Anstieg der Coronainfektionen: Ungarn sperrt zu

Die Regierung Orban macht Reisende aus dem Ausland für steigende Infektionszahlen verantwortlich. Dass eine Reihe Minister dazugehören, zählt nicht.

Ein Grenzbeamter übergibt einem Autofahrer einen Pass

An der Grenze von Serbien nach Ungarn im Juli Foto: Darko Vojinovic/ap/dpa

WIEN taz | Seit Dienstag Null Uhr sind Ungarns Grenzen dicht. Theoretisch zumindest. Pendler, die im Umkreis von 30 Kilometern von den Grenzen arbeiten, sind ausgenommen, wenn sie eine Bestätigung des Arbeitgebers vorweisen können. Reporter an den Grenzen zu Österreich berichteten am Morgen, dass die ungarischen Grenzbeamten die Regelung großzügig auslegten. Allerdings wusste im Laufe des Tages niemand zu sagen, ob die Leute am Abend auch wieder einreisen können oder in Quarantäne geschickt werden.

Tausende Ungarn arbeiten in Österreich als Erntehelfer und in der Gastronomie. Die Heimquarantäne gilt auch für ungarische Staatsangehörige, von er sie sich nur mit einem negativen Corona-Test in Ungarn freikaufen können. Ausländische Zertifikate werden nicht anerkannt. “Die zweite Welle der Epidemie in Europa hat begonnen.“, so Gergely Gulyás, Kabinettschef des Premierministers, letzte Woche in einer Pressekonferenz.

Ausgenommen vom ursprünglich als absolut angekündigten Einreiseverbot sind auch Angehörige der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien und Slowakei. Diese Ausnahme verfügte Premier Viktor Orbán Montag nach einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Andrej Babiš. Ob es dafür eine sachliche Grundlage gibt, ist unklar. Mit über 2.000 Toten liegt Polen sehr viel schlechter als etwa Kroatien mit nur 187. Auch diplomatisches Personal und bestimmte Beschäftigte von Hilfsorganisationen dürfen ein- und ausreisen.

„Die meisten Infektionsfälle kommen aus dem Ausland“, begründetete Gulyás die Maßnahme. Man fürchte die Risiken für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und den Beginn des Schuljahres am 1. September. Eine Ausgangssperre wie im Frühjahr werde es nicht geben, die Maskenpflicht werde aber verstärkt überprüft. Vorerst soll das strikte Grenzregime für einen Monat gelten, danach werde evaluiert.

Ungarn ist bisher von den Verheerungen der Pandemie weitgehend verschont geblieben. Mit rund 5.500 aktiv Infizierten, 8.000 in verpflichtender Heimquarantäne und 614 Toten ist der befürchtete Stresstest für die desolate Krankenhausinfrastruktur ausgeblieben. Die rechtsnationalistische Regierung schreibt das dem zweimonatigen Reiseverbot im Frühjahr zu.

Orban an der Adria erwischt

Regimekritiker sehen das anders. Der liberale Kolumnist Zsombor Kunetz meint, deutlich mehr Patienten dürften sich in ungarischen Krankenhäusern infizieren, als Auslandsreisende das Virus übertragen. Für ihn sollen die Einreisebeschränkungen suggerieren, dass die Pandemie eine externe Bedrohung darstelle und die Ungarn nicht für ihre Ausbreitung verantwortlich seien. Willkommener Nebeneffekt sei ein Schlag gegen das stark vom Tourismus abhängige Budapest, das seit vergangenem Jahr von einem oppositionellen Bürgermeister regiert wird.

Über den Sommer hatte die Regierung Propaganda für den Urlaub zu Hause gemacht. Premier Orbán selbst posierte auf einem Facebook-Foto mit Strohhut und Sonnebrille zum Slogan „Mehr Balaton, weniger Brüssel“. Statt am heimischen Plattensee wurde er von kroatischen Medien allerdings beim Segeln in Dalmatien rund um die Insel Hvar erwischt.

Orbán lebe nicht „was er predigt“, feixte die kroatische Tageszeitung Jutarnji List. Auch Außenminister Péter Szijjártó wurde in Kroatien auf einer Luxusjacht fotografiert, als er in Online-Netzwerken Bilder von sich im Büro postete, wo er mit EU-Kollegen am Telefon die Krise in Weißrussland diskutiert haben wollte. Die Jacht gehört pikanterweise dem Bauunternehmer László Szíjj, der seinen Reichtum durch den Zuschlag staatlicher Aufträge vermehrt hat.

Anfragen der Medien zur Scheinheiligkeit des offiziellen Diskurses werden in Ungarn routinemäßig mit dem Hinweis abgewiesen, dass man das Privatleben von Politikern nicht kommentiere.

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