„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Und das ist jetzt also besser hier?
Mit DVDs, einem Kulturbeutel und drei Zeitschriften landete ich in Deutschland. Ich habe das Gefühl, zwischen zwei Kriegen eingeklemmt zu sein.
Ich habe immer daran geglaubt, dass man seine Lebensumstände ändern könne, wenn man nur genug arbeitet und sich gegen Ungerechtigkeiten wehrt. Alle, die ihr Leben bei der Überquerung des Mittelmeers aufs Spiel setzen, habe ich deshalb verurteilt. Außerdem habe ich immer geglaubt, Afrika sei selbst in der Lage, seinen Völkern den Frieden und die Würde zurückzugeben und sich weiterzuentwickeln.
Wieso tun sich afrikanische Länder dann aber immer noch so schwer damit, auch das Prinzip der Demokratie und andere Menschenrechte zu übernehmen? Obwohl sie doch so viel von der abendländischen Kultur, von ihrer Sprache, ihrer Religion, ihrem Kapitalismus und alledem übernommen hat, geerbt oder nachgeahmt.
Man kann wie ich aus einer Diktatur in eine Demokratie flüchten, aus Kamerun nach Deutschland. Aber es bleibt die Frage, ob die Demokratie allein überhaupt garantieren kann, dass Menschenrechte anerkannt werden. Meine Erfahrungen als politisch engagierter und verfolgter Regisseur in Kamerun, später dann als Asylbewerber in Deutschland erlauben es mir, mich zwischen den beiden Welten dieser Frage zu nähern. Man muss sowohl in Afrika als auch in Europa gelebt haben, um sich überhaupt eine Vorstellung von Demokratie und Menschenrechten machen zu können.
Mir ist klar geworden, dass die Entwicklung Afrikas nicht von seinem wirtschaftlichen Potenzial abhängt, sondern von der politischen Willkür seiner Führer. Warum finden die politischen Machtwechsel in den afrikanischen Staaten nie ohne Bürgerkrieg statt?
Die Person: Der Regisseur Richard Djif wurde 1978 in Kamerun geboren. In der Hauptstadt Yaoundé studierte er Theater- und Filmwissenschaften und engagierte sich politisch.
Das Werk:Seine sozialkritischen Filme sprechen missachtete Kinderrechte an oder die Korruption in Kamerun und die Auswanderung. Nach seiner 2013 erschienenen Satire über die Amtszeit des Präsidenten Biya – er regiert seit 1982 – wurde der Filmemacher inhaftiert und gefoltert. Wieder in Freiheit lud ihn die Uni Bayreuth zu einem Filmfestival ein. Djif blieb, ihm droht die Abschiebung. In Deutschland wirkte er bisher an Theaterprojekten und einem Film mit.
Den Film zensiert
Damit wollte ich mich in meinem Film „139 – die letzten Raubtiere“ beschäftigen. Ich wollte die Dynastie anprangern, die sich im Kongo, in Togo und Gabun etabliert hat, als Joseph Kabila, Faure Gnassingbé Eyadéma und Ali Bongo – alle Präsidentensöhne – ihren Vätern folgten. Aber vor allem wollte ich den Ewigkeitsanspruch des kamerunischen Staatschefs Paul Biya anprangern, der 2012 schon seit 30 Jahren an der Macht war.
Biya hatte 2008 eine Verfassungsänderung durchgesetzt, um in Kamerun für immer zu herrschen. Aber wie ewiges Vertrauen in eine Regierung erlangen, die es überhaupt nicht versteht, Prioritäten zu setzen?
Die Jugend besucht Universitäten, deren Laboratorien die Reagenzgläser fehlen, Filmemacher machen ihren Abschluss, ohne jemals eine Kamera aus der Nähe gesehen zu haben. Seit der Unabhängigkeit gibt es nicht mehr genug Trinkwasser für die Bevölkerung.
In einer 16-teiligen Serie haben wir Flüchtlinge gebeten, uns das zu erzählen, was ihnen jetzt gerade wichtig ist. Wie erleben sie Deutschland, worauf hoffen sie, wie sieht ihr Alltag aus? In ihren Ländern waren sie Journalisten, Autoren, Künstler. Sie mussten Syrien verlassen, Russland, Aserbaidschan oder Libyen. Jetzt sind sie in Deutschland. Was sie zu sagen haben, lesen Sie im Oktober täglich auf taz.de. Alle Geschichten gebündelt gibt es in der taz.am wochenende vom 2./3./4. Oktober, erhältlich am eKiosk.
Warum nicht eine Regierung anprangern, die das Land regelmäßig an die Spitze der korruptesten Länder der Welt geführt hat? Mein Film, der eine Parodie auf die Regierung und eine Karikatur der politischen Machtverhältnisse in Kamerun ist, wurde zensiert, bevor er in Kamerun überhaupt gesendet werden konnte.
Die Morddrohungen kamen übers Telefon
Zwischen 2011 und 2013 wurde ich massiv unter Druck gesetzt, um die Verbreitung des Films zu unterbinden. Von seiner Ankündigung bis zu seinem Erscheinen in Kamerun im Februar 2013 erhielt ich anonyme Morddrohungen am Telefon und per SMS. Am 23. März 2013 schließlich wurde ich verhaftet. Ich verbrachte elf Tage in Gefangenschaft und wurde von der Geheimpolizei gefoltert. „Wer sind Ihre Komplizen, Ihre Unterstützer?“, wollten sie immer wieder von mir wissen. „Mit Ihrem Film gefährden Sie die innere Sicherheit. Dafür werden Sie bezahlen.“
Diese Aussagen erinnerten mich ständig an jene des staatlichen Direktors für Filmkunst, der mir einige Jahre zuvor, als ich um die Erlaubnis bat, meinen Film verbreiten zu dürfen, gesagt hatte: „Ihr Film fordert den politischen Wechsel in Kamerun. Er könnte Jugendliche zur Revolte bewegen, deswegen muss ich Ihnen gegenüber deutlich werden, mein Sohn. Das ist ein gefährlicher Film. Sie müssen unsere Bedingungen zu seiner Verbreitung akzeptieren.“ Diese Bedingungen sahen natürlich vor, „besonders kritische“ Szenen herauszuschneiden, aus denen deutlich wurde, um welche politischen Persönlichkeiten Kameruns es sich handelte.
Unter dem Druck nationaler und internationaler Organisationen wurde ich in der Nacht auf den 5. April 2013 schließlich freigelassen. Während meines fünftägigen Krankenhausaufenthaltes ließ die Polizei keine Besucher zu mir vor, als sei ich ein Krimineller. Mein Finger war doppelt gebrochen, ich stand unter Schock. Trotzdem hörte die Polizei nicht auf, mich noch auf dem Krankenhausbett zu vernehmen. Fünf Tage später teilte mir ein Polizist mit, dass mich ein hochrangiger Beamter verhören würde.
Ich bat um Polizeischutz
Dieser Beamte fragte mich immer wieder nach meinen Beziehungen zum Verein zur Verteidigung der Rechte der kamerunischen Studenten, dessen Gründungsmitglied ich bin. Seit 2005 hat dieser Verein mit friedlichen Protesten auf die prekären Umstände an den Universitäten des Landes aufmerksam gemacht. Nach dem Verhör mit all den üblichen Fragen schickte er mich nach Hause und sagte mir, ich hätte nichts zu befürchten. Ich bat ihn um Polizeischutz, und er entgegnete: „Sie können doch aufhören, diese Art von Filmen zu machen, die ohnehin nur auf Lacher abzielen. Oder unterrichten Sie Theater an der Universität. Wenn Sie weiterhin politisches Kino machen, müssen Sie mit den Konsequenzen leben.“
Danach fühlte ich mich nicht mehr sicher. Freunde drängten mich, das Land zu verlassen – nach Europa, wo die Menschenrechte respektiert würden. Meine Familie und meine Mitstreiter bei dem Filmprojekt schwärmten mir von der vollkommenen Moral dieses Europas vor und drängten die EU-Vertretung in Yaoundé immer und immer wieder, mich aus Kamerun auszufliegen. Jedes Mal, wenn ich zur Behandlung meines Fingers ins Krankenhaus musste, verfolgten mich die Spezialeinheiten. Einige Zeit versteckte ich mich bei einer Bekannten.
Dann erhielt ich eine Einladung der Universität Bayreuth, die zu ihrem African Film Festival eine Konferenz zum politischen Kino und seiner Zensur in Afrika organisierte.
Ich erreichte den Flughafen Nürnberg am 3. November 2013, in meinem Koffer ein halbes Dutzend DVDs mit meinem Film, einen Kulturbeutel und drei Zeitschriften. Der Film wurde sehr gut aufgenommen und wir führten viele bereichernde Diskussionen. Nach zwei Tagen legte sich der Enthusiasmus. Sollte ich nun nach Kamerun zurückkehren, wäre meine Zukunft wieder ungewiss.
Die nächste Schlange: Fingerabdrücke nehmen
Fünf Tage nach meiner Ankunft in Nürnberg entschied ich schließlich, Asyl zu beantragen. Ein Student, den ich bei dem Filmfestival in Bayreuth kennengelernt hatte, zeigte mir die Adresse, zu der ich dafür musste, und verschwand, bevor ich das Gebäude betreten hatte.
Die Zahl der Asylbewerber im Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin verblüffte mich. Ich wartete fast zwei Stunden, um mich zu registrieren. Nachdem ich meine Beweggründe, Asyl zu beantragen, genannt hatte, schickte man mich in die nächste Schlange, um meine Fingerabdrücke zu nehmen. Französischsprachige Ansprechpartner gab es kaum.
Jemand schickte mich zu einem Büro, in dem ich von einer wie programmiert lächelnden Frau ein Bahnticket bekam. Sie versuchte, mir zu erklären, wo ich die U-Bahn nehmen und wie oft ich umsteigen müsse. Sie sprach kein Französisch, bemühte sich aber, in ihrem Deutsch möglichst viel Englisch unterzubringen. Ich musste sie irgendwie trotzdem verstehen, denn ich durfte auf keinen Fall den Zug verpassen. Er sollte 30 Minuten später vom Alexanderplatz abfahren und ich musste erst mal von der Turmstraße wegkommen. Jedenfalls verstand ich, dass ich um 23 Uhr Eisenhüttenstadt erreichen musste. Ich kam rechtzeitig von der Turmstraße los, aber erst am nächsten Abend um 20 Uhr in Eisenhüttenstadt an. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Berlin meinte ich gehört zu haben, dass ich in Eisenhüttenstadt in ein Hotel kommen würde. Stattdessen empfingen mich zwei Herren in Uniform. Ich übergab ihnen das Dokument, das ich mitgebracht hatte, und sie gaben mir einen Teller, eine Gabel, ein Messer und eine Bettdecke.
Sie brachten mich in einen Gemeinschaftsraum, in dem sich Menschen unterschiedlicher Herkunft befanden. Viele litten unter chronischem Husten. Es gab mehr als ein Dutzend Betten, die sich kaum von denen unterschieden, die in den Behelfskrankenhäusern in Kamerun stehen. In dem Raum hörte ich die ganze Zeit Lärm von den angrenzenden Fluren. In der Nacht tat ich kein Auge zu. Am nächsten Tag ging der Prozess der Registrierung mit Fingerabdrücken und Fotos weiter.
Ich bemerkte, dass ein Großteil der Menschen dort aus jenen Regionen kam, die auf der Weltkarte von Armut, Krieg und Diktaturen besonders sichtbar sind – das Afrika südlich der Sahara, Asien oder Osteuropa. Das Personal der Einrichtung behandelte die Einwanderer meist respektlos. Uns wurde gesagt, dass jeder Asylbewerber einen Brief mit der Ankündigung seiner Anhörung bekäme, in der er die Gründe für seine Flucht erläutern sollte. Auch ich bekam eines Abends einen Brief, den ich aber nicht entziffern konnte. Die Dame sagte mir nur, ich müsse mich am nächsten Tag in Büro Nummer 2 melden.
Als mir klar wurde, dass es sich bei diesem Termin um jene berühmte Anhörung handelte, war ich entsetzt. Menschenrechtsorganisationen, die unsere Einrichtung besucht hatten, hatten uns gesagt, dass die Ankündigungen solcher Anhörungen eine Woche im Voraus zugestellt und außerdem in unsere Landessprache übersetzt würden. Meine Ankündigung hatte ich 12 oder 14 Stunden vorher zugestellt bekommen – nicht übersetzt.
Mein Kopf tat weh
Gleich nachdem ich das Büro betreten hatte, stellte mir die Übersetzerin die Richterin vor, die das Gespräch führen würde. Ich wollte diese Anhörung nicht. Ich hatte in der Nacht nicht geschlafen, mein Kopf tat weh und ich war nicht darauf vorbereitet, über eine so schmerzvolle Episode meines Lebens zu sprechen. Die Richterin wies mich autoritär darauf hin, dass sie die Einzige sei, die über mein Asylgesuch entscheiden könne, und dazu sei ich ja wohl hier. Es blieb mir am Ende also nichts anderes übrig, als alles über mich ergehen zu lassen.
Die Richterin sagte mir kurz vor Ende, ich sei arrogant, weil ich während der ganzen zwei Stunden des Gesprächs die Arme verschränkt hatte. Sie fügte hinzu, dass ich in Kamerun doch ein sicheres Leben führen könne, wenn ich nur aufhören würde, politische Filme zu machen. Sie sehe keinen triftigen Grund für mich, Asyl zu beantragen.
Ich weigerte mich, das Gesprächsprotokoll zu unterschreiben. Doch das änderte nichts. Sie hatte mit allem gerechnet und schickte das Protokoll an meinen Anwalt. Daraufhin wurde ich in eine andere Stadt gebracht: Wittenberge. Ich stand unter Residenzpflicht – besaß weder das Recht, rauszugehen noch zu arbeiten oder zu studieren. Ich wurde mehrfach eingeladen, meinen Film zu präsentieren, aber die zuständige Behörde verweigerte mir die Erlaubnis, zu fahren. Monatelang kämpfte ich für einen Krankenschein, um Rückenschmerzen behandeln zu lassen, die noch von der Folter in Kamerun herrührten.
Antrag abgelehnt
Nach einem Jahr lehnte die Richterin meinen Asylantrag ab. Die Begründung: Kamerun sei ein Staat, „der die Menschenrechte respektiere“, dass es mehreren in Kamerun verfolgten Kriminellen gelungen sei, sich den Machthabern zu entziehen, und dass ich dort einfach in eine andere Stadt ziehen könne, „um ein ruhiges Leben zu führen“. Mein Anwalt legte Einspruch ein. Seitdem warte ich auf das Ergebnis.
Direkt neben der Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt befand sich ein Abschiebegefängnis. Es war voll von Leuten, die das Verbrechen begangen hatten, vor Armut oder Krieg zu fliehen. Die europäischen Politiker behandeln sie wie Abschaum, wollen sie verstoßen und als Wirtschaftsflüchtlinge in ihre Heimatländer zurückschaffen, um noch mehr Wählerstimmen zu bekommen. Als sei Armut ein Verbrechen.
Bis jetzt suche ich die Menschenrechte in Europa vergeblich. Die Zuwanderung ist zu groß geworden und könnte die Aufnahmekapazitäten gewisser europäischer Staaten übersteigen.
Ist das nicht vielleicht der Moment, um das Übel an der Wurzel zu packen?
Wenn die großen Player wie die Vereinigten Staaten und die EU weiter militärische Konfliktlösungen befürworten, wenn sie weiter afrikanische Diktaturen aus wirtschaftlichen Interessen unterstützen, müssen sie die Flüchtlinge aufnehmen, die sie mit ihrer Rüstungsdiplomatie und ihrer Wirtschaftspolitik in Afrika und in der Welt produzieren.
Ich habe das Gefühl, zwischen zwei Kriegen eingeklemmt zu sein, zwischen Afrika und Europa. Wenn man betrachtet, wie sich Deutschland von seiner Vergangenheit befreit hat, wie es sich zu einem Ort der Zuflucht in Europa entwickelt hat, sollte man doch denken, dass die Hoffnung auf Frieden und Wohlstand für alle möglich ist.
Aus dem Französischen übersetzt von Johanna Roth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe