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Antisemitismus-Vorwurf gegen „Frieda“Kündigung noch nicht vom Tisch

Grüne und Linke wollen die Kündigung eines Jugendhilfe-Trägers wegen „Antisemitismus“ zurücknehmen, SPD zögert. Solidarität mit „Frieda“ ungebrochen.

Was ist legitime Palästina-Solidarität, was Antisemitismus und untragbar? Die Fronten in dieser Frage sind verhärtet Foto: dpa

Berlin taz | Der Jugendhilfeausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Entscheidung über die „Causa Frieda“ aufgeschoben. Nach einer lebhaften Debatte in einer Sondersitzung am Dienstagabend, die von Demonstranten vor der Tür und auf den Besucherplätzen im Saal begleitet wurde, beantragte die SPD die Vertagung der Abstimmung. Nächsten Dienstag um 19 Uhr wird der Ausschuss erneut beraten – und dann wohl auch abstimmen, wie es mit dem Träger Frieda e. V. weitergeht.

Das Jugendamt unter Leitung von Stadtrat Max Kindler (CDU) hatte dem Träger Frieda Frauenzentrum im April überraschend außerordentlich gekündigt. Als Grund wurde in dem von Frieda selbst veröffentlichten Kündigungsschreiben angegeben, dass leitende Mit­ar­bei­te­r*in­nen sich „antisemitisch“ positioniert haben sollen, wobei sich der Stadtrat nur auf Medienberichte berief. Die beiden von Frieda betriebenen Mädchenzentren Alia und Phantalisa in Friedrichshain und Kreuzberg sind seitdem geschlossen. Der Stadtrat hatte die Kündigung weder mit dem Jugendhilfeausschuss abgestimmt, noch hatte er zuvor mit dem Träger gesprochen. Dies hatte vor allem Linke und Grüne in der Bezirksverordnetenversammlung auf den Plan gerufen.

In der nun schon dritten Sitzung des Jugendhilfeausschusses zum Thema am Dienstagabend brachte die SPD einen Antrag ein, die außerordentliche Kündigung des Trägers in eine ordentliche umzuwandeln. Dagegen brachten Grüne und Linke einen Antrag ein, die Kündigung zurückzunehmen und einen ergebnisoffenen Prozess zu starten, um die Vorwürfe zu untersuchen. „Wir begrüßen deshalb das in der Sitzung verlesene Statement von Frieda e.V., das personelle Konsequenzen und eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen innerhalb des Vereins sowie die Bereitschaft einer kooperativen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ankündigt“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen.

„Hands off Frieda“

Unterdessen ist die Solidarität mit dem Verein ungebrochen. Gerade unter So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen aus dem Jugendbereich geht die Angst um, dass das private politische Engagement beruflich schaden könnte. Am Dienstag versammelten sich Dutzende Menschen vor dem Bezirksamt mit Transparenten wie „Hands off Frieda“.

Zudem kritisierten in einem Offenen Brief an die Bezirkspolitiker die Geschäftsführerinnen von Wildwasser e.V. das Vorgehen des Stadtrats, das für die betroffenen Mädchen noch problematisch sei. „Der Verlust der Räume und der Abbruch der Beziehungen zu den Kol­le­g*in­nen von Phantalisa und Alia bedeutet für die Mädchen* eine Ohnmachtserfahrung (…), denn Alia und Phantalisa bieten seit vielen Jahren einen Schutzraum für Mädchen* (…).Dass ihre Einrichtung schließt, verstärkt ihr Erleben, nicht dazuzugehören, keinen Einfluss auf Entscheidungen zu haben, nicht zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören.“

Gerade bei einem Thema, das die ganze Gesellschaft aktuell spaltet, sei es wichtig, ein Beispiel zu geben, „wie konstruktiv und demokratisch damit umgegangen werden kann“, heißt es in dem Brief weiter. Die beiden Geschäftsführerinnen Corinna Weiler und Dorothea Zimmermann fordern daher die Rücknahme der fristlosen Kündigung und einen Dialog mit den Kolleginnen von Frieda, um einen angemessenen Umgang mit dem strittigen Thema zu finden.

Der Linke BVV-Beigeordnete Janis Ehling schrieb nach der Sitzung auf Twitter, jeder, der sich mit Jugendarbeit auskenne, wisse, wie das plötzliche Schließen von Jugendeinrichtungen „jahrelange Beziehungsarbeit“ zunichtemache. Zudem sei in der dreistündigen Diskussion deutlich geworden, dass das Bezirksamt bisher keine Belege für „antisemitische Äußerungen“ vorgelegt hat. Ehling sprach in diesem Zusammenhang von einer „Inflationierung“ des Antisemitismusvorwurfs.

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5 Kommentare

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  • Ich sag mal ganz einfach: Kurzschlußreaktion.

    Sollen angeblich ... hätten ... der Presse zufolge ...

    Einfach nur total und absolut unprofessionell.



    Und einmal mehr: Zu Lasten und auf Kosten von Hilfsbedürftigen.

  • Interessant, es gibt nach Wochen immer noch keine Belege für angebliche antisemitische Äußerungen? Nach welchen rechtlichen Prinzipien wurde hier gehandelt? Klingt nach einer Willkürentscheidung des Stadtrats, weil diesem die politische Einstellung nicht gefällt.

  • Wenn das „private politische Engagement“ offensichtlich antisemitsch ist, sollten solche Menschen zumindest nicht bei einem Träger der Jugendhilfe in leitender Position tätig sein. Da ist man sich in Berlin doch hoffentlich einig.

    • @Faz:

      Zu den behaupteten antisemitischen Äußerungen der Leiter:innen in ihrer Freizeit wurden bislang keine Beweise vorgelegt. Die Schließung der Mädchentreffs auf bloßes Hörensagen und Verdachtsberichterstattung hin, ist ein Willkürakt, dafür gibt es in einem Rechtsstaat keinen legitimen Grund.

  • Natürlich ist es bitte, wenn Jugendzentren geschlossen werden und ich glaube gerne, dass es lange Beziehungsarbeit zunichte macht. Allerdings hätten die Träger bzw. die Personen das vorher bedenken können. Es gibt es ein pädagogisches Neutralitätsgebot und wenn gegen dieses verstoßen wird, dann sind Konsequenzen zu ziehen. Und um so etwas wie den Vorwurf der Unterbindung der Meinungsfreiheit vorzubauen: Die betroffenen Personen können ihre Meinung behalten und wenn sie noch so antisemitisch und anti-zionistische sein sollte. Nur gibt es kein Anrecht darauf mit Staatsgeldern gefördert zu werden um Jugendarbeit zu betreiben.