Anti-Überwachungs-Demo in Washington: Applaus für Snowden und Merkel
Linke und Tea-Party-Anhänger Seite an Seite: Mehrere tausend Menschen protestieren in Washington für Whistleblower und gegen Überwachung.
WASHINGTON taz | „Hört auf, uns zu observieren“, steht auf dem großen Banner, das vor dem Hintergrund des Kapitols flattert. Darunter sind kleinere Poster. „Danke Edward Snowden“, ist auf vielen zu lesen. Ein Mann trägt die Botschaft mit sich herum: „Gute Menschen spionieren nur ihre Todfeinde aus“. Eine Frau hat auf ihren Karton geschrieben: „A. Merkel hat Recht. Es ist inakzeptabel, Alliierte auszuschnüffeln“. Elise Power ist pensionierte Lehrerin. Sie sagt: „Ich schäme mich für mein Land“.
Vier Monate nach dem Beginn der Enthüllungen von Edward Snowden ist es die erste größere Washingtoner Unterstützungsdemonstration für den Whistleblower, der ein vorübergehendes Exil in Russland gefunden hat. Mehrere Tausend Menschen sind zusammengekommen. Sie stehen sonst auf unterschiedlichen Seiten. Ihr Spektrum reicht von radikal rechten Tea-Party-Anhängern über moderate Republikaner, Künstler und Bürgerrechtler bis hin zu Linken.
„Ich bin hier umgeben von lauter Linken“, sagt Ralph Johnson, Republikaner aus Boston, der vor seiner Verrentung ein Privatradio betrieben hat. Er findet, Washington hat zu viel Macht und er will, dass die Verantwortlichen für die verfassungswidrige Schnüffelei vor Gericht kommen. Die mehrere Generationen jüngere Sängerin der kalifornischen Band „Yacht“ singt ein Lied darüber, dass das Internet „nicht mehr Punk“ ist.
Keine Verschwörung mehr
Viele in der Demonstration versichern, dass erst Snowden ihnen die Augen darüber geöffnet habe, wie US-Geheimdienste das Privatleben ihrer eigenen Bürger und der Bürger alliierter Länder beschnüffeln. Andere Demonstranten erleben die Schnüffelei seit Jahren am eigenen Leib. Nachdem sie jahrelang als „Verschwörungstheoretiker“ abgetan wurde, wenn sie über die Taktiken des Überwachungsstaates klagten, hoffen jetzt, auf größere Unterstützung.
„Snowden hat mit seinem Mut alles geändert“, sagt Keith McHenry von der Gruppe „Food Not Bombs“. Dank Snowden findet der Aktivist jetzt endlich auch das Gehör seiner Senatoren. Er hat ihnen am Vortag erklärt, warum die Macht der NSA beschnitten werden musst. Und er hofft, dass künftig auch aus Europa Unterstützung gegen den Überwachungsstaat in den USA kommt.
Die aus Kalifornien angereiste Aktivistin Rhona Mahony organisiert Cryptopartys, bei denen die Teilnehmer lernen, ihre Computer vor fremdem Zugriff zu schützen. Sie gehört zu jenen, die schon seit 2001 vor den Gefahren eines Überwachungsstaates warnen.
Die Veranstalter – mehr als 100 Gruppen – haben als Datum für die Demonstration das zwölfjährige Bestehen des „Patriot Act“ gewählt. Das wenige Wochen nach den Attentaten vom 11. September 2001 entstandene Gesetz hat zahlreiche Bürgerrechte ausgehöhlt. Unter anderem autorisiert es unbefristete Inhaftierungen, Durchsuchungen ohne richterliche Befehle und die Aufhebung des Bankgeheimnisses. George W. Bush hat den „Patriot Act“ als erster unterzeichnet. Präsident Barack Obama hat ihn 2011 – nur unwesentlich verändert – für weitere vier Jahre verlängert.
„Freedom Act“ statt „Patriot Act“
Der ursprüngliche Autor des „Patriot Act“, der Republikaner James Sensenbrenner, spricht jetzt von einem „Versagen der Aufsicht“ über die Geheimdienste und will Lehren aus den Enthüllungen von Snowden ziehen. In dieser Woche wird der Republikaner aus Wisconsin zusammen mit einem Demokraten aus Vermont, Patrick Leahy, ein neues Gesetz vorlegen, das die Dienste unter stärkere Aufsicht stellen und ihre Machtbefugnis beschränken soll.
Der „USA Freedom Act“ von Sensenbrenner und Leahy soll unter anderem die unspezifische und massenhafte Sammlung von Metadaten beenden. Und für größere Transparenz bei der Überwachung von Internet- und Telefon-Gesellschaften sorgen. Es ist der zweite Anlauf dieses Jahres für ein Gesetz zur Geheimdienstkontrolle. Im vergangenen Juli hat der Tea-Party-Abgeordnete Justin Amash ein ähnliches Gesetz vorgelegt und die Mehrheit im Repräsentantenhaus nur knapp verfehlt.
Bei der Abschlusskundgebung vor dem Kapitol bekommt nicht nur Snowden Beifall, sondern auch die deutsche Bundeskanzlerin. Sie wird wegen ihrer Beschwerde bei Obama beklatscht. Die Whistleblowerin und Anwältin Jocelyne Radack verliest eine Grussbotschaft von Snowden an die Demonstranten. „Hier geht es nicht um Parteien“, sagt sie für ihn, „Hier geht es auch nicht um Terrorismus. Es geht um Macht, Kontrolle und Vertrauen in Regierung.“
Regierung fürchtet neue Enthüllungen
Die Obama-Regierung erwartet, dass die europäische Verärgerung über die Schnüffelei zu Verzögerungen bei den Verhandlungen über eine Freihandelszone führt. Zugleich befürchtet sie bereits potenzielle neue Enthüllungen von Snowden. Die könnten auch US-Alliierte wegen ihrer Rolle bei bislang unbekannten gemeinsamen Spionagen in Russland, China und dem Iran treffen.
Unterdessen bezeichnet ein republikanischer Senator aus Florida, dem Chancen eingeräumt werden, eines Tages Präsidentschaftskandidat zu werden, die Aufregung in Europa als Theater für die heimische Öffentlichkeit. „Jeder spioniert gegen jeden“, sagt Marco Rubio.
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