Anschläge in Sachsen: Schon wieder Chemnitz
In den vergangenen Wochen wurden in Chemnitz vier Restaurants überfallen – ein jüdisches, zwei persische und zuletzt ein türkisches. Eine Serie?
T. führt am Dienstag dieser Woche durch das Mangal, sein Restaurant. Oder das, was davon noch übrig ist. „Es ist alles weg“, sagt T. „Alles.“ Der 46-Jährige vergräbt die Hände in den Jackentaschen. Er läuft auf und ab in den Brandresten wie in einer düsteren Höhle, weiß nicht, wo er stehen bleiben soll. Dann will T. wieder raus. Er kriege hier sonst Kopfschmerzen, sagt er. In seinen Augen, unter denen Schatten liegen, stehen Tränen.
Was er jetzt mit dem Mangal machen soll? T. starrt einen Moment vor sich hin. Alles wieder aufbauen? Alles hinschmeißen? „Ich weiß es nicht. Keine Ahnung.“
Sechs Tage ist es da her, dass die drei Männer in T.s Restaurant einbrachen. Nachts gegen zwei Uhr kamen sie. Einen riesigen Knall habe es gegeben, berichtete eine Nachbarin der Polizei. Sie habe das Trio noch weglaufen sehen, und dann den Qualm. Als sie T. mit dem Handy aus dem Schlaf klingelte, glaubte er das Gehörte erst nicht. Dann stieg er ins Auto, fuhr in die Innenstadt. Und sah, dass sein Mangal tatsächlich niederbrannte.
Es ist bereits der vierte Angriff auf ein Restaurant in Chemnitz seit Ende August, als in der sächsischen Stadt der 35-jährige Daniel H. erstochen wurde, mutmaßlich von einem Iraker und einem Syrer. Seitdem protestiert die rechte Gruppierung „Pro Chemnitz“ allwöchentlich gegen Flüchtlinge und Hunderte kommen, Bürger wie Rechtsextreme. Schon am 27. August griff ein Dutzend dunkel Gekleideter das jüdische Restaurant Schalom an. Gut drei Wochen später wurde beim persischen Lokal Schmetterling die Frontscheibe eingeschlagen. Dann stürmten drei Vermummte in das ebenfalls persische Safran. Und nun das Mangal.
Noch ermittelt die Polizei die Motive der Angriffe, „in alle Richtungen“. Aber der Staatsschutz hat die Fälle übernommen, zuständig für politische Straftaten. Der Anfangsverdacht eines „fremdenfeindlichen“ Motivs sei naheliegend, sagt eine Sprecherin.
„Es gibt eine Spannung in der Stadt“, sagt Ali T.. Seit 28 Jahren lebt er in Deutschland, seit 1994 in einem Vorort von Chemnitz. Vor gut einem Jahr eröffnete er sein Mangal. Gegrillter Lammrücken und Doradenfilet, gehobene anatolische Küche. Das Restaurant sei gut gelaufen, sagt T. „Ich hatte niemals Probleme mit jemandem.“ Bis jetzt.
Auch Masoud Hashemi hatte lange keine Probleme. Er floh vor fünf Jahren aus dem Iran nach Deutschland, landete in Chemnitz. Vor acht Monaten machte der 52-Jährige das Safran auf, ein kleines Lokal mit persischen Gerichten. Hashemi, ein schmaler, leiser Mann, sitzt an einem der Tische, vor sich goldbestickte Deckchen. Die Stadt habe fast nur gute Menschen, sagt er. Aber es gebe auch die anderen.
Als Daniel H. erstochen wurde, sei auch er erschüttert gewesen, erzählt Hashemi. Am Tatort habe er, wie so viele, Blumen abgelegt. Dann aber kritzelte jemand ein Hakenkreuz an seine Ladentür, später noch einmal, eine Scheibe ging zu Bruch. Hashemi meldete alles der Polizei, ihr Revier ist nur wenige Schritte entfernt.
Vor drei Wochen, an einem Sonntagabend, 22.30 Uhr, standen plötzlich drei Männer mit Motorradhelmen in seinem Laden. Hashemi grüßte sie. Einer der Männer habe „Heil Hitler“ gerufen, erzählt Hashemi. Dann habe jemand einen Samowar auf ihn geworfen, sei mit Tritten auf ihn losgegangen. Die anderen beiden hätten Dekorationen von den Tischen gerissen. Dann stürmten sie aus dem Laden.
Es ist nicht mehr wie früher
Acht Tage lag Hashemi im Krankenhaus. Eine Platzwunde am Kopf, Prellungen am Rücken und Bauch. Nun steht Hashemi wieder in seinem Laden. Der Rücken schmerzt noch immer. Und wenn jetzt die Tür aufgeht, spannt sich Hashemis Körper an. Es sei nicht mehr wie früher, sagt er. Er schlafe schlecht, schrecke ständig auf. Und ja, er habe Angst. Auch um seine Mitarbeiter. Zwei hätten seit dem Angriff bereits sein Restaurant verlassen.
Rund 40 rechtsextreme Straftaten zählt die Mobile Opferberatung seit dem Tod von Daniel H. in Chemnitz. Doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr. Ein Tunesier wird von vier Männern zusammengeschlagen, einem Iraner eine Flasche an den Kopf geworfen, ein Mann randaliert mit rassistischen Parolen vor einer Flüchtlingswohnung. Anfang Oktober lässt die Bundesanwaltschaft acht Männer gar unter Terrorverdacht festnehmen: Als „Revolution Chemnitz“ sollen sie Anschläge auf Migranten, Politiker und Journalisten geplant haben. Sie suchten bereits nach Waffen.
Und nun die Angriffe auf die Restaurants.
„Wir haben hier eine sehr beunruhigende Entwicklung“, sagt André Löscher von der Chemnitzer Opferberatung. Seit den Kundgebungen fühlten sich einige in Chemnitz offenbar enthemmt. Die Angriffe auf die Restaurants seien dabei ein neues Level der Gewalt: „Weil es hier nicht mehr um Spontantaten geht, sondern richtig Planung stattfindet. Und Menschen letztlich vertrieben werden sollen.“
Auch beim Schmetterling ist die Frontscheibe des Restaurants noch von einem Riss durchzogen. In der Küche steht Mina Sattari*. Sie wisse nicht, wer ihr Restaurant angegriffen habe, sagt die 31-jährige Iranerin. Und ob nicht bald wieder etwas passiert. Auch Sattari ist in Sorge über die Stimmung in der Stadt. Und dies, wie sie sagt, vor allem an einem Tag: Freitag.
„Hau ab aus Deutschland“
Dann, wenn abends Martin Kohlmann, der Chef von „Pro Chemnitz“, und seine Leute in der Stadt aufziehen. Bis heute halten sie ihre Kundgebungen aufrecht. „Das ist unser Land“, wird dort skandiert. „Ausländer raus!“ Auch einige von „Revolution Chemnitz“, die mutmaßlichen Rechtsterroristen, waren dort.
Nach einer der ersten Demonstrationen, am 27. August, strömten Rechte durch die Stadt. Als eine Gruppe vor dem jüdischen Restaurant „Schalom“ auftauchte, ging Betreiber Uwe Dziuballa nach draußen. „Hau ab aus Deutschland, du Judensau“, habe einer gerufen, erinnert sich der Gastronom. Dann flogen Steine, Flaschen, ein Stahlrohr. Ein Geschoss traf Dziuballa an der Schulter, eins zersplitterte eine Scheibe.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ordentlich Angst habe er damals gehabt, sagt Dziuballa. Heute habe er diese Angst nicht mehr. Dziuballa, ein jovialer, selbstbewusster Typ, ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. „Aber die Gelassenheit ist weg. Das nehme ich denen übel.“
Wer waren die Angreifer auf die Restaurants? Aufgehetzte von den rechten Kundgebungen? Gar eine feste Gruppe, die zur Tat schreitet? Eine zweite „Revolution Chemnitz“? Oder jemand ganz anderes?
Es werde „mit Hochdruck“ ermittelt, versichert eine Sprecherin des Landeskriminalamts. Auch, ob und wie die Taten miteinander zusammenhingen. Noch aber fehlt den Ermittlern eine heiße Spur zu den Tätern.
Streifenwagen fahren migrantische Restaurants ab
Beim Mangal konnte die Nachbarin die drei Brandstifter zumindest etwas beschreiben. Dunkel gekleidet, Mitte zwanzig, 1,70 bis 1,80 Meter groß, einer muskulös. An drei Stellen im Restaurant sollen sie Benzin ausgeschüttet haben, dann flohen sie in einem roten Kleinwagen. Auch ins Safran, bei Masoud Hashemi, stürmten drei Täter. Beim Schalom dagegen waren es ein Dutzend Angreifer. Betreiber Dziuballa hat sie im Weggehen fotografiert. Schwarze Gestalten, die Gesichter nicht zu erkennen. Der Polizei hilft das wenig.
Dzibualla bleibt vorsichtig, was eine Serie angeht. Zwar sei die zeitliche Nähe der Angriffe „verblüffend“. Das Vorgehen aber sei doch sehr unterschiedlich. „Ich sehe da noch keinen Zusammenhang“, sagt Dzibualla. „Aber ich kann mich auch irren.“ Die Polizei hat derweil Streifenwagen rausgeschickt, die nun verstärkt migrantische Restaurants und Asylunterkünfte in der Stadt abfahren.
Auch die Politik reagierte diesmal schnell. Chemnitzs Bürgermeisterin Barbara Ludwig, eine SPD-Frau, besuchte Masoud Hashemi noch im Krankenhaus. Auch bei Ali T. war sie. Sachsens Innenminister Roland Wöller reiste nach dem Brand im Mangal ebenfalls an, besuchte T. und Hashemi. „Verabscheuungswürdig und feige“ seien die Taten, sagte der CDU-Mann. Kommende Woche will auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Chemnitz reisen, zwei Wochen später Kanzlerin Angela Merkel.
Die Reaktionen seien schön, sagt Hashemi. So viele kämen jetzt, die ihn bitten, zu bleiben. Auch Ali T. wurden Hilfen und Spenden angeboten. „Mein Handy klingelt ständig.“
Auf die Reaktion von Martin Kohlmann hätte T. dagegen gerne verzichet. Nach dem Brand im Mangal sagte Kohlmann, er wolle nichts verharmlosen, aber im Vergleich zur Gewalt gegen Deutsche sei das doch „nur ein Sachschaden“.
Ali T. wird wütend, wenn er so etwas hört. „Nur Sachschaden? Ja, stimmt. Aber hier steckte auch mein ganzer Traum drin.“ Über Monate habe er sein Restaurant eingerichtet, jedes Detail geplant, 230.000 Euro investiert. Nun kam am Dienstag ein Gutachter der Versicherung und attestierte einen Totalschaden. „Und was ist mit den Leuten, die hier oben im Haus wohnen?“, fragt T. 17 Bewohner mussten nach dem Brand evakuiert werden. „Die hätten sterben können.“
„Es ist gefährlich, was gerade in Chemnitz passiert, für alle“, sagt Safran-Betreiber Hashemi. „Deutschland muss vorsichtig sein.“ Aber Hashemi will in Chemnitz bleiben. Sein Lokal sei ja gerade erst angelaufen. Und es gebe ja auch die anderen Leute hier, „die Netten“. Hashemi verschwindet in die Küche, er muss Essen vorbereiten, für den Abend hat sich eine Besuchergruppe angekündigt.
Auch Ali T. will bleiben. Was mit dem Restaurant passiert, wisse er noch nicht. Aber er lebe schon so lange hier, seine Kinder gingen hier zu Schule. „Das ist mein Zuhause.“
Das Leben in Chemnitz geht weiter für Masoud Hashemi, Ali T., Mina Sattari und Uwe Dziuballa. Die rechte Hetze aber auch. Was nun bleibt: Verunsicherung.
* Name zum Schutz der Person von der Redaktion geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins