Anhaltende Proteste in Iran: Aufstände im ganzen Land
Die Demonstrationen gegen die Regierung in Iran gehen unvermindert weiter. Videos zeigen jubelnde Demonstrant:innen und schießende Polizei.
Nach den Freitagsgebeten formierte sich in der Hauptstadt Teheran eine Gegendemonstration, deren Teilnehmer gegen die Unruhen wetterten. Die iranische Regierung erklärte, Demonstrationen zu ihrer Unterstützung seien spontan erfolgt. Während früheren Protestperioden war es zu ähnlichen Kundgebungen gekommen.
Die iranischen Behörden haben angesichts der Protestwelle den Zugang zum Internet unterbrochen und Regulierungen für populäre Plattformen wie Instagram und WhatsApp verschärft, die oft zur Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen benutzt werden.
Die US-Regierung reagierte am Freitag darauf, indem sie amerikanischen Tech-Firmen gestattete, ihre Aktivitäten in Iran auszuweiten. Wegen des Konflikts um das iranische Atomprogramm hat Washington ansonsten harte Sanktionen gegen Teheran verhängt. Tesla-Chef und SpaceX-CEO Elon Musk kündigte daraufhin an, seinen Starlink-Satelliten-Breitbanddienst für die Menschen in Iran zu aktivieren. Dies schrieb Musk am Freitag in einem kurzen Tweet auf Twitter. Mit dem Starlink-Projekt will Musk einen weltweiten Internetzugang bieten und dabei insbesondere entlegene Gebiete mit einer schnellen Internetverbindung versorgen.
Das Freischalten von Starlink war in den letzten Tage immer wieder von Aktivist:innen aus dem Iran gefordert worden. Zuvor hatten weltweit Akteure aus der Zivilgesellschaft dazu aufgerufen, die Menschen in Iran technisch bei der Umgehung der Zensur zu unterstützen. Auch die taz beteiligt sich und hat einen Server für Signal aufgesetzt, um die Blockade zu umgehen.
Das Verbreiten der Proteste via Social Media gilt als eine der wenigen Waffen der Protestbewegung. Zudem ermöglichen die Videos einen Einblick in die Lage des Landes, in dem unabhängiger Journalismus vom Regime nicht zugelassen wird.
Jubelnde Demonstrant:innen, schießende Polizisten
Die neuen Videoaufnahmen aus dem Iran zeigten, wie Demonstranten in Teheran einen Polizeiwagen in Brand steckten und Beamte bedrängten. An anderen Orten in der Hauptstadt fielen Schüsse, während Demonstranten vor der Polizei flohen und riefen: „Sie schießen auf Menschen! Oh mein Gott, sie bringen Menschen um!“ Weitere Videos zeigen, wie große Menschenmengen klatschend und rufend offenbar durch die Straßen von Teheran ziehen. Aber auch schwer bewaffnete Polizisten, die auf Menschen schießen, sind zu sehen.
In Nischapur im Nordwesten des Landes bejubelten die Demonstranten ein umgestürztes Polizeifahrzeug. Aufnahmen aus Teheran und Maschhad zeigten Frauen, die ihre Kopftücher wie Fahnen in der Luft schwenkten und dabei „Freiheit“ riefen.
Auslöser war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sitten- und Religionspolizei in der vergangenen Woche. Sie war festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch angeblich zu locker getragen hatte. Die Polizei gab an, die junge Frau sei an einem Herzinfarkt gestorben und nicht misshandelt worden. Ihre Familie zweifelte diese Aussagen an. Inzwischen fordern die Demonstranten aber auch offen die Regierung heraus. Einige Teilnehmer der Protestaktionen verlangen den Sturz der regierenden Geistlichen – mit Rufen wie „Tod dem Diktator“ und „Die Mullahs müssen weg“.
Demos auch für das Regime
Hardliner-Gruppen organisierten am Freitag eine Gegendemonstration in Teheran. Tausende Frauen in traditionellen schwarzen Tschadors und Männer gekleidet im Stil der Basidsch, einer Freiwilligentruppe der paramilitärischen Revolutionsgarde, strömten nach dem Freitagsgebet auf die Straßen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete. „Tod für Amerika“, „Tod für Israel“ und „Amerikas Söldner führen Krieg gegen die Religion“, skandierten sie.
Das Geheimdienstministerium warnte die Bürger am Freitag vor der Teilnahme an „illegalen“ Kundgebungen und drohte mit Strafverfolgung. Örtliche Behörden kündigten die Festnahme Dutzender Demonstranten an. Der stellvertretende Polizeichef in der Provinz Gilan im Norden, Hassan Hosseinpur, sagte, am Freitag seien 211 Menschen festgenommen worden. Die Regierung in der Provinz Hamadan im Westen meldete 58 Festnahmen von Demonstranten.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi verurteilte die gegen die Regierung gerichteten Proteste nach seiner Rückkehr von der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York. „Wir haben viele Male angekündigt, dass wir zuhören werden, wenn jemand eine faire Anmerkung hat. Aber Anarchie? Störung der nationalen Sicherheit? Der Sicherheit des Volkes? Niemand wird dem nachgeben“, erklärte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen