares Bekenntnis, dass Erinnerungskultur sein muss"

    So weit, so gut...

    "Man darf die Erinnerungskultur nicht auf dem Altar des Zeitgeists opfern"

    ... netter Versuch. Da verliert Frau Ackermann in meinen Augen all ihre Glaubwürdigkeit.

  • "Die sog. "Judensau" an der evangelischen Stadtkirche von Wittenberg passt doch genau in das damailge Weltbild von Luther! Ein furchtbarer Antisemit!



    Das ist allerdings lange her. Dass Juden heute an diesem Schmährelief Anstoss nehmen ist mehr als verständlich.