Angeblicher Wolfsangriff in Boitze: Lügengeschichte mit Wolf
Ein Jäger in Niedersachsen will von einem Wolf angegriffen worden sein. Ein Gutachten zeigt nun: Der Mann übertrieb gehörig.
Wochenlang hat das Ministerium die Fakten und Spuren analysiert und direkt nach Ostern einen Fährtenleser auf den Acker geschickt. „Die Schilderungen des Jägers sind mit den durch Spuren nachvollziehbaren tatsächlichen Vorkommnissen nicht in Übereinstimmung zu bringen“, antwortet Niedersachsens grüner Umweltminister Stefan Wenzel auf eine Anfrage der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. „In unmittelbarer Umgebung des Orts des geschilderten Geschehens fand sich keine Wolfsfährte.“
„In gestrecktem Galopp, das Maul leicht geöffnet“ sei der Wolf auf ihn losgegangen, als er vom Hochsitz stieg, hatte Jäger Rolf K. Anfang April zu Protokoll gegeben. Er habe seine Pistole gezückt, in den Boden vor seinen Füßen geschossen, zwischen den heranrasendem Wolf und ihm. 2,20 Meter vor ihm sei das Tier dann abgedreht und in den Wald hinter ihm gerast.
Ein schwerer Vorwurf, der die gerade entstehende Beziehung zwischen Menschen und Wölfen in dem hochindustrialisierten Deutschland belastet hätte. Schließlich gewöhnen sich die Landbewohner in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen und den anderen Wolfsregionen gerade erst an die Raubtiere in ihrer Nachbarschaft. Die alten Ängste vom menschenfressenden Wolf spuken noch durch die Köpfe.
Wölfe jagen ungern Menschen
„Sehr ernst“ habe die Landesregierung den vom Jäger geschilderten Vorfall genommen, sagt Wenzel, „stellte er doch einen möglichen Paradigmenwechsel im Verhalten frei lebender Wölfe in Deutschland dar.“
Wölfe sind vorsichtige Jäger, ausgewachsene Menschen sind ihnen zu gefährlich. Bei ihren bevorzugten Beutetieren Reh, Hirsch, Wildschwein suchen sie sich kranke oder junge Tiere.
Dennoch haben Wölfe schon Menschen angegriffen, auch in Europa. Im 20. Jahrhundert haben Wölfe in Polen fünf Kinder getötet, in Spanien vier Kinder unter zehn Jahren. Seit 1974 hat es keinen Angriff eines Wolfs auf einen Menschen in Europa gegeben. Die Geschichte von Rolf K. weckte daher Zweifel bei den Experten des niedersächsischen Wolfsmonitorings.
War es doch ein Fuchs?
Das Umweltministerium schickte den professionellen Tierspurenleser Joscha Grolms auf den Acker bei Boitze. Von Mittag bis Sonnenuntergang und am nächsten Tag von sechs Uhr morgen an habe er den Acker „akribisch“ untersucht. 24 Meter vom Hochsitz entfernt habe er eine „Caniden-Spur“ gefunden, also die Fußabdrücke eines Hundeartigen, zu denen auch die Wölfe zählen. Die Spur führte allerdings in geschnürtem Trab fort vom Hochsitz.
„Ich habe keine Hinweise auf einen Galopp gefunden“, sagt Grolms. Er hat zudem Spuren von Rehen und Füchsen gefunden. Die genetische Untersuchung von Haaren am Hochsitz hat ergeben, dass dort auch ein Fuchs ging.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr