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Analyse zum Grünen-Parteitag Partei der Frauen

Jung, weiblich, mutig – und pragmatisch statt moralistisch: Kolumnist Udo Knapp meint, die Parteispitze um Brantner, Lang und Co. könnte eine neue Phase grüner Politik einleiten.

Gesicht der Zukunft? Bundesvorsitzende Franziska Brantner formuliert auf dem Parteitag Grundsätze Foto: picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg

taz FUTURZWEI | Die neue Grüne Führungselite wird von jungen Frauen dominiert. Das war bei der 51. Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover klar zu sehen. Sie brauchen keine Quoten mehr, sie sind die Partei.

Das wird sich zu einem Alleinstellungsmerkmal in der Parteiendemokratie der Republik weiterentwickeln. Generell präsentierte sich am vergangenen Wochenende die nächste Generation des Grünen Führungspersonals – viele davon sind sich angstfrei und reflektierend artikulierende junge Leute.

Sie kommen aus großen und aus kleinen Kreisverbänden, aus Städten und aus vielen ländlichen Gemeinden. Sie sind Bürgermeister, Abgeordnete, auf allen Ebenen der Selbstverwaltung. Sie sind in ihren lokalen Zusammenhängen dicht bei den Leuten und gut verankert. Das und die mittlerweile 180.000 Mitglieder geben ihnen politisches Selbstvertrauen.

Inszeniertes Selbstlob

Allerdings verhilft das Korsett einer Redezeit von drei Minuten zwar vielen Delegierten zu einem Auftritt, es verhindert aber ein sich aufeinander beziehendes Argumentieren bei der Suche nach Antworten auf die anstehenden Epochen-Fragen.

Bild: privat
Über den Autor

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Fast alle Redner fallen, getrieben von der Uhr, in den hohen Ton moralischer Überlegenheit, sie werden laut, was allein auf Beifall der Delegierten zielt. Die gesetzten Reden der aktuellen Parteihelden können so nicht hinterfragt werden.

Dieses inszenierte Selbstlob wird für das Formulieren der nächsten strategischen Wegmarken der Partei nicht gebraucht. Es langweilt nur.

Franziska Brantner, Ricarda Lang und Cem Özdemir haben in ihren Reden angedeutet, wo sie die Grünen im Ringen um Macht und Einfluss in den nächsten Jahren sehen. Das Alleinstellungsmerkmal der Grünen, das Steuern der Transformation ins nachfossile, digitale KI-Zeitalter halten sie für gesetzt.

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Klimapolitik findet aber im Augenblick in der Gesellschaft kaum Widerhall, der sich in Politik übersetzen ließe. Warum das so ist, wurde auf dem Parteitag nicht beantwortet.

Es wurde nur polemisch als Kritik an den Großkapitalisten und Lobbyisten und als Prinzipienlosigkeit des Kanzlers adressiert. Offenbar glauben die Grünen, dass sie das konstatierte Desinteresse an Klimapolitik durch eine grundsätzliche Remedur ihres eigenen Auftretens in der Mitte der Gesellschaft in Zustimmung verwandeln können.

Die vier Grundsätze der Franziska Brantner

Parteichefin Franziska Brantner formulierte dafür vier Grundansätze.

1. Ehrlichkeit: Grüne sollten alle Probleme der Politik in ihrer Wirklichkeit so adressieren, wie sie sich tatsächlich stellen. Sollten ohne jedes Vorurteil oder parteiliche Brille sagen, was ist und Lösungen auf dieser Grundlage erfinden und auf den Weg bringen. Konkret: Wenn innerhalb der Nato oder der EU gemeinsame Anstrengungen wegen der russischen Bedrohung nicht möglich seien, müsse eben eine Europäische Verteidigungsunion mit den Staaten gegründet werden, die dazu bereit sind.

2. Eigenverantwortung vor Ort: Auf dem Weg in die ökologische Zukunft sollten Grüne nicht darauf warten, dass zentrale Ebenen der Politik die Transformation auf den Weg bringen. Sie sollten sich mit denjenigen in Wirtschaft und Gesellschaft verbünden, die schon jetzt erfolgreich an der Transformation arbeiten. Diese Kräfte seien viel stärker als alle Versuche, den bereits voranschreitenden ökologischen Umbau wieder zurückzudrehen.

3. Generationen zusammenbringen: Es mache keinen Sinn, die Jungen und die Alten gegeneinander in Stellung zu bringen. Wichtiger sei es, die unabweisbaren Verteilungsfragen, die durch die Demographie entstehen, im Konsens so aufzulösen, dass sie als gemeinsames Zukunftsprojekt gelebt werden könnten.

4. Internet aus der Verfügungsgewalt der Tech-Milliardäre befreien: Die Oligopolisten missbrauchten die neuen Medien und KI als Propagandamaschinen zur Demontage der Bürgerrechte, der freien Rede und der Informationsfreiheit. Die neuen Medien gehörten auf gesetzlicher Grundlage ins System demokratisch kontrollierter Institutionen integriert und reguliert.

Die Grünen als mutige Partei

„Zukunft mit Haltung“ nennt die Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang in ihrer Rede diesen strategischen Ansatz. Haltung definiert sich bei ihr als offen nachvollziehbar, aber konsequent pragmatisch. Sie verlangt für alle politischen Vorschläge der Grünen eine Substanz, die Mehrheiten finden kann.

Sie will dafür die Institutionen so aufstellen, dass sich in und mit ihnen Zukunfts-Entwürfe entfalten können. Vor allem verlangt sie Furchtlosigkeit. Die Grünen als mutige Partei könnten Wege öffnen, die Zukunft schaffen.

Cem Özdemir, Kandidat für das Ministerpräsidentenamt von Baden-Württemberg, sieht die Grünen an der Seite der Arbeiter und Unternehmer in den Autoindustrien. Denn sie werden die Last der Transformation tragen müssen.

„Wir können auch Auto“, sagt er und noch ein paar andere Dinge, die man sich auf Grünen-Parteitagen bisher nicht traute. Für Özdemir muss das Machbare das entscheidende Tool der Transformation werden. Nur erfolgreiches Brückenbauen öffnet aus seiner Sicht Wege in eine ökologische und zugleich demokratische Gesellschaft.

Einer pragmatisch aufgestellten Politik verpflichtet

Wenn man pathetisch sein will, kann man sagen: Brantner, Lang und Özdemir leiten eine neue Phase Grüner Politik ein. Sie wollen aus den Grünen ein überzeugendes und funktionierendes Instrument der ökologischen Transformation formen. Mit einer Politik, die nicht von moralischer Selbstüberhebung bestimmt wird, sondern mit breiten Allianzen den konkreten Wandel anführt.

Dieser Anspruch ist deshalb so schwierig umzusetzen, weil er das konservative und das linke Lager-Denken aufgibt und sich allein einer pragmatisch aufgestellten Politik verpflichtet. Dafür müssen konkret ausformulierte Zukunftsprojekte aufgelegt und diskutiert werden; sei es zur Rente oder zur Energiewende. Davon sind die Grünen auch nach diesem Parteitag immer noch weit entfernt.

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