Animationsfilm „Ruben Brandt“ im Kino: Der eindimensionale Vater
Hier treffen sich Albtraum, Kunst und Kalter Krieg. Milorad Krstić’ Animationsfilm „Ruben Brandt“ entführt in eine surreal-psychotische Welt.
Kunst kann berühren, aufwühlen, verstören, in manchen Fällen auch heilen. Das hofft zumindest Ruben Brandt, Titelfigur von Milorad Krstić’ gleichnamigem spektakulärem Animationsfilm für Erwachsene. Seit dem Tod seines Vaters leidet er an Albträumen, allerdings nicht an gewöhnlichen, sondern sehr speziellen. Das mag damit zu tun haben, dass Ruben Brandt Psychiater ist, der seine Patienten aus der Halbwelt mit einer Variante der Kunsttherapie behandelt.
Kunst ist sein Leben, das wusste Brandt schon immer, doch warum das so ist, warum er geradezu besessen davon ist, erfährt er erst im Verlauf einer verwirrenden, manchmal auch verworrenen Geschichte. Zwischen Kunstraub und Psychologie, Film Noir und Caper-Movie bewegt sich der aus Slowenien stammende, in Ungarn lebende Milorad Krstić in seinem Debütfilm und baut, als wäre das alles nicht schon genug, auch noch ein wenig Ost-West-Konflikt und Kalten Krieg ein.
Doch zurück zum Anfang, zu den Albträumen: Während einer Zugfahrt wird Ruben von einem blutrünstigen Mädchen angegriffen, das Velázquez’ Gemälde „Infanta Margarita“ entsprungen ist. Etwas später wird Ruben fast von Boticellis Venus erwürgt, bevor er sich gegen eine der Figuren aus Edward Hoppers „Nighthawks“ erwehren muss. Alle Figuren sehen dabei aus wie einem kubistischen Gemälde von Picasso entsprungen: Verzogene Gesichtszüge sind das mindeste, manche Figuren haben auch drei Augen oder gleich zwei Gesichter, eins vorne, eins hinten.
Die Lösung, die Ruben für seine Probleme vorschwebt, ist ebenso einfach wie ungewöhnlich: Ein breit angelegter Kunstraub soll ausgeführt werden, einmal um den Globus herum, vom Pariser Louvre über die Sankt Petersburger Eremitage, die Uffizien in Florenz bis zum MoMA in New York. Und dank seinem Job als Psychiater hat Ruben auch die perfekten Helfer zur Hand.
„Ruben Brandt“. Regie: Milorad Krstić. Ungarn 2018, 94 Min.
In einem Sanatorium auf einem Berg in der Schweiz behandelt er die filigrane Einbrecherin Mimi, dazu kommen der Computerspezialist Fernando, Bye-Bye Joe, ein Mann fürs Grobe, und der im wahrsten Sinn des Wortes zweidimensionale Bruno (Frucht der Beziehung zwischen einer dreidimensionalen Mutter und einem eindimensionalen Vater …), der ideale Einbrecher, denn er kann dank seiner flachen Gestalt einfach unter Türen hindurchgleiten.
Das Messer als Requisite
Und auch einen Gegenspieler gibt es, einen Detektiv mit dem schönen Film-Noir-Namen Mike Kowalski, selbst ein Sammler: In seiner Wohnung bedecken Requisiten aus Filmen die Wände, unterschiedliche Hüte, aber auch Messer aller Art: Rambos berühmtes Stück etwa, aber auch „Das Messer im Wasser“, ja, das aus dem Polanski-Film.
Man merkt schon: Es gibt viel zu entdecken in Milorad Krstić’ Wunderkammer, praktisch jedes Bild ist mit einer Referenz an Film, Kunst oder Pop-Kultur angereichert, mal deutlicher, mal versteckter. Kaum zu glauben, dass „Ruben Brandt“ der Debütfilm des Regisseurs ist, nach jahrelanger Arbeit vollendet, in einer Mischung aus moderner 3-D-Animation und traditioneller 2-D-Technik inszeniert.
Einen Kurzfilm hatte Krstić vorher gedreht, für „My Baby Left Me“ wurde er 1995 bei der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. 43 Jahre alt war Krstić damals schon, 1952 im ehemaligen Jugoslawien geboren, nach dem Zerfall seiner Heimat nach Budapest migriert.
Zunächst hatte er Jura studiert, sich nach dem Studium dann ganz der Kunst gewidmet, schuf Malerei, Fotografie, Multimediakunst. So umfassend sein künstlerischer Tätigkeitsbereich ist, so weitschweifend ist sein Blick auf die Kunst, das Kino, das Weltgeschehen.
Frei assoziierend
Dass Krstić in den 60er Jahren aufgewachsen ist, meint man in seinem Film unbedingt zu spüren: Poppig bunt ist diese Welt, frei assoziierend und geprägt von den leichten, sich selbst nicht allzu ernst nehmenden Komödien über elegante Einbrecherkünstler wie „Der rosarote Panther“ oder „Charade“. Und natürlich Alfred Hitchcock, zumindest der leichtfüßige, der in „Über den Dächern von Nizza“ Cary Grant als ebenso katzenhaften wie eleganten Einbrecher inszenierte.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Ruben Brandt“
Doch bei allen Verweisen und Bezügen, allen visuellen Gags, die zu entdecken sind, ist „Ruben Brandt“ doch mehr als nur eine zwar originelle, aber beliebige Zitatspielerei. Krstić erzählt von den psychologischen Folgen des Kalten Krieges, den Obsessionen, die hinter dem Eisernen Vorhang wuchsen. Und er spielt mit Variationen des Doppelgänger-Motivs, deutet Verbindungen zwischen Ost und West an, die sich am Ende vielleicht nur als Traum erweisen.
Nicht umsonst ist eines von Ruben Brandts Objekten der Begierde Magrittes berühmtes Bild einer Pfeife mit der ebenso berühmten Unterschrift: „Dies ist keine Pfeife“. Was ist Wahrheit, was Fantasie, wo fängt der Traum an, wo hört die Psychose auf? Wenn Ruben Brandt am Ende wie am Anfang im Zug sitzt und durch die Nacht fährt, ist er einer Antwort nicht näher gekommen. Der Zuschauer aber ist um einen ungemein originellen, bildgewaltigen, fantasievollen Film reicher.
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