Angriffe auf Ukraine: Saporischschja zittert
Beim Angriff auf ein Wohnhaus in der ukrainischen Stadt Saporischschja stirbt ein Mensch, 34 werden verletzt. Die russischen Raketen kamen überraschend.
Innerhalb weniger Minuten verwandelt sich die trubelhafte Frühjahrstimmung, die an manchen Stellen der Stadt wie ein Wunsch nach Aufbruch und Veränderung wirkt, in Stille und Ratlosigkeit. Menschen verlassen ihre Häuser, wer in den oberen Stockwerken wohnt, meidet den Aufzug und nimmt die Treppen.
Saporischschja liegt im Süden der Ukraine und ist wegen des nahegelegenen Atomkraftwerks immer wieder in den Schlagzeilen. In einem Innenhof der Stadt werden nach den Angriffen am Mittwoch die alten Frauen, die eben noch mit ihren Enkeln gescherzt hatten, unruhig. „Hier vorne war das“, sagt eine von ihnen. Sie zeigt mit dem Zeigefinger stadteinwärts. „Und was machen wir jetzt“, fragt sie weiter in die Runde. Die anderen Frauen sind still. Zurück in die Wohnungen wollen sie nicht, insbesondere nicht in die oberen Stockwerke, aber in den nächsten Bunker auch nicht. So genau weiß auch keine von ihnen, wo dieser Bunker ist. Und so wiederholt nur eine andere: „Ja, was machen wir jetzt?“
Ein junger Mann kommt angefahren, parkt seinen Wagen und steigt aus. Obwohl die Frauen ihn nicht kennen, gehen sie alle auf ihn zu. „Und? Wissen Sie mehr?“ fragen sie ihn. „Ja in einem Haus dort Richtung Chortiza hat es eingeschlagen. Im 5. Stock“, erklärt der Mann und zeigt ein Video eines brennenden 9-stöckigen Hauses. Offensichtlich hat sich das Video des brennenden Hauses in Windeseile in den Telegram-Kanälen von Saporischschja verbreitet.
Das Feuer erfasste 250 Quadratmeter
„Es ist ja schon merkwürdig“ wirft ein älterer Herr ein, der auf die Gruppe zukommt. „Immer wenn Luftalarm ist, kommen keine Raketen. Und wenn alles ganz still ist, dann kommen oft Raketen ohne jegliche Vorwarnung.“
„Die Sache ist die“, erklärt der junge Mann. „Die Russen haben Raketen, die unsere Luftabwehr erkennt, und Flugobjekte, die so niedrig fliegen, dass sie von der Luftabwehr gar nicht erkannt werden.“ Er selbst komme aus einem Dorf in der Nähe, das derzeit von den Russen besetzt sei. „Meine Freunde, die drüben geblieben sind, schicken mit immer eine SMS. Wenn wieder eine Rakete los ist. Aber ehrlich gesagt, das hilft mir wenig. Das sind Vorwarnzeiten von zehn Sekunden.“ Er wollte seinen Freund besuchen, der hier im fünften Stock wohnt. Nun ruft er ihn an, bittet ihn in den Hof runter zu kommen. Es sei ja so ein schönes Frühlingswetter, versucht er ihn zu überzeugen.
Eine Stunde später ist Schichtwechsel an der Bushaltestelle. „Und, was weißt du über den heutigen Raketeneinschlag?“, fragt der neue Busfahrer den Mann, den er ablösen soll. „Das sind doch Schweine“, antwortet dieser nur, und jeder weiß, dass damit die Russen gemeint sind.
250 Quadratmeter hätte das Feuer nach dem Einschlag erfasst, berichtet Feuerwehrsprecherin Julia Barischewa der taz. Augenzeugenberichten zufolge sei nach dem Angriff Gas aus dem Gebäude geströmt und das Feuer sei auf ein Nachbarhaus übergegangen. Bei dem Toten handelte es sich demnach um einen zunächst lebend geborgenen Menschen, der im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Die Rettungsarbeiten seien später durch weitere Alarme erschwert worden.
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