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Analyse zum Krieg zwischen Iran & IsraelDrehbuch mit offenem Ende

Wie realistisch sind die Ziele von Netanjahus Regierung? Und welche Möglichkeiten bleiben dem Mullah-Regime? Szenarien, wie es weitergehen könnte.

Proben für die Eskalation? Eine iranische Militärübung in der Straße von Hormus im Jahr 2022 Foto: Iranian Army/WANA/rtr

Kairo taz | Mit jedem Tag, den der Krieg zwischen Israel und dem Iran andauert – mit jedem Schlag und Gegenschlag – wächst das Risiko einer regionalen Eskalation. Und die Anzeichen deuten darauf hin, dass es länger dauern wird. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu spricht davon, dass „es so viele Tage dauern wird, wie es eben braucht“ – und das könnten auch Wochen sein. Die iranische Führung bezeichnet den Konflikt mit Israel als langfristig, spricht von einem Abnutzungskrieg und zieht Parallelen zum Iran-Irak-Krieg (1980–1988).

Jenseits der Propaganda beider Seiten stellt sich die Frage, wie lange beide Länder das durchhalten können. In Israel herrschte am ersten Tag des Angriffs auf den Iran eine „Wir-können-alles-machen“-Euphorie. Doch mit jedem weiteren Tag iranischer Gegenschläge werden auch die Kosten dieses Krieges deutlicher.

Rein militärisch ist es ein ungleiches Kräftemessen. Israel ist technologisch weit überlegen und scheint im Iran derzeit ohne große Gegenwehr Luftangriffe nach Belieben fliegen zu können. Zudem können die israelischen Munitionsdepots nahezu endlos durch Nachschub aus den USA aufgefüllt werden.

Doch auch die Grenzen israelischer Militärmacht werden sichtbar: Die Luftangriffe schaffen es nicht, das von Netanjahu ausgerufene Ziel zu erreichen, das iranische Atomprogramm entscheidend zu treffen. Dazu bräuchte Netanjahu die direkte Hilfe der USA, die etwa über bunkerbrechende Bomben verfügen, um die unterirdischen Anlagen zu zerstören.

Atomare Abschreckung

Auf der anderen Seite steht der Iran. Dessen Führung ist vermutlich mehr denn je überzeugt, dass sie Atomwaffen braucht, um die Atommacht Israel von solchen Angriffen abzuschrecken. Die iranische Führung musste schwere Schläge einstecken: Ein großer Teil ihrer militärischen und nuklearwissenschaftlichen Kader wurde bei den israelischen Angriffen in den letzten Tagen getötet. Ihr wichtigster Stellvertreter in der Region, die Hisbollah im Libanon, ist geschwächt und kann es sich – auch aus internen libanesischen Gründen – nicht leisten, einzugreifen.

Angesichts der beiden Faktoren – eines möglicherweise langen Kriegs und der militärischen Unterlegenheit Irans – stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Teheran hat, den Konflikt so zu eskalieren, dass Netanjahu, der diesen Krieg begonnen hat, ihn wieder beendet.

Der iranische Außenminister Abbas Aragh­tschi betonte am Sonntag, dass der Iran seine Angriffe in dem Moment einstellen würde, in dem auch Israel seine Angriffe einstellt. Derzeit gibt es jedoch international keine ernsthaften diplomatischen Initiativen, den Waffengang zu beenden. Israels Verbündete, allen voran die USA, beobachten die Entwicklung und sehen einer militärischen Schwächung Irans wohlwollend zu.

Irans Möglichkeit, die Lage zu eskalieren, besteht nicht darin, mehr Raketen auf Israel abzufeuern – davon besitzt er keine unbegrenzte Anzahl –, sondern darin, den Konflikt regional und global schmerzhafter zu machen, um den internationalen Druck auf Netanjahu zu erhöhen. Dass die iranische Führung dies bisher nicht getan hat, liegt an den damit verbundenen hohen Risiken. Der Iran will um jeden Preis verhindern, dass die USA direkt militärisch eingreifen.

Der Schlüssel liegt dabei bei der Achillesferse der internationalen Wirtschaft: dem Erdöl. Eine mögliche Maßnahme wäre die Sperrung der Straße von Hormus am Arabisch-Persischen Golf. Diese am schmalsten Punkt nur gut 33 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran auf der einen sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Oman auf der anderen Seite, ist das Nadelöhr des globalen Ölhandels.

Laut US-Energiebehörde werden hier rund 20 Prozent des weltweit verbrauchten Öls durchgeschifft. Sie bezeichnet Hormus als den „weltweit gefährlichsten Engpass“. Anders als bei den Angriffen der jemenitischen Huthis auf die Schifffahrt im Roten Meer gibt es hier keine alternative Route rund um Afrika.

Zwar wurden während des Iran-Irak-Krieges in den 80ern im sogenannten „Tankerkrieg“ rund um Hormus mehrfach Schiffe angegriffen, doch vollständig geschlossen wurde die Meerenge nie. Ein solcher Schritt hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Ölwirtschaft und auf die Golfstaaten, die davon abhängen. Die iranische Führung hat in den vergangenen Tagen mehrfach angedeutet, dass ein solcher Schritt in Erwägung gezogen wird.

Eine Regionalisierung des Konflikts hätte zur Folge, dass der Krieg zwischen Israel und dem Iran internationale Priorität bekäme. Staaten wie Saudi-Arabien, die Emirate und Katar würden massiven Druck auf Washington ausüben, um eine Beendigung herbeizuführen – möglicherweise sogar als Vermittler auftreten.

Trumps Reaktion unklar

Das Risiko für die iranische Führung besteht jedoch darin, dass sie nicht weiß, wie US-Präsident Donald Trump auf eine solche Eskalation reagieren würde. Würde er Netanjahu zurückpfeifen oder direkt in den Krieg eintreten? Letzteres möchte der Iran um jeden Preis vermeiden – doch genau darauf hofft Netanjahu seit Beginn seines Angriffs.

Das gilt umso mehr für ein weiteres mögliches iranisches Eskalationsszenario: Der Iran oder eine seiner Stellvertreter-Milizen könnten US-Stützpunkte in der Region angreifen, etwa in Kuwait oder im Irak. Bisher hält Teheran seine schiitischen Milizen im Irak zurück, obwohl diese bereits ihre Einsatzbereitschaft erklärt haben.

Auch damit würde der Iran den Konflikt auf die gesamte Region ausweiten. Trägt er den Krieg in arabische Nachbarstaaten, wächst dort das Interesse, den Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran rasch zu beenden – bevor er vollends außer Kontrolle gerät und sie mit hineingezogen werden.

Doch auch das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Zwar ist US-Präsident Trump für seine „America First“-Politik bekannt und hat wenig Appetit, erneut US-Truppen in die weite Welt zu entsenden. Aber ein direkter Angriff auf US-amerikanische Soldaten könnte die Balance zwischen diplomatischen Bemühungen und direkter militärischer Reaktion kippen – zugunsten Letzterer.

Für die iranische Führung wird bei ihren Entscheidungen ausschlaggebend sein, inwieweit sie sich existenziell bedroht fühlt. Netanjahu begründet seine Offensive neben dem Ziel der Zerstörung des Atomprogramms auch damit, dass er hofft, die iranische Bevölkerung könnte sich gegen das Mullah-Regime erheben. Tatsächlich haben viele oppositionelle Iranerinnen und Iraner, vor allem im Exil, die israelischen Angriffe auf militärische Ziele begrüßt.

Doch je länger der Krieg dauert, je mehr Infrastruktur zerstört und Zivilisten getötet werden, desto mehr könnte sich die anfängliche Feierstimmung in Angst und Nationalismus verwandeln. Der Hass auf das eigene Regime könnte vom patriotischen Schulterschluss mit ihrem Land unter ausländischem Beschuss verdrängt werden.

Namenlose israelische Amtsträger haben in den letzten Tagen angedeutet, dass auch eine Tötung Ajatollah Ali Chameneis „nicht off limits“ sei. Offizielle israelische Statements dazu gibt es nicht. Doch die Botschaft ist klar: Auch die höchste Führungsebene ist nicht sicher.

Was aber würde eine Enthauptung des Mullah-Regimes für die Menschen im Iran bedeuten? Sicherlich nicht, dass am nächsten Tag die Opposition oder Frauen ohne Kopftuch die Macht übernehmen

Was aber würde eine solche Enthauptung des Regimes für die Menschen im Iran bedeuten? Sicherlich nicht, dass am nächsten Tag die Opposition oder Frauen ohne Kopftuch die Macht übernehmen. Wahrscheinlicher wäre ein Machtvakuum – mit einem konservativen Lager, das nicht bereit ist, friedlich Platz zu machen, zumal viele – vor allem unter den Revolutionsgarden – auch massive wirtschaftliche Interessen haben, den Status quo beizubehalten. Ein Regimewechsel von außen wäre ein Rezept für Chaos.

Wie schlecht solche erzwungenen Umstürze funktionieren, hat der Sturz Saddam Husseins 2003 im Irak gezeigt. Damals waren die USA sogar bereit, 130.000 Soldaten zu entsenden – und trotzdem folgten Jahre des Chaos. Am Ende entstanden in Bagdad Regierungen, die dem Iran hörig waren – das Gegenteil dessen, was sich der damalige US-Präsident George W. Bush auf einem US-Flugzeugträger vor dem „Mission Accomplished“-Banner vorgestellt hatte, als er dort seine Irak-Siegesrede hielt.

Ein Regimewechsel aus der Luft durch israelische Kampfjets wäre noch absurder – mit hoher Wahrscheinlichkeit würde er in Chaos und Bürgerkrieg für die Iraner enden. Netanjahu wäre das einerlei. Sein Ziel ist es, eine gegnerische Regionalmacht auf absehbare Zeit zu schwächen und mit sich selbst zu beschäftigen.

Er wird seine Angriffe fortsetzen, solange ihm international – vor allem von den USA – freie Hand gelassen wird. Mit jedem Tag schwächt er den Iran militärisch mehr. Und die Iraner werden so lange zurückschießen, wie sie können, und sie haben Eskalationsszenarien in der Schublade, die den Krieg über Nacht auf die Region und international ausweiten können.

Der Weg zum Ausstieg wäre internationaler Druck – und beiden Seiten die Möglichkeit zu geben, gesichtswahrend aus diesem Krieg herauszukommen. Wenn das nicht geschieht, wird das nahöstliche Drehbuch zu einem Drama in Überlänge, das selbst von seinen Autoren nicht mehr kontrolliert werden kann.

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2 Kommentare

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  • Das unwahrscheinlichste Szenario dürfte sein, dass die Beteiligten ihren Verstand benutzen, einsehen das militärische Operationen für keine Seite zielführend sind und Verhandlungen aufnehmen.

    Ein Lernprozess aus der Geschichte müsste eigentlich sein, dass militärische Lösungen keine Probleme beseitigen sondern sie bestenfalls verlagern. Das aber auf Kosten von zivilen Leben.

    Im Ersten Weltkrieg waren 90% der Opfer Soldaten. In den Konflikten des 21 Jahrhunderts sind es zu 90% Zivilisten.

    Das sollten die Staatsführer sich auf die Fahnen schreiben und sich darauf besinnen zurück zu einer regelbasierten Ordnung zu finden.

    Es ist schon traurig genug, wenn Hegemonialmächte wie die USA oder China meinen, eine völkerrechtszentrierte Weltordnung sei nur solange akzeptabel sofern nicht ihre eigenen Interessen dadurch berührt werden.

    Da sollten kleinere Staaten lieber Kooperationsbündnisse eingehen anstatt sich in Konflikten gegenseitig zu schwächen.

    Denn wie wir zukünftig leben werden, wird davon abhängen was wir derartigen Mächten entgegensetzen.

  • Der Iran könnte auch einfach einem Deal zustimmen und sein Atomwaffenprogramm umgehend einstampfen, das angereicherte Uran abgeben, die Unterstüzung für die Terrorgruppen Hamas, Hisbollah und Huthi beenden. Entspricht auch nicht ganz dem Völkerrecht (für die Fraktion, die dies permanent von Israel einfordert) (der Iran hat den NPT Vertrag 1970 unterzeichnet). Anschließend dürfte er auch wieder mehr Erdöl/gas exportieren. Dies dürfte doch ganz im Sinne des orangenen Dealmakers sein....