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Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte„Bitte kein weiteres ‚Heidenau‘“

In Leipzig und Parchim wird erneut eine Unterkunft angegriffen, in Nauen werden Brandstifter gesucht. Erfurts Oberbürgermeister schreibt an Merkel.

Die Sporthalle in Nauen, die als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. Foto: dpa

Parchim/Leipzig/nauen dpa/afp | Mit einem Messer sind zwei betrunkene Männer in eine Flüchtlingsunterkunft in Parchim eingedrungen. Wie die Polizei mitteilte, verschafften sich die beiden am späten Dienstagabend Zutritt zu dem Gelände. Mehrere Bewohner der Unterkunft hielten sich zu diesem Zeitpunkt im Außenbereich auf und bemerkten, dass einer der Männer ein Messer mit einer 20,5 Zentimeter langen Klinge bei sich trug. Sie brachten sich in Sicherheit und informierten den Wachdienst.

Die beiden Männer ergriffen die Flucht, wurden aber kurze Zeit später von der Polizei gestellt und in Gewahrsam genommen. Ein Test ergab, dass beide über zwei Promille Alkohol im Blut hatten. Bei der Blutentnahme sollen sie fremdenfeindliche Kommentare geäußert haben. Ermittelt wird gegen sie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Hausfriedensbruch.

In Leipzig warf in der Nacht zu Mittwoch ein Unbekannter einen Brandsatz durch das offene Fenster eines Hauses, in das voraussichtlich am Mittwoch 56 Asylbewerber einziehen sollten, wie die Polizei in der sächsischen Stadt mitteilte. Da ein Zeuge das Geschehen bemerkte und schnell die Feuerwehr alarmierte, sei der Schaden gering geblieben. Nur eine Matratze habe gebrannt.

Die Ermittlungen übernahm nach eigenen Angaben das auf rechtsextremistische Taten spezialisierte Operative Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Landespolizei. Der vermummte Täter schlug demnach gegen 1.30 Uhr zu. Die Beamten baten Zeugen, ihre Beobachtungen zu melden. Das Haus im Stadtteil Stötteritz war dem OAZ zufolge eigens für die Flüchtlinge hergerichtet worden.

Einsatz mit Spürhunden in Nauen

In Nauen (Havelland) hat die Brandenburger Polizei nach dem Brand in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft eine Sonderkommission gebildet. Darin würden 40 Beamte arbeiten, sagte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Dienstagabend dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Es werde alles getan, um die Täter zu fassen, sollte es sich um Brandstiftung gehandelt haben. Er gehe davon aus, dass sie schnell einer harten Strafe zugeführt werden können.

Die Ermittlungen zur Brandursache werden intensiviert. Von Mittwochmorgen an kommen auch Spürhunde aus Berlin zum Einsatz. Davon erwarteten sich die Ermittler des Landeskriminalamtes Klarheit darüber, ob es sich um Brandstiftung handelte. Der Einsatz der Hunde ist erst möglich, wenn der Brandgeruch verflogen ist.

Die Ermittler hatten bereits weitgehend ausgeschlossen, dass das Feuer in der Sporthalle eines Oberstufenzentrums durch einen technischen Defekt ausgebrochen war. Wann konkrete Ergebnisse zur Brandursache vorliegen werden, war am Mittwochmorgen noch unklar. Innenminister Schröter hatte zunächst von Mittwochmittag, später aber von Donnerstag gesprochen.

Offener Brief an Merkel

Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) hat sich, wie Spiegel Online berichtet, in einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel gewandt. Er sehe sich dazu verlasst aufgrund der „Erfahrungen der letzten Wochen und Monate“ und „angesichts der Tatsache, dass die Stimmung innerhalb der Bevölkerung zu kippen droht und ich kein weiteres „Heidenau“ – weder in Erfurt noch in einer anderen Stadt – haben möchte“.

In dem Brief, der von der Thüringer Allgemeinen veröffentlicht wurde, fordert Bausewein unter anderem, die Liste sicherer Herkunftsländer zu überarbeiten, abgelehnte AsylbewerberInnen schneller abzuschieben und die Schulpflicht für Kinder von AsylbewerberInnen auszusetzen, bis der Aufenthaltsstatus der Kinder und ihrer Familien festgestellt ist, „jedenfalls für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern“.

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13 Kommentare

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  • Wenn jemand Feuer legt und Häuser abfackelt, dann kann es sein, dass er dadurch Menschen töten will oder nimmt das in Kauf, dass ein Mensch dadurch sterben könnte.

     

    § 211 Strafgesetzbuch, Mord:

     

    (1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

  • Der Innensenator von Berlin, Herr Henkel hat sich zu Rechtsausschreitungen so geäußert:

     

    „Die Rechtsausschreitungen dürfen nicht geduldet werden. Wo die Gebäuden brennen, brennen am Ende auch Menschen“.

     

    Wir dürfen KEINEN ZWEITEN NSU in unserem Land zulassen!

  • Was erlaubt sich irgend so ein Heini, der noch nie aus Erfurt, geschweige denn Thüringen herausgekommen ist lt. seinem Lebenslauf, für "die Bevölkerung" zu sprechen.

    Für Erfurt kann er reden, von mir aus.

     

    In den kleinen Kaffs im äußersten Westen hier im flachen Land, im Moor und Hochmoor an der NL-Grenze hat noch nix gebrannt.

  • Die eigene Sporthalle anzuzünden hat etwas Selbstzerstörerisches.

    Solche Taten können schlecht mit der Klage über Benachteiligung und Bevorzugung anderer begründet werden.

  • Was lernt der Neonazi vom erfurter OB? Mit Brandstiftung kann man auch SPD-Politiker zum Rechts-Bewusstsein bekehren.

  • Es wäre keine Überraschung, wenn dieser Bürgermeister zu dieser Aussage gezwungen wurde.

    In seiner Position hat er allerdings die Aufgabe, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten - dieses u.U. zu erklären - aber nicht preis zu geben!

    Wenn Fähigkeit zur Erklärung, oder Courage zur Aufrechterhaltung nicht vorhanden sind, muß er zurücktreten,

    ansonsten herrscht Anarchie.

  • Der SPD-Typ leistet aber auch keinen schlechten Beitrag dazu, dass die rechtsextreme Stimmung im Land noch weiter angeheizt wird. Seinen Brief nennt man gemeinhin Öl ins Feuer gießen. Oder anders gesagt: Wer auf den braunen Terror mit der Forderung reagiert, das Asylrecht noch weiter zu verschärfen bzw. Deportationen zu beschleunigen, der ist kaum mehr von den Nazis zu unterscheiden, die Flüchtlingsheime anzünden - verzeihung: ich wollte natürlich sagen: besorgte Bürger und Asylkritiker.

    • @Rudeboy:

      Was ist denn falsch daran, abgelehnte Asylbewerber, die auch keine Duldung erhalten haben, abzuschieben. Gestern stand in der TAZ "Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ermittelte laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung, dass in den vergangenen Jahren kaum 15 Prozent der rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber tatsächlich ausreisten oder abgeschoben wurden."

      Diese Zahlen tragen sicher nicht zu einer Willkommenskultur bei.

    • @Rudeboy:

      War ja im Dritten Reich auch so: Die Mitläufer haben den Radikalen den Durchbruch ermöglicht. Wird auch wieder so kommen, wenn die Entwicklung so weiterläuft. Und sie läuft bereits seit 20 Jahren kontinuierlich unter den Augen der Öffentlichkeit und der verantwortlichen Obrigkeit ab. Ungehindert.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "dass die Stimmung innerhalb der Bevölkerung zu kippen droht"

     

    Da wird man ihn nun zur Räson peitschen, aber es ist nichts anderes als das, wovor schon Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung warnten. Dass die durch den kapitalistischen Fortschritt potenzierten Prozesse der Überbürokratisierung und Entfremdung, des enthemmten Wettbewerbs und der alle gesellschaftlichen Bereiche und die Individuen im Innersten bestimmende Fortschritt des Kapitals in einem Rückfall auf das Stadium der Lurche münden werden.

  • 2G
    23854 (Profil gelöscht)

    Der Herschende Rassistische Zeitgeist in Deutschland wird bewust erlebt.

    Sie sind das Volk. Die andere desintegrirte Pak.

    Man ist immer in einem verchältnis zu dem Zeitgeis. In seinem verweigern oder nachbetend untewegst.

    Der Stimmung wird in den Bevölkerung kippen ?

    Es kommt zu Kraft der Entscheidung.

    Die Klima macher schweigen.

    Man kommt nicht zu recht mit Menschen die Hilfs bedurftig sind?

    Das kan man aber wirtlich nicht so abkaufen.

    Das der Volk beser organisirt sich zeigt bei vernichtung von mennschen das wiessen wir.

    Bei solche morderischen aufgabe kommt zu schau die ganze Empatie das Volkes anderen gegenüber.

  • Ein SPD-Mann fordert, die Schulpflicht für Flüchtlingskinder auszusetzen ?!

    Wie erbärmlich ist das denn? Und nicht nur erbärmlich, sondern auch reichlich dumm: Nicht ist wichtiger als die Schule, wenn wir daran interessiert sind, daß diejenigen Kinder von Flüchtlingen, die hier bleiben, sich integrieren können.