Anke Domscheit-Berg über Digitalpolitik: „Es fehlt eine gemeinsame Vision“
Die Linken-Politikerin Anke Domscheit-Berg wirft der Ampel vor, auch nach einem Jahr noch nicht zu wissen, was sie digitalpolitisch will. Einzig beim Thema Nachhaltigkeit tue sich was.
taz: Frau Domscheit-Berg, diese Woche veranstaltet die Bundesregierung ihren Digitalgipfel. Zeitgleich wird die Ampelkoalition ein Jahr alt – welche Schulnote geben Sie der Bundesregierung für ihre Digitalpolitik?
Eine 3 minus.
54, ist Publizistin und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Davor hat sie unter anderem für McKinsey und Microsoft gearbeitet
Warum?
Der Hauptgrund ist: Die aktuelle Regierung hat es tatsächlich geschafft, in der Governance, also der Zuordnung von Rollen und Verantwortungen, im Bereich Digitalisierung noch schlechter zu sein als die Große Koalition. Das hätte ich gar nicht für möglich gehalten.
Zum Beispiel?
Da braucht man sich nur mal anzuschauen, wie unklar die Verantwortlichkeiten verteilt sind. Wenn man sich nicht einig wurde, bekamen einfach mehrere Ministerien den Hut auf. Zum Beispiel beim Thema digitale Identitäten: Hier zanken sich vier Ministerien, die alle gemeinsam die Federführung haben sollen, nämlich Wirtschaft, Inneres, Forschung und das Ministerium für Digitales und Verkehr. Beim Digitalbudget sind Bundeskanzleramt plus zwei Ministerien zuständig. Bei der Datenstrategie gibt es immerhin nur zwei. Es kommt ständig vor, dass mehrere Hände gleichzeitig nach einem Stift greifen und schreiben. Wie soll da etwas Sinnvolles bei rauskommen?
Da die Themen außerdem auf Ministerien mit Hausspitzen aus unterschiedlichen Parteien verteilt sind, gibt es zusätzliche Dissonanzen. Wir haben im Februar, also mittlerweile fast vor einem Jahr, im Digitalausschuss mal um eine Art Wimmelbild gebeten, damit wir endlich durchblicken können, wer für was zuständig ist. Denn wir müssen als Abgeordnete ja die richtigen Stellen befragen können.
Und?
Das sollte zeitnah kommen. Dann spätestens vor der Sommerpause. Es kam bis heute nicht.
Sind die doppelten und dreifachen Zuständigkeiten tatsächlich das Hauptproblem?
Es ist eines von mehreren. Wirklich schlimm ist auch, dass eine gemeinsame Vision fehlt. Daran mangelt es schon im Koalitionsvertrag. Dabei muss ich doch als Regierung wissen: Was ist mein Zielbild? Wo will ich hin? Und danach entwickle ich eine Strategie, die mir dabei helfen soll, diese Vision zu erreichen. Aber wenn ich das erste nicht habe, die Vision – welche Strategie will ich dann entwickeln? Was dabei rauskommt, ist das aktuelle Potpourri ohne verbindende Klammer – und viel Zoff.
Regierungsvertreter:innen würden Ihnen entgegenhalten, dass sie in vielen Bereichen bei null anfangen müssen.
Natürlich kann die jetzige Regierung nicht über Nacht die Versäumnisse der Großen Koalition mit magischen Zauberstäben beseitigen. Die Verwaltungsdigitalisierung etwa ist furchtbar im Verzug, weil es an allen Grundlagen fehlt, an einheitlichen Standards, an Schnittstellen und an Basisdiensten, die kann die Ampel nicht mal eben backen. Aber ein Regierungsjahr ist um und warum beginnen erst jetzt Gespräche zwischen Bund und Ländern darüber, welche Standards man braucht? Ich bin wirklich kurz davor, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
Schwerpunktthema des Digitalgipfels ist die Datenökonomie. Wie sieht es da aus?
Da geht es aktuell viel um die Frage: Wer hat Zugriff auf die Daten in einer vernetzten Welt? Also Daten, die etwa smarte Haushaltsgeräte wie Amazons Alexa oder eine Fitnessuhr sammeln. Bei der Fitnessuhr könnte es noch einfach sein, weil mir die Uhr gehört, aber trotzdem kann ich nicht an die Daten ran und sie auf eine Fitnessuhr eines anderen Herstellers übertragen. Aber was ist, wenn ich in einem Hotel bin, wo ein Alexa auf dem Tisch steht und vielleicht mithört? Gehören die Daten dann mir oder dem Hotel?
Diese Fragen rund um den Datenzugang im Internet der Dinge werden gerade beim Data Act auf EU-Ebene verhandelt. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung eine klare Vorstellung hätte, wie die Rechte der Menschen, deren Daten gesammelt werden, unabhängig davon, wem ein solches Gerät gehört, geschützt werden können. Erstaunlicherweise gibt es darüber aber keinen Konsens in der Ampel. Auch hier rächt sich die fehlende Vision.
Gibt es denn auch etwas, wo Sie loben können?
Ich habe das Gefühl, dass sich beim Thema Nachhaltigkeit und Digitalisierung endlich etwas bewegt. Zum Beispiel ist die Nachhaltigkeit der IT des Bundes zwar immer noch schlecht und die Datenlage obendrein mangelhaft, aber endlich sieht man das als Problem und plant konkrete Verbesserungen: ein neues Berichtswesen für mehr Transparenz, den Wechsel auf Ökostrom und einen nachhaltigen Einkauf von IT. Der Bund kauft jedes Jahr für über eine Milliarde Euro IT-Produkte und -Dienstleistungen ein, da macht das einen Unterschied. Mir geht das zwar noch zu langsam, aber immerhin in die richtige Richtung. Außerdem steht das Recht auf Reparatur mit 2 Millionen Euro im Haushalt. Das ist nicht viel, aber vorher hat es gar keins gegeben.
Was ist mit dem Breitbandausbau? Da gibt es neue Förderprogramme, weniger Bürokratie …
Ach ja, die Gigabitstrategie. Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Zunächst mal ist sie, genau wie die Digitalstrategie auch, komplett ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft entstanden. Dabei steht im Koalitionsvertrag, dass man als Regierung offener, transparenter, partizipativer werden will. Wozu mangelnde zivilgesellschaftliche Beteiligung führt, sieht man bei der Gigabitstrategie sehr deutlich.
Das ist quasi der Fahrplan, der festschreibt, wie der Breitbandausbau geschafft werden soll.
Ja. Und es ist leider ein Wirtschaftslobbyismuspapier. Der Markt kommt da immer zuerst. Man will also den Breitbandausbau nicht, um Verbraucher:innen mehr Teilhabe zu ermöglichen, sondern damit die Unternehmen mehr Umsatz machen können.
Wie zeigt sich das?
Zum Beispiel beim Ausbau: Es bleibt völlig legal, dass in einem Ort, wo schon Glasfaser liegt, ein zweiter Netzanbieter kommt, alle Straßen noch mal aufreißt, um noch eine Glasfaser zu verlegen. Das Problem dabei: Das bindet Tiefbaukräfte und die sind gerade der Flaschenhals beim Breitbandausbau. Ein Dorf kriegt also kein Glasfasernetz, damit eine Stadt zwei bekommt, weil sich das für die Unternehmen mehr lohnt.
Das zeigt, dass es nicht darum geht, möglichst viele Menschen möglichst schnell zu versorgen, sondern den Telekomunternehmen möglichst viel Geschäft zu ermöglichen. Aber am absurdesten finde ich das: Wenn das Ausbauziel vor 2030 erreichbar wird, soll die Förderung gedrosselt werden. Hä? Wo ist das Problem, wenn ein Dorf in der Prignitz schon 2028 Glasfaser bekommt statt erst 2030?
Ein Digitalthema, das global gerade für Aufregung sorgt, ist Twitter. Die Bundesregierung äußert hier „wachsende Sorge“, einige Ministerien sind schon auf der alternativen Plattform Mastodon. Richtig so?
Persönlich kann ich sagen, dass die Entscheidung bleiben oder gehen eine wirklich schwierige ist. Ich bin zwar schon seit Mai bei Mastodon. Aber bei Twitter sind die Reichweite und die Vernetzungsmöglichkeiten immer noch einzigartig. Aus meinem Fachgebiet geht da praktisch nichts an mir vorbei. Aber es geht letztlich nicht um einzelne Politiker:innen oder Ministerien.
Ich gucke mit großer Sorge auf die Communitys, die diese Vernetzungsmöglichkeit viel existenzieller brauchen und bei denen es teilweise um Leben und Tod geht, im Iran zum Beispiel. Für die Menschen dort ist es ein Überlebensfaktor, Aufmerksamkeit zu erhalten. Und auch für Bewegungen wie #medizinbrennt oder Black Lives Matter. Die Reichweite von Twitter können sie woanders nicht einfach so bekommen.
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