Angriffe auf Polizisten: Gut gepflegte Opferrolle
Die Polizei macht Politik mit der Zahl der angegriffenen Beamten. Doch wichtig sind die Details. Und ein notwendiger Kulturwandel in der Polizei.
Für die Polizei ist das gut, pflegt sie damit ja ihre Opferrolle, die wichtig ist beim ständigen Fordern nach mehr Polizist:innen, mehr Befugnissen, mehr Waffen. Das Problem: Auf die zugrundeliegende Zahl kann man sich nicht verlassen. 2019 nannte Barbara Slowik die neue Rekordzahl 7.000 – wie Recherchen der taz ergaben, waren es letztlich aber 6.650 betroffene Polizist:innen, der zweitniedrigste Wert der vergangenen fünf Jahre.
Selbst wenn die Zahlen stimmen, sagen sie nichts aus. Ein Polizist kann in einer Situation Opfer gleich mehrerer Delikte werden; auch zählt jede Beleidigung als Widerstandshandlung, mitnichten nur körperliche Angriffe. Eine Aufschlüsselung der Zahlen reicht die Polizei irgendwann später nach – nur interessiert es dann kaum noch jemanden.
Slowik kommentierte die Zahl dieses Jahr eher zurückhaltend mit einer „zunehmenden Respektlosigkeit“ gegenüber Polizist:innen. Ein bisschen klingt das, als hätte man inzwischen abgerüstet, weil man den neuen Rekordzahlen selbst nicht ganz glaubt – oder damit rechnet, dass andere genauer hinschauen. Respekt ist trotzdem das richtige Thema. Respekt bekommt nur der, der sich selbst respektvoll verhält. Und das tut die Polizei nicht immer.
Mehr als Einzelfälle
Ein willkürliches Beispiel: U-Bahnhof Rosenthaler Platz; ein offensichtlich berauschter Mann in Zivilkleidung prügelt mit seiner Waffe auf einen verwirrten psychisch kranken Mann ein, bis dieser blutüberströmt zu Boden geht. Als Passant:innen dem Opfer zu Hilfe kommen wollen, gibt sich der Mann als Polizist zu erkennen und richtet die Waffe auf die Umstehenden.
Alarmierte Polizeikräfte eilen hinzu, prügeln ebenfalls auf das am Boden liegende Opfer ein und nehmen es mit. Den Polizist in Zivil lassen sie laufen, ohne Alkohol- oder Drogentest, stattdessen verfolgen sie einen jungen Schwarzen Mann, der die Szene gefilmt hat und der gerade so entkommen kann.
Ein Einzelfall, sicher, aber ein exemplarischer. Exzessive Polizeigewalt, ob gegen psychisch Kranke, Migrant:innen oder politische Aktivist:innen wird häufig – zumindest im Nachhinein – mit vermeintlichem Widerstand begründet. Auch so geht die Statistik der angegriffenen Beamten nach oben. Zum Kontext der Zahl gehört also auch der mangelnde Respekt, manchmal auch der Rassismus, mit dem Polizeibeamte ihrem Gegenüber entgegentreten.
Ein vom LKA erstellter neuer Leitfaden für die Berliner Polizei, der zum Missfallen der B.Z. von der Verwendung rassistischer Begriffe wie „Südländer“, „Zigeuner“ oder „Farbiger“ abrät, hilft den Hauptstadtbeamt*innen in dieser Hinsicht hoffentlich künftig weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja