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Andreas Speit Der rechte RandWo Rechte im Norden das Auto schon als Waffe nutzten

Seit Montag muss sich vor dem Kieler Landgericht Melvin S. wegen versuchten Totschlags verantworten, weil der heute 22-Jährige vor fast drei Jahren mit seinem Pick-up am Rande einer AfD-Veranstaltung gezielt Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen angefahren haben soll. Die Attacke in Henstedt-Ulzburg war jedoch nicht der erste Angriff rechter Täter mit einem Auto – auch im Norden hatten solche Taten traumatischen Folgen für die Opfer.

Im Mai 1989 raste der damalige FAP-Funktionär und heutige NPD-Bundesvize Thorsten Heise in Nörten-Hardenberg bei Göttingen mit einem Kübelwagen auf einen libanesischen Asylbewerber zu. Der Mann rettete sich nur durch einen Sprung ins Gebüsch. Die Kameraden von Heise beschossen den Asylbewerber danach noch mit Tränengas. Das Landgericht Göttingen erkannte im Juli 1991 zwar an, das für den Betroffenen eine „zweifellos lebensgefährliche Situation“ bestanden habe, doch die Rich­te­r*in­nen betrachteten den Vorfall letztlich als „Geschehen aus einer Bierlaune heraus“ und bewerteten die Tat juristisch bloß als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Das Urteil fiel entsprechend milde aus: Heise bekam nur zwei Jahre auf Bewährung.

Am 19. September 1998 fuhr ein Rechtsex­tremer in Rostock bei einer Demonstration gegen die NPD einen 28-Jährigen an. Der Fahrer fuhr, so Zeug*innen, „mit hohem Tempo, ohne zu bremsen gegen ihn und setzte danach die Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fort“. Der 28-Jährige wurde bei der Attacke über das Auto geschleudert und lebensgefährlich verletzt. Erst nach Wochen war er im Krankenhaus außer Lebensgefahr. Er leidet bis heute an Folgen des Angriffs – wie auch mehrere Betroffene aus Henstedt-Ulzburg, die noch immer mit körperlichen und psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

In Rosche im Landkreis Uelzen gingen Anfang der 2000er-Jahre Rechtsextreme verstärkt militant gegen Flüchtlingsunterkünfte vor. Linke Ak­ti­vis­t*in­nen versuchten das über längere Zeit hinweg zu verhindern. Am späten Abend des 30. Juni 2000 attackierten dann zwei Rechtsextreme mit einem Auto mehrmals die Aktivist*innen. Einer von ihnen musste sich an einer Bushaltestelle durch einen Sprung zur Seite retten, ein anderer konnte sich auf einem Fußgängerweg gerade noch in Sicherheit bringen, sodass die Rechtsextremen ihn nicht überfuhren.

Wie viele rechte Autoattacken es in der Vergangenheit insgesamt gab, ist nur schwer zu ermitteln. Das liegt auch an der Politik, die den rechten Terror lange Zeit nicht als ernsthafte Gefahr erkennen wollte. Der geschilderte Fall aus Nörten-Hardenberg zeigt zudem, dass das auch die Justiz betrifft. Und legt man die Pressemitteilung der Polizei zum Vorfall in Henstedt-Ulzburg zugrunde, gilt das auch für die Polizei: Diese hatte die Attacke zunächst lediglich als „Verkehrsunfall“ bezeichnet, erst nachdem sich Betroffene bei der taz meldeten und ihre Sicht schilderten, bekam der Vorfall eine neue Wendung.

Das Landgericht Göttingen bewertete eine Attacke des Rechtsextremisten Thorsten Heise mit dem Auto als „Geschehen aus der Bierlaune heraus“

Auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner im Jahr 2021 antwortete die Bundesregierung, dass dem Bundeskriminalamt zwar Zahlen von Auto-Attacken vorlägen, die Be­am­t*in­nen sie aber bislang nicht nach politischer Ausrichtung sortiert hätten: „Die bisher fehlende statistische Erfassung von Auto-Attacken durch Rassisten und extrem Rechte beruht auf der folgenschweren Fehleinschätzung der Bundesregierung, dass Auto-Attacken für rechte Täter untypisch sind“, sagt Renner. Die Attacke in Henstedt-Ulzburg zeige, wie wichtig eine Erfassung sei, so Renner.

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