Antisemitismus-Vorwurf gegen „Frieda“: Kündigung noch nicht vom Tisch
Grüne und Linke wollen die Kündigung eines Jugendhilfe-Trägers wegen „Antisemitismus“ zurücknehmen, SPD zögert. Solidarität mit „Frieda“ ungebrochen.
Das Jugendamt unter Leitung von Stadtrat Max Kindler (CDU) hatte dem Träger Frieda Frauenzentrum im April überraschend außerordentlich gekündigt. Als Grund wurde in dem von Frieda selbst veröffentlichten Kündigungsschreiben angegeben, dass leitende Mitarbeiter*innen sich „antisemitisch“ positioniert haben sollen, wobei sich der Stadtrat nur auf Medienberichte berief. Die beiden von Frieda betriebenen Mädchenzentren Alia und Phantalisa in Friedrichshain und Kreuzberg sind seitdem geschlossen. Der Stadtrat hatte die Kündigung weder mit dem Jugendhilfeausschuss abgestimmt, noch hatte er zuvor mit dem Träger gesprochen. Dies hatte vor allem Linke und Grüne in der Bezirksverordnetenversammlung auf den Plan gerufen.
In der nun schon dritten Sitzung des Jugendhilfeausschusses zum Thema am Dienstagabend brachte die SPD einen Antrag ein, die außerordentliche Kündigung des Trägers in eine ordentliche umzuwandeln. Dagegen brachten Grüne und Linke einen Antrag ein, die Kündigung zurückzunehmen und einen ergebnisoffenen Prozess zu starten, um die Vorwürfe zu untersuchen. „Wir begrüßen deshalb das in der Sitzung verlesene Statement von Frieda e.V., das personelle Konsequenzen und eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen innerhalb des Vereins sowie die Bereitschaft einer kooperativen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ankündigt“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen.
„Hands off Frieda“
Unterdessen ist die Solidarität mit dem Verein ungebrochen. Gerade unter Sozialarbeiter*innen aus dem Jugendbereich geht die Angst um, dass das private politische Engagement beruflich schaden könnte. Am Dienstag versammelten sich Dutzende Menschen vor dem Bezirksamt mit Transparenten wie „Hands off Frieda“.
Zudem kritisierten in einem Offenen Brief an die Bezirkspolitiker die Geschäftsführerinnen von Wildwasser e.V. das Vorgehen des Stadtrats, das für die betroffenen Mädchen noch problematisch sei. „Der Verlust der Räume und der Abbruch der Beziehungen zu den Kolleg*innen von Phantalisa und Alia bedeutet für die Mädchen* eine Ohnmachtserfahrung (…), denn Alia und Phantalisa bieten seit vielen Jahren einen Schutzraum für Mädchen* (…).Dass ihre Einrichtung schließt, verstärkt ihr Erleben, nicht dazuzugehören, keinen Einfluss auf Entscheidungen zu haben, nicht zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören.“
Gerade bei einem Thema, das die ganze Gesellschaft aktuell spaltet, sei es wichtig, ein Beispiel zu geben, „wie konstruktiv und demokratisch damit umgegangen werden kann“, heißt es in dem Brief weiter. Die beiden Geschäftsführerinnen Corinna Weiler und Dorothea Zimmermann fordern daher die Rücknahme der fristlosen Kündigung und einen Dialog mit den Kolleginnen von Frieda, um einen angemessenen Umgang mit dem strittigen Thema zu finden.
Der Linke BVV-Beigeordnete Janis Ehling schrieb nach der Sitzung auf Twitter, jeder, der sich mit Jugendarbeit auskenne, wisse, wie das plötzliche Schließen von Jugendeinrichtungen „jahrelange Beziehungsarbeit“ zunichtemache. Zudem sei in der dreistündigen Diskussion deutlich geworden, dass das Bezirksamt bisher keine Belege für „antisemitische Äußerungen“ vorgelegt hat. Ehling sprach in diesem Zusammenhang von einer „Inflationierung“ des Antisemitismusvorwurfs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“