Antisemitischer Anschlag in Halle: Mörderischer Judenhass
Die furchtbare Tat von Halle hat gezeigt, dass dem Antisemitismus der Mord innewohnt. Wir müssen ihn entschiedener bekämpfen.
D er furchtbare Anschlag von Halle ist eine bisher in der Bundesrepublik beispiellose Tat, egal ob sie nun von Islamisten oder von Neonazis verübt worden ist. Ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag, an Jom Kippur, haben die schwer bewaffneten Täter versucht, in eine voll besetzte Synagoge einzudringen, ganz offensichtlich, um dort ein Blutbad anzurichten. Sie haben dann, als ihnen dies nicht gelang, mindestens zwei Menschen erschossen. Doch ihr eigentliches Ziel war es, möglichst viele Juden umzubringen.
Man hat sich in Deutschland an die Polizisten gewöhnt, die vor jüdischen Institutionen patrouillieren. Man erinnert in Gedenkstätten und Museen, im Bundestag und bei öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig an den Terror unter dem Nationalsozialismus und an dessen Millionen Opfer. Aber man hat sich auch damit arrangiert, dass Antisemitismus in einem Teil unserer Gesellschaft wieder salonfähig geworden ist, dass jüdische Schüler auf Pausenhöfen gedemütigt werden und der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei die Nazizeit zum „Vogelschiss“ erklärte.
Wozu solche Handlungen und Sprüche führen können, hat sich nun in Halle gezeigt. Es ist nicht so, dass auf verbalen Antisemitismus und die Leugnung von Geschichte automatisch der Wille zur Tat folgt. Aber dieser Schritt kann erfolgen. Er zeigt, dass der Judenhass keine Entgleisung ist, über die man auch einmal hinwegsehen kann, sondern dass ihm der Mord innewohnt. Und dass deshalb die bisherigen Anstrengungen zur Bekämpfung des Antisemitismus nicht genügt haben. Das betrifft zuallererst die Sicherheitsbehörden, deren Job es sein muss, dass Taten wie diese gar nicht erst zur Ausführung kommen.
Es wäre aber allzu bequem, bei der Ursachenforschung nur auf Verfassungsschutz und Polizei zu zeigen. Ebenso wichtig ist es, schon die Anfänge judenfeindlichen Denkens zu bekämpfen, sei es in der Schule oder im Betrieb. Und dieses antisemitische Denken, das sei hier ausdrücklich erwähnt, ist auch keinesfalls nur auf Neonazis und Islamisten beschränkt– und schon gar nicht ist es ein spezielles Problem, das primär Ostdeutschland beträfe. Halle ist nicht überall. Doch es hätte eben auch überall geschehen können.
Im Übrigen ist es für die bedrohten Menschen relativ vernachlässigenswert, ob die Attentäter nun von rechts außen kamen oder religiös motiviert waren. In beiden Fällen stammen sie aus unserer Gesellschaft, aus unserer Mitte. Ihre Gesinnungsfreunde bleiben eine Gefahr für das jüdische Leben wie für die Allgemeinheit in Deutschland, solange sie nicht hinter Schloss und Riegel sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer