Anschläge und Unruhen in Westafrika: Gaddafis Waffen überall
In Mali rebellieren die Tuareg, in Nigeria bomben Islamisten. Die Schockwellen des Libyenkonflikts haben sich auf halb Westafrika ausgeweitet.
BERLIN taz | Als die malischen Regierungstruppen am Mittwoch früh in den kleinen Ort Aguelhok vordrangen, machten sie eine makabre Entdeckung: In der verlassenen Militärkaserne befand sich ein Massengrab, darin lagen die Leichen von 41 Soldaten.
Die Tuaregkämpfer der Rebellenbewegung MNLA (Nationale Befreiungsbewegung von Azawad) hatten sich in der Nacht aus dem Ort zurückgezogen, den sie einen Tag lang besetzt gehalten hatten, und eine blutige Botschaft hinterlassen. Dann besetzten sie Anderamboukane, ein Dorf nahe der Grenze zu Niger. Die Armeegarnison dort ergriff kampflos die Flucht. So wie am selben Tag in Léré, am anderen Ende von Mali an der Grenze zu Mauretanien. Die Rückzüge seien "taktisch", behauptete ein Militärsprecher.
Die MNLA ist die jüngste der immer zahlreicheren bewaffneten Gruppen, die Westafrikas Sahelzone von Mauretanien über Mali bis Niger und den Norden Nigerias unsicher machen. Sie kämpft nach eigenen Angaben für einen eigenen Staat "Azawad" des Wüstenvolks der Tuareg.
In Erscheinung trat sie zuerst am 17. Januar mit einem Angriff auf die Stadt Menaka - dort, wo 1990 erstmals Tuareg rebellierten. Damals wurden sie von Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi unterstützt. Heute sind Malis Tuaregrebellen größtenteils Heimkehrer aus dem libyschen Bürgerkrieg, in dem sie für Gaddafi kämpften.
420.000 Rückkehrer aus Libyen
Die Schockwellen des Libyenkonflikts haben sich auf halb Westafrika ausgeweitet. Viele Waffen aus Gaddafis Rüstungsarsenalen, davon sind die Regierungen der Region überzeugt, gelangten zu den islamistischen Gruppen Boko Haram im Norden Nigerias und Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) im Norden Malis und angrenzenden Teilen Mauretaniens, Algeriens und Nigers.
Dass Boko Haram in Nigeria zu Weihnachten 2011 seine bisher blutigste Anschlagsserie begann, mit weit über 200 Todesopfern, hängt möglicherweise mit dem Erwerb moderner Waffen aus Libyen zusammen, berichtete eine UN-Kommission am Donnerstag dem UN-Sicherheitsrat in New York.
"Boko Haram hat Verbindungen zu AQMI geknüpft, und manche Mitglieder erhielten im Sommer 2011 Ausbildung in AQMI-Lagern in Mali", steht im Bericht der UN-Kommission, der dem Rat vorgelegt wurde. Waffenbestände aus Gaddafis Arsenalen "sind vermutlich in der Wüste versteckt und können an AQMI, Boko Haram oder andere kriminelle Vereinigungen verkauft werden".
Erschwerend komme hinzu, dass die Länder der Sahelregion über 420.000 Rückkehrer aus Libyen aufnehmen müssten, zumeist junge Männer ohne Arbeit und Perspektive, und es keinerlei finanzielle Unterstützung für sie gebe. Kein Wunder, dass neuerdings gemeldet wird, Boko Haram rekrutiere in Niger und Tschad. Und AQMI arbeitet auch mit den aus Libyen nach Mali zurückgekehrten Tuaregkämpfern zusammen, berichten Augenzeugen in Orten, wo die MNLA angegriffen hat.
Im Sahel gebe es "4.000 Exkämpfer im freien Feld, die sich AQMI andienen könnten", warnte der einstige Tuaregrebellenchef Kaocen Maiga aus Niger diese Woche auf einer Sicherheitskonferenz in Mauretanien. Auf einer anderen Konferenz in Marokko hieß es, Grenzpolizisten in Ländern wie Mali oder Niger verdienten umgerechnet 400 Euro im Jahr und seien daher leicht zu kaufen, damit sie ein Auge zudrücken.
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