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„Animal Farm“ am Staatstheater HannoverBuckeln vor dem Schweinekönig

Von der unterwürfigen Natur des Menschen und seinem Machtinstinkt: Emre Akal inszeniert George Orwells „Animal Farm“ in Hannover mit kalter Präzision.

Milch für den selbst ernannten Anführer: Frauen in „Animal Farm“ melken ihre Brüste Foto: Katrin Ribbe

Als Folge einer Revolution etabliert sich immer wieder ihr Ausgangspunkt: ein totalitäres Regime. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, dazu wollte George Orwell mit seiner „Animal Farm“ (1945) anregen. Ob das überhaupt möglich ist, fragt nun Regisseur Emre Akal am Schauspiel Hannover.

In der Vorlage regiert ein stets trunkener Landwirt abseits aller Bio-, Öko-, Tierwohl-Standards seine Bauernhof-Welt, bis die Tiere ihren Peiniger zum Teufel jagen. Aber sie lassen dann eben nicht in Gleichheit-Freiheit-Brüderlichkeit eine artendivers-egalitäre Utopie erblühen, vielmehr werden Schweine die neuen Chefs mit dem alten Machtgebaren.

Da Orwell in seinem Roman zugleich den Kommunismus stalinistischer Prägung und den Kapitalismus englischer Prägung kritisierte – wegen der ähnlich repressiven Mechanismen –, denkt Regisseur Akal den Klassiker weiter zur Infragestellung grundsätzlicher Prinzipien menschlichen Zusammenlebens. Im Stile eines Lehrstücks fokussiert er den Punkt, an dem sich eine Gruppe aufteilt in Mächtige und Ohnmächtige. Wobei die schweigsamen Anpassungswilligen es denjenigen mit Dominanz-Willen leicht machen, ein tyrannisches Zweiklassensystem zu errichten.

Anders als Orwell schaut Akal aber nicht, wie es den anderen Tieren, sondern fünf Vertretern des Homo sapiens unterm Joch der Schweineherrschaft ergeht. Reduziert sind sie auf ihre im Wortsinn nackte Existenz, den ausgemergelten Körper. Auf drei enge Schaukästen beschränkt sich ihr Lebensraum, ein Gefängnis. Links auf der Bühne ist mit wattigen Wolken und himmelblauer Farbe eine Freiluft-Illusion installiert für Freizeitmomente.

Schauspiel „Animal Farm“, Staatstheater Hannover, Ballhof 1, nächste Aufführungen: 18. und 26. 1.

Mehr als eine Schaukel steht dafür aber nicht zur Verfügung. Das überwiegende Dasein besteht aus entfremdeter Arbeit, dazu ist Maschinenlärmmusik zu hören. Die Menschen haben gigantische Rüben für den Schweinehunger zu züchten, die Frauen müssen literweise Milch aus ihren Brüsten in Kannen melken für den Schweinedurst.

In weitere Behältnisse ejakulieren die Männer. Mit ihrem Samen werden Frauen wie Tiere künstlich geschwängert. Und alle Arbeitsergebnisse, auch die Neugeborenen, sind dann in einem Opferritual im Wohnzimmer der Bühnenmitte durch eine Luke zu reichen, die wie ein Big-Brother-Eye aussieht. Für die Lieferung gibt es zur Regeneration der Arbeitskraft riesige Rindersteaks.

Solidarisches Miteinander korrumpiert

Auf den drei Bildebenen lässt die Inszenierung als animierter Comic ständig neue Miniszenen aus dem Ausbeutungsalltag aufleuchten. Bis jemand ein Exemplar der „Animal Farm“ in einer Bodenluke findet, daraufhin die Welt als eine veränderbare entdeckt und zum Widerstand dagegen aufruft, dass „alles, what we produzieren, uns von den Tiers geklaut wird“.

In diesem restringierten Denglisch artikulieren sich die Figuren, Sprache für eine differenzierte Kommunikation haben sie wohl nicht. Aber es reicht zur Parole „Der Humensch is free!“ und den Beschluss, ab sofort nur noch für den Eigenbedarf zu arbeiten.

Aber schon korrumpiert der „Animal Farm“-Leser das solidarische Miteinander, setzt einen Hut auf, markiert sich als etwas Besonderes. Er lässt die anderen bis zum Umfallen malochen, verkauft das als Arbeit für die Freiheit und den Wohlstand aller und genießt willkürlich eingeführte Sonderrechte. Er produziert nichts, bekommt aber immer zuerst zu essen, die anderen müssen sich mit den Resten begnügen. Sie nehmen es hin: Mensch ist und bleibt der devote Diener von Hierarchien! Aus Feigheit, Angst vor Verantwortung, Faulheit, Dummheit.

Symbolisches Spanferkel

Das muss sich ändern. Also liegen final ein alter Schweine- und neuer Menschenkönig tot am Boden, die Regie serviert ein Spanferkel wohl fürs symbolische Verspeisen der sich immer wieder aus der Menge erhebenden Machtschweine. Aber die Menschen lächeln nur gequält. Essen nicht. Verweigern den anarchistischen Befreiungsschlag. Es entsteht ein Vakuum, in dem sich wohl gleich der/die Nächste über die Mehrheit erheben und die Rangordnung erhalten wird.

So reduziert die Erzählung in einer schnell getakteten Sinnbilderfolge daherkommt, so klar ist die Herleitung der These, dass sich hinter der unterwürfigen Natur des Menschen der Instinkt zur Macht verbirgt, den aber nur wenige mit dem Zynismus der Narzissten ausleben.

Dabei entwickelt die Inszenierung in ihrer eiskalten Präzision eine große Faszination. Wenn auch angemerkt werden kann, dass sie die kritisierte Perspektive bedient, Gesellschaft nur vertikal gegliedert zu denken und zu leben. Denn es wird nicht performativ auf Augenhöhe, sondern von oben nach unten doziert: Bühnenkunst als Frontalunterricht fürs Publikum. Aber eben inhaltlich forsch, fesselnd stringent und ästhetisch eigenwillig.

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