Anonyme Krankenscheine für Geflüchtete: Sozialbehörde als Gesundheitsrisiko
Dass Hamburg keine anonymen Krankenscheine für Papierlose in der Coronakrise einführt, ist verantwortungslos.
D ie Regierungen von Bund und Ländern sind sehr wohl in der Lage, in Krisensituationen schnell und unbürokratisch Hilfen bereitzustellen – das ist in den vergangenen Wochen deutlich geworden, auch in Hamburg. Mieten werden gestundet, Fristen verlängert, Gelder ausgeschüttet. Aber eine Sache scheint zu weit zu gehen: Ein anonymer Krankenschein für Menschen ohne Papiere ist nicht drin. Bitte?
In Großstädten wie Hamburg leben Tausende Menschen ohne Krankenversicherung. Das ist auch eine Folge der stetigen Aushöhlung des Asylrechts in den vergangenen Jahrzehnten – viele Geflüchtete wissen, dass sie keine Chance auf ein Bleiberecht haben und früher oder später abgeschoben werden. Deshalb tauchen sie unter, arbeiten im informellen Sektor, putzen Hotels, waschen Teller, wohnen zur Untermiete. Und natürlich haben sie keine Krankenversicherung. Bei den Hilfsangeboten des Bundes und der Länder gehen sie leer aus, dabei trifft die Krise sie besonders hart.
Verschärft wird ihre Situation dadurch, dass viele ehrenamtliche Hilfsorganisationen, die staatliche Versorgungsdefizite normalerweise abfedern, ihre Angebote coronabedingt einschränken. Sie kommen schon in normalen Zeiten oft an ihren Belastungsgrenzen.
Es ist daher unverständlich, dass die Gesundheits- und Sozialbehörden jetzt nicht alles dafür tun, den Zugang zum Gesundheitssystem und zu Hilfsangeboten voraussetzungslos und unbürokratisch für alle zu ermöglichen. In Zeiten einer tödlichen Pandemie ist das verantwortungslos.
Die Behörde sagt: Nö
In Hamburg hat das Medibüro, die renommierte und erfahrene Beratungsstelle, auf Versorgungslücken hingewiesen und anonyme Krankenscheine als Lösung gefordert. Die Behörde sagt: Nö, das Problem bestehe gar nicht. Es mag sein, dass die Sozialbehörde keine Ahnung von den Problemen papierloser Geflüchteter hat. Nur: dann sollte sie auf die hören, die Ahnung haben und Alarm schlagen.
Alternativ kann die Behörde auch weiter nichts tun. Damit gefährdet sie aber Menschenleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos