Angeklagter über G20-Rondenbarg-Prozess: „Politisch viel zu gewinnen“
Yannik U. sieht in den G20-Staaten den greifbarsten Ausdruck des Kapitalismus. Nun steht er in Hamburg vor Gericht, weil er an einer Demo teilnahm.
taz: Herr U., die am Donnerstag startende Verhandlung gegen Sie ist Auftakt für Dutzende weitere Verfahren rund um die Proteste am Rondenbarg gegen den G20-Gipfel. Wie fühlt es sich an, diesen Mammutprozess zu eröffnen?
Yannik U.: Uns fünf Angeklagten ist klar, dass an diesem Verfahren mehr hängt als das, was wir individuell als Strafe zu erwarten haben. Das Pilotverfahren wird maßgeblich den Verlauf der 68 anderen Verfahren mit beeinflussen. Und die Frage, die da verhandelt wird, ist von immenser politischer Tragweite.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich habe mich um bestmögliche Ausgangsbedingungen bemüht, also mit meiner Familie gesprochen, bin anwaltlich gut vertreten und werde an meinem Ausbildungsplatz keine Probleme bekommen. Auf der anderen Seite gibt es die inhaltlich-emotionale Ebene: Wenn man mit Repression konfrontiert wird, kommt man ins Zweifeln und fragt sich, ob sich das gelohnt hat. Ich versuche, mich davon nicht so stark beeindrucken zu lassen. Wenn ich mich frage, warum ich nach Hamburg gefahren bin, denke ich: Ich würde es wieder machen.
Warum sind Sie nach Hamburg gefahren?
G20 ist ja schon ein bisschen tot diskutiert. Aber rückblickend gab es mehrere Gründe. Allein der Ort war ja eine Provokation. Aber auch der Gipfel an sich: Die G20 als wirtschaftsstärkste Nationen der Welt, die als Gremium nicht legitimiert sind, aber absprechen, wie sie ihre Interessen aufeinander abstimmen können. Das ist zwar diplomatisch, aber es ist klar, dass die gleichen Staaten, wenn es mit diplomatischen Mitteln nicht mehr geht, auch bewaffnete Kriege führen. Da sitzt die Türkei am Tisch, die Rojava angegriffen hat, und Deutschland und Frankreich, die in die ganze Welt Waffen exportieren. Es geht ihnen immer darum, Rohstoffe und Absatzmärkte zu erschließen. Die G20 sind der greifbarste Ausdruck des Kapitalismus und der Konkurrenz untereinander. Dass so was Protest verdient, war für mich selbstverständlich.
Wo verorten Sie sich politisch?
Ich würde mich als Kommunist bezeichnen. Ich glaube, dass der Kapitalismus nicht reformierbar ist, er muss revolutionär überwunden werden. Dafür brauchen wir Gegenmacht, also Organisierung, linke Infrastruktur, eigene Öffentlichkeit und eine neue Form von Kultur, frei von Konkurrenz. In Stuttgart bin ich vor allem in internationalistischen und antifaschistischen Zusammenhängen aktiv.
20, wohnt in Stuttgart und hat im September 2019 eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich begonnen. Er wurde 2017 mit mehr als 70 anderen bei einer Demo am Rondenbarg gegen den G20-Gipfel festgenommen.
In der nächsten Zeit müssen Sie erst mal wöchentlich von Stuttgart nach Hamburg pendeln.
Aber wir erfahren von vielen Seiten Unterstützung, etwa in Form von Spenden und Unterbringung in Hamburg. Auch die politische Begleitung des Prozesses gibt uns mega viel Kraft. Es gibt einen Blog von der Roten Hilfe und die bundesweite Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“, sowie eine bundesweite Demo am 5. Dezember, die unser Verfahren thematisiert und fordert, dem als gesamte linke Bewegung offensiv zu begegnen.
Stellen Sie sich darauf ein, in den Knast zu gehen?
Nein, nicht wegen dieses Verfahrens. Was soll da für eine Strafe für uns rumkommen, vier Jahre nach dem Gipfel? Uns wird ja nichts vorgeworfen, außer dass wir dabei waren. Da macht man sich ja eher lächerlich, wenn man überhaupt verurteilt.
Was ist am Rondenbarg passiert?
Der Demonstrationszug wurde auf dem Weg in die Innenstadt in der Straße Rondenbarg von vorne von der brutalen Blumberger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, und von hinten von einer Hundertschaft und zwei Wasserwerfern eingekesselt und zerschlagen. Das Ergebnis ist bekannt: über 50 Festnahmen und 14 Leute im Krankenhaus, mit teilweise offenen Brüchen, angeknacksten Halswirbeln, Stauchungen. Die Polizeivideos zeigen die Vehemenz: Es ging der Polizei nicht darum uns zu kesseln, sondern den Demozug zu zerschlagen. Ich wurde zum Glück nicht verletzt und bin in die Gefangenensammelstelle gekommen.
An was aus der Gefangenensammelstelle erinnern Sie sich noch?
Die schier unmenschliche Abarbeitungsstraße. Man kam in diese Abarbeitungsstraße, wurde durchsucht, alles wurde einem abgenommen, manche mussten sich komplett ausziehen. Dann die Identitätsfeststellung, dann die kleinen Zellen mit halbstündlicher Lebenskontrolle und permanent hellem, künstlichem Licht. Ohne Tageslicht, das war komplett unmenschlich aufgebaut, eine Abarbeitung im technischen Sinne, zum Abkapseln und Inhaftieren der Protestierenden. Ich war da zum Glück nur bis nachmittags, weil ich minderjährig war.
Wie hat die Festnahme und das Darauffolgende Ihr Leben verändert?
Die Unsicherheit nach der Festnahme wurde bei mir schnell im kollektiven Rahmen aufgefangen. Ja, es wird einschränkend sein, immer nach Hamburg zu gurken, und auch nicht stressfrei. Aber ich sehe es als Herausforderung und führe mein Leben erst mal normal weiter, das ist auch gesünder als sich Panik zu machen. Außerdem gibt es politisch einiges zu gewinnen.
Ach ja? Was denn?
Juristisch wird es darum gehen, ob sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem Angriff auf das Demonstrationsrecht durchsetzt oder nicht.
Die Staatsanwaltschaft bezieht sich auf den Bundesgerichtshof (BGH), der im Mai 2017 urteilte, dass das Mitmarschieren in einer gewaltbereiten Menge ausreicht, um den Tatbestand des Landfriedensbruchs zu erfüllen. Eine individuelle Täterschaft ist danach nicht erforderlich. Allerdings gilt das laut dem BGH für Hooligans und nicht für politische Demonstrationen.
Man will uns für die pure Teilnahme an der Demo mit verantwortlich machen für alles, was passiert ist. Unser Ziel ist natürlich, dass das nicht durchkommt. Und wenn wir es schaffen, als Angeklagte und als linke Bewegung diesen Prozess kollektiv und politisch zu führen, können wir daran wachsen. Wir können Strukturen aufbauen, politische Inhalte vermitteln für die wir stehen, uns vernetzen. Mit so einem Verfahren wird natürlich bezweckt, uns einzuschüchtern, damit wir nicht aktiv bleiben. Wenn wir weitermachen, haben wir schon gewonnen.
Was bedeutet es für Sie, dass die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen wird?
Ich würde es mir anders wünschen. In der unmittelbaren Anklagesituation, wenn wir allein mit unseren Anwält*innen im Saal sitzen, wird die Ohnmacht greifbarer werden, dass man dem juristischen Geschehen ausgesetzt ist und es nicht schaffen kann, darin eine aktive Rolle einzunehmen. Beim Verfahren gegen Fabio V., dem ersten Angeklagten in Sachen Rondenbarg, hat man gesehen, dass die Öffentlichkeit ein immenser Faktor ist. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft haben es einfacher, wenn es wenig kritische Stimmen gibt, die nachfragen, ob alles rechtens ist und so sein muss oder ob mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.
Die Idee beim Ausschluss der Öffentlichkeit ist ja, junge Angeklagte zu schützen.
Wir reden hier über ein Verfahren, dass dreieinhalb Jahre nach der vermeintlichen Tat beginnt. Ein Urteil wird es voraussichtlich frühestens zum vierten Jahrestag geben, und wir können davon ausgehen, dass es damit nicht zu Ende ist, sondern eine von beiden Seiten das Urteil anfechten wird. Das Jugendstrafrecht soll uns erziehen, aber ob das noch erziehende Wirkung hat oder doch eher Ausbildung und Studium gefährdet, kann man sich schon fragen. Ich glaube, die Intention dahinter ist eine andere.
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