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Antifeminismus aus der KolonialzeitErbfall Diskriminierung

Viele Staaten übernahmen die Kriminalisierung von Homosexualität aus dem britischen Rechtssystem. Jetzt diskutiert Indien über die Ehe für alle.

Zeigen sich und feiern gemeinsam: Menschen auf der Dehli Queer Pride Parade im Januar Foto: Kabirx Jhangianix/imago

MUMBAI taz | Die Coronapandemie hatte es unmöglich gemacht, doch seit Kurzem ruft die queere Community in Indien wieder zu Märschen auf die Straße. Die Hauptstadt Delhi feierte erst im Januar die Queer Pride Parade. Es ging um ganz grundlegende Forderungen für Toleranz und gleiche Rechte, denen Indien stückweise näherkommt.

Vor vier Jahren erst hat das Land gleichgeschlechtlichen Sex entkriminalisiert. Indien ist damit die erste Nachfolgenation Britisch-Indiens, die den aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzesabschnitt Paragraf 377 für ungültig erklärt hat. Schon seit 1994 hatten Menschen in einer Reihe von Petitionen die Abschaffung des 1861 von den Briten eingeführten „Anti-Sodomie-Gesetzes“ des indischen Strafgesetzbuches gefordert. Es verbot sexuelle Handlungen „gegen die Natur“ und wurde häufig in Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen angewandt. Im September 2018 dann urteilte der Oberste Richter Dipak Mishra, das Gesetz sei „irrational, unvertretbar und offensichtlich willkürlich“.

Theresa May entschuldigte sich 2018

„Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 wurde der Abschnitt, der Homosexualität unter Strafe stellt, aus dem bisherigen Strafgesetzbuch übernommen. Es gab einen moralischen Konsens gegen Homosexualität“, sagt der indischstämmige deutsche Historiker Benjamin Zachariah. In Singapur, ebenfalls früher britische Kolonie, wurde der äquivalente Paragraf 377a erst im Januar diesen Jahres vollständig aufgehoben.

Sonderausgabe zum 8. März 2023 – Anti-Antifeminismus

Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.

Sri Lanka ist diesen Schritt bisher noch nicht gegangen. Es stehe nicht auf der Agenda der etablierteren Parteien, sagt der Filmemacher und politische Aktivist Visakesa Chandrasekaram. „Es ist nicht nur das Gesetz gegen sogenannten unnatürlichen Sex, das in der kolonialen Ära gegen die Bevölkerung verwendet wurde“, sagt Visakesa. Vielmehr wurde auch ein Verbot des „Herumlungerns“ genutzt, um gegen Bettler, aber eben auch gegen Sexarbeiter, Schwule oder trans Personen vorzugehen. Auch dieses Gesetz existiert noch immer.

Im Vereinigten Königreich selbst wurden die entsprechenden Paragrafen ab 1967 abgeschafft. Im Jahr 2018 entschuldigte sich die damalige Premierministerin Theresa May für Großbritanniens historisches Erbe an antihomosexuellen Gesetzen im Commonwealth. Auch das christlich geprägte Konzept, wonach Geschlechtsverkehr allein der Fortpflanzung dienen soll, kam erst zusammen mit den britischen Kolonialherren und ihrer viktorianischen Sexualmoral in viele damalige Kolonien.

Weder in der Mythologie noch in der Tradition Indiens gab es Verfolgung wegen sexueller Vielfalt

Indien sei historisch gesehen liberal gegenüber sexuellen Unterschieden gewesen, argumentierte schon 2018 der oppositionelle Politiker Shashi Tharoor von der Kongresspartei. Weder in der Mythologie noch in der Tradition Indiens gebe es Verfolgung wegen sexueller Vielfalt. Ähnlich sehen das queere Ak­ti­vist:in­nen. Es sei vielmehr so, dass Transsexualität in Indien eine lange Tradition habe – im Kamasutra wird ein drittes Geschlecht erwähnt, der Begriff „Hijras“ für trans und inter Personen existiert seit Jahrhunderten. Erst die Kolonialzeit habe Angehörige des dritten Geschlechts an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Briten kriminalisierten die Hijras und betrachteten sie als „Verstoß gegen den öffentlichen Anstand“.

Das soziale Stigma umgab nicht­-binäre Hijras noch lange nach dem Ende der Kolonialzeit. Doch allmählich ändert sich das. Ein Meilenstein war dabei 2014 die Anerkennung des dritten Geschlechts in Indien.

„In den vergangenen Jahren hat sich so viel verändert“, sagt die queere Unternehmerin Susan Dias aus dem westindischen Mumbai mit Blick auf die fortschreitenden Liberalisierungen. Die kulturelle Veränderung sei spürbar, sagt die 35-Jährige. Doch „hoffentlich geht es auch rechtlich bald weiter“. Im kommenden Monat verhandelt der Oberste Gerichtshof über Anträge zur Legalisierung der Ehe für alle.

Schon seit 2022 sind gleichgeschlechtliche Paare in Indien per se gleichberechtigt – auch das dank eines Urteils des Obersten Gerichtshofs. Sollte es nun einen Durchbruch bei der Ehe für alle geben, wäre das Land neben Taiwan und Israel eines der wenigen in Asien, die diesen Weg beschritten haben. Be­ob­ach­te­r:in­nen sehen das als nicht unwahrscheinlich an. Laut Medienberichten haben Hindu­priester in Indien und im Ausland bereits gleichgeschlechtliche Eheschließungen durchgeführt, und zwar schon seit den späten 1980er Jahren.

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7 Kommentare

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  • Wieso ist dieser Artikel mit „Antifeminismus“ übertitelt? Es geht darin doch um die Kriminalisierung von Homosexualität. Dass die Diskriminierung von Frauen ihre Wurzel im Kolonialismus hat, wage ich zu bezweifeln. Die Gewalt gegen Frauen in Indien ist unfassbar.:

    www.planet-wissen....eninindien100.html

    • @Birgit Deter:

      Ein nicht zu unterschätzender Faktor beim Sepoy-Aufstand in Indien 1857 war, dass die Kolonialherren die Witwenverbrennung untersagt hatten und auch begannen, das durchzusetzen.

    • @Birgit Deter:

      Die Überschrift passt nicht, da haben Sie recht. In Indien, das gerne als größte Demokratie bezeichnet wird, ist der Status der Frau oft, Eigentum der Verwandtschaft oder des Ehemannes zu sein; auch gibt es immer noch (mittlerweile illegale) Witwenverbrennungen.

  • Es wurde doch eindeutig geschrieben: Es gab den moralischen Konsens, diese Regel zu übernehmen. Da hat niemand behauptet, dass das aus Versehen passiert wäre.

    Was mir allerdings aufgefallen ist: Es war auch in Indien keine rein britische Erfindung, Menschen zu diskriminieren. Auch wenn queere Menschen es traditionell einfacher hatten, das Kastensystem gab trotzdem nicht jedem die Möglichkeit, nach den eigenen Vorstellungen zu leben.

    • @Herma Huhn:

      Das Kastensystem hat in erster Linie nichts mit Diskriminierung zu tun. Es ist einfach eine normale Hierarchsierung der Gesellschaft wie sie in allen feudalen, aristokratischen und ständischen Gesellschaften vorkommt. Die Ständegesellschaft des europäischen Mittelalters war nichts anderes und auch die Gesellschaften der antike funktionerten ähnlich. Es gibt halt dabei sozial immonbiellere und restriltivere sowie offenere Ausformungen. Diese Gesellschaften haben/hatten kein universalistisches Menschenbild, sondern gingen von einer Verschiedenheit der Menschen qua ihrer Geburt aus. Mit unserem heutigen universalistischen Menschenbild, in dem jeder Mensch als gleichwertig gilt, ist das offensichtlich nicht mehr vereinbar.

  • Guter Artikel, aber was mich da immer etwas stört, Indien ist unabhängig seit 1947.

    Israel hatte aus der britischen Mandatszeit genau die gleiche britische Gesetzgebung (Buggery Act) übernommen. 1953 entschied die Generalstaatsanwalt Israels eine Anweisung an die Polizei zu geben, einvernehmliche Handlungen zwischen Erwachsenen nicht zu verfolgen, 1963 entscheidet der Oberste Gerichtshof ebenso. 1988 wird das durch die Knesset das Verbot einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen aufgehoben.

    Unabhängigkeit bedeutet Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, nur weil man etwas von der Kolonialmacht übernommen hat, bedeutet es nicht, das weiterzuführen. Natürlich muss man auf den Ursprung hinweisen, aber niemand hätte Indien aufgehalten, es ähnlich oder noch früher zu ändern wie Israel. Die Lage nicht zu ändern, vor allem über so viele Jahrzehnte, ist eine bewusste Entscheidung der Regierungen, Judikative etc. Indiens.

    • @Sven Günther:

      Indien wurde als britische Kronkolonie mehrere Jahrhunderte lang vom UK beherrscht und ihrer ungewöhnlich langen Reguerungszeit setzte Queen Victoria im Laufe des 19. Jh. eine extrem konservative Politik im British Empire durch. Sich als Gesellschaft von diesem aufoktoierten Denken zu befreien dauert zunächst eine gewisse Zeit, zu mal die neue Führungsschicht alle eine britische Erziehung und bildung genossen haben und entsprechend moralisch geprägt waren. Änliche Phänomene lassen sich auch für andere koloniale Kontexte aufzeigen. Die fanatische Queerfeindlichkeit heutiger islamischer Fundamentalist*innen hat ihre Wurzeln ebenfalls in der britischen Kolinalszeit des 19. Jh. Der Islam des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war in seiner Breite deutlicher liebraler als das europäische Christentum. Doch durch den britischen Einfluss wurden die reaktionären Teile praktisch wie ideell bestärkt.



      Isreal/Palästina dagegen Stand deutlich kuzer unter britischer Herrschaft und der Staat Isreal wurde zu vorderst von säkulären, liberalen Jüd*innen aus Europa gegründet. Diese gehörten teilweise schon in Europa und Nordamerika zu den progressivsten Teilen der Gesellschaften. Da war bereits ein ganz anderes Bewusstsein vorhanden.



      Ich gebe ihnen Recht, dass die eigene Befreiung in der eigenen Verantwortung liegt. Allerdings kann die eigne Unmündigkeit mit unter fremdverschuldet sein, indem Gruppen gezielt unaufgeklärt gelassen werden oder ihnen ein falsches Bewusstsein vermittelt wird. Bitte berücksichtigen Sie also den größeren Kontext bei Ihren Urteilen und Vergleichen.