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Antifa-Blockade in DemminTrauermarsch wird umgeleitet

Jedes Jahr gedenken Nazis der Massensuizide in Demmin. Doch dieses Mal gelangen sie nicht ans Ziel.

Eine Demonstration gegen den angekündigten Aufmarsch der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) in Demmin Foto: Bernd Wüstneck/dpa

DEMMIN taz | Es ist ein Ritual: Auch in diesem Jahr rief die Rechtsradikale Partei „Die Heimat“, ehemals NPD, wieder zum sogenannten „Trauermarsch“ in der Mecklenburg-Vorpommerschen Kleinstadt Demmin auf. Wie jedes Jahr will sie den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus für ihre Ziele instrumentalisieren und der „deutschen Opfer der Roten Armee“ gedenken.

Doch seit 18 Jahren organisiert auch das „Aktionsbündnis 8. Mai Demmin“ zusammen mit dem Bündnis „widersetzen“ Gegenproteste. Auch in diesem Jahr. Rund 2000 bunt gekleidete An­ti­fa­schis­t*in­nen stellten sich laut Polizeiangaben am Donnerstag 290 schwarz gekleideten, Fackel tragenden Nazis entgegen. So groß wie in diesem Jahr sei der Gegenprotest noch nie gewesen, meint der seit 1981 in Demmin lebende Guido Fröschke, Pressesprecher des „Bündnis 8. Mai“.

Dass so viele Gegendemonstranten gekommen waren, liegt wohl zum einen daran, dass sich der Tag der Befreiung zum 80. Mal jährt. Zum anderen haben die Demminer in diesem Jahr in ganz Deutschland mobilisiert. Aus 10 verschiedenen Städten unter anderem aus Hamburg, Berlin und Hannover, fuhren Busse mit Ak­ti­vis­t*in­nen in die ostdeutsche Kleinstadt.

Auch der bereits von anderen Kundgebungen bekannte und beschlagnahmte Demo-Bus „Adenauer SRP+“ des „Zentrum für Politische Schönheit“ war vor Ort. Die Ak­ti­ons­künst­le­r:in­nen begrüßten die Teilnehmer des Rechten Aufmarsches mit einem choralen „Scheiß AfD“-Song, welcher aus den Lautsprecherboxen direkt zum Parkplatz des Sportplatzes, dem Treffpunkt der Nazis, dröhnte.

„Die Wehrmacht ist einfach stiften gegangen“

Demmin hat eine bewegte Geschichte. In keiner anderen deutschen Stadt gab es, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, so viele Selbstmorde wie hier. Schätzungen, die auf dem Totenbuch des Friedhofs beruhen, gehen von 900 bis 1.000 Suiziden aus.

Der Großteil des Massensuizids geschah jedoch nicht, wie die Nazis es behaupten, am 8. Mai, also an dem Tag an dem die Wehrmacht vor der Roten Armee und den Streitkräften der Alliierten endgültig kapitulierte. Sondern am 30. April, der Tag, an dem die Armee des Deutschen Reichs die Stadt verließ.

„Die Wehrmacht ist einfach stiften gegangen, die feigen Hunde“, erzählt der heute 87-jährige Zeitzeuge Roland Thoms in einem Interview mit der Taz. Roland war zu diesem Zeitpunkt 7 Jahre alt und erinnert sich noch gut, wie sich in Demmin auf einen Schlag alles geändert hat. Die Stadt wurde niedergebrannt, von wem ist bis heute ungeklärt. Hunderte Menschen nahmen sich das Leben.

Dass sich ein großer Teil der Demminer Bevölkerung lieber für einen Freitod, als für ein Leben unter sowjetischer Besatzung entschied, hat verschiedene Gründe. Zum einen war es laut NS-Propaganda „ehrenvoll“ sich als Arier lieber selbst das Leben zu nehmen, als unter Fremdherrschaft zu leben.

Zum anderen kursierten Horrorgeschichten darüber, wie „der Russe“ mit der deutschen Zivilbevölkerung umgehen würde. „Ich weiß noch genau“, erinnert sich Roland Thoms, „wie ich mit meiner Familie vor dem Volksempfänger saß und hörte, die Russen nageln die Zungen der Kinder an den Holztischen fest“.

Nazis mussten ausweichen

Eigentlich hatte „Die Heimat“ geplant den rechtsradikalen „Trauermarsch“, wie jedes Jahr, durch die Demminer Innenstadt direkt zum Hafen zu leiten, um dort, nach einer „Gedenkrede“, einen Kranz in den Fluß Pene zu legen. Dies wurde durch mehrere Sitzblockaden von Ak­ti­vis­t*in­nen zum ersten Mal erfolgreich verhindert.

Eine Aktivistin erzählt die Geschichte der 2021 verstorbenen Shoaüberlebenden Esther Bejanaro. Diese hatte sich ihr ganzes Leben und noch hochbetagt gegen Nazis engagiert und kurz vor ihrem Tod bekräftigt, der 8. Mai solle ein Feiertag werden. „Wir demonstrieren hier heute nicht nur gegen die Nazis, sondern auch dafür, dass der Tag der Befreiung in ganz Deutschland ein Feiertag wird“, ruft auch die Aktivistin. Die Menschen, die mit ihr auf der Straße vor dem Demminer Stadttor sitzen, skandieren: „Heute ist kein Trauertag, heute ist ein Feiertag“.

Der „Trauermarsch“ kam nicht durch, muss zu einer kleinen Brücke in der Nähe des Krankenhauses umgeleitet werden. Ihren Kranz konnten die Rechten nicht niederlegen.

Gedacht wurde der durch die NS Propaganda provozierten Opfer des Massensuizids jedoch trotzdem. Das „Aktionsbündnis 8. Mai Demmin“ lies einen Gedenkkranz in das Hafenbecken nieder. Dieses Jahr hatten sie die Deutungshoheit über den Tag.

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7 Kommentare

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  • Hoffentlich ist das kein Phyrrussieg. Falls ein Teil der Demminer die Blockade so deutet, dass den Blockierern die Demminer Vorfahren egal sind, geht der Schuß nach hinten los. Dann war es ein Sieg für die Nazis.



    Moralisch richtig und politisch strategisch richtig können 2 paar Schuhe sein, ein Protest der die Bevölkerung nicht miteinbezieht, erreicht mglweise genau das Gegenteil.



    Das war vor 15 Jahren noch egal, aber jetzt wo ein erheblicher Teil mit der afd sympatisiert, sieht das anders aus.

    • @nutzer:

      "Gedacht wurde der durch die NS Propaganda provozierten Opfer des Massensuizids jedoch trotzdem. Das „Aktionsbündnis 8. Mai Demmin“ lies einen Gedenkkranz in das Hafenbecken nieder. Dieses Jahr hatten sie die Deutungshoheit über den Tag."

      Das können die Demminer zur Kenntnis nehmen. Oder eben nicht.

    • @nutzer:

      Genau jetzt ist es wichtig Nazis nicht einfach marschieren zu lassen. Das ist eine reine Propagandaveranstaltung. Was wäre denn die Alternative dazu? Zusammen mit den Nazis das deutsche Blut betrauern? Das klingt so grob nach der Strategie mit der Merz die AfD halbieren wollte.

      • @Lui:

        Die Alternative ist einfach.

        Ein Gedenken, das sowohl die Grausamkeiten und den Fanatismus der Nazis als auch die Übergriffe der Befreier miteinbezieht.

        Ohne aufzurechnen, aber die Verantwortung der Nazis im Blick behaltend.

        Dann ist kein Platz für rechte Aufmärsche.

        Wir erleben doch, dass die Strategie der Antifa auch nicht funktioniert.

        Demmin hat wohl zu 47% die AfD gewählt.

        Halbiert die Antifa diese Zahl?

    • @nutzer:

      Unrecht haben Sie ja nicht. Aber dass die Gegenproteste seit 18 Jahren (!) von einem lokalen Bündnis ausgehen, haben Sie evtl. überlesen?

    • @nutzer:

      Einige O-Töne der lokalen Bevölkerung, die sich durch Blockaden gestört fühlten, nach Abschluss der Plakate:



      "Ihr (Antifa) gehört alle ins Zuchthaus, aber eins mit Ofen. Wartet nur, bis wir dran sind."



      "Verpisst euch. Wir müssen das ganze Geld, das ihr verballert erarbeiten" (gemeint waren Kosten des Polizei-Einsatzes).



      Nein, das war kein strategischer Sieg. Aber richtig war es trotzdem. Das sage ich als eine Person aus der Region. Ich möchte meine Heimat MV nicht der "Heimat" und ihren Freunden überlassen (aus strategischen Gründen). Es hilft nicht, stillzuhalten. Selbstverständlich wurde das von Leuten vor Ort organisiert (Jusos, Linke, etc) und nicht von Berlin aus.

  • Danke an die Aktiven. Wir sehen uns am 11.5. gegen die AgD in Berlin.