Analyse zum AfD-Urteil: Notwendiger Tabubruch

Der sächsische Verfassungsgerichtshof hat für die Kontrolle von Wahlorganen neue Maßstäbe gesetzt. Diesmal nutzten sie der AfD.

Eingang zu einem Gebäude

Das Gebäude des Landgerichts, in dem auch der sächsische Verfassungsgerichtshof seinen Sitz hat Foto: dpa

Was war neu am Urteil von Freitagnachmittag?

Wenn man nur aufs Ergebnis schaut, gab es nicht viel Neues. Der Leipziger Verfassungsgerichtshof hat seine einstweilige Anordnung vom 25. Juli bestätigt. Die AfD-Landesliste wurde nun endgültig mit 30 Kandidaten zugelassen.

Neu ist aber, dass der Gerichtshof ausführlich erläuterte, warum er überhaupt im Vorfeld der Wahl entschieden hat. Damit setzte er Maßstäbe, die vermutlich von anderen Landesverfassungsgerichten und auch vom Bundesverfassungsgericht übernommen werden. Neu ist auch, dass der sächsische Gerichtshof erklärte, welche Fehler der Landeswahlausschuss gemacht hat. Dies könnte im Wahlkampf relevant sein, weil in diesem Ausschuss die anderen Parteien zu Lasten der AfD agierten.

Worin bestand der Konflikt?

Die AfD hatte ursrpünglich eine Liste mit 61 Kandidaten für die Landtagswahl eingereicht. Der Landeswahlausschuss ließ Anfang Juli jedoch nur 18 AfD-Kandidaten zu. Begründung: Die AfD habe die Kandidaten auf zwei getrennten Versammlungen gewählt und mitten in der Kandidatenaufstellung ein neues Wahlverfahren beschlossen. Damit habe die AfD Wahlvorschriften verletzt.

Die AfD war empört und sah sich gezielt behindert. Zwar sagten ihr Umfragen für die Sachsen-Wahl 25 Prozent der Stimmen und rund 30 Sitze im Landtag voraus. Doch mit nur 18 Kandidaten auf der Landesliste hätte sie möglicherweise nicht alle Sitze personell besetzen können. Die AfD erhob deshalb Verfassungsbeschwerde.

Warum war es ein Tabubruch, dass der Verfassungsgerichtshof schon vor der Wahl entschied?

Eigentlich sind Klagen gegen Entscheidungen der Wahlgremien vor der Wahl unzulässig. Die Wahl soll nicht durch juristische Manöver im Vorfeld chaotisiert werden. Normalerweise ist eine Wahlprüfung erst nach der Wahl möglich. Das gilt nicht nur in Sachsen, sondern auch im Bund und in fast allen Bundesländern (außer Berlin).

Über diese verfassungsrechtliche Tradition hat sich das sächsische Gericht nun hinweggesetzt. Die Richter berufen sich auf das Gebot des „effizienten Rechtsschutzes“, das ebenfalls in der Landesverfassung enthalten ist. Die Korrektur von Fehlern vor der Wahl soll allerdings auch in Zukunft nur in besonderen Ausnahmefällen möglich sein.

Welche Voraussetzungen sieht das Gericht für Rechtsschutz im Vorfeld einer Wahl?

Eine Bedingung ist dafür erstens ein „besonders qualifizierter Rechtsverstoß“. Die Richter nannten als Beispiele, dass ein Wahlorgan bewusst seine Macht missbraucht, dass es willkürlich oder klar rechtswidrig handelt.

Als zweite Voraussetzung nannten die Richter, dass der Fehler von „außergewöhnlichem Gewicht“ sein muss. Gemeint ist, dass eine Wahlwiederholung im ganzen Bundesland droht. Ein Fehler, der nur einen einzigen Wahlkreis oder nur eine Splitterpartei betrifft, könnte also weiterhin nicht vor der Wahl korrigiert werden.

Wie bewerten die Verfassungsrichter die Entscheidung des Landeswahlausschusses?

Im konkreten Fall sahen die Verfassungsrichter zwar keine Willkür und keinen bewussten Machtmissbrauch des Landeswahlausschusses. Doch habe er das Wahlrecht „klar rechtswidrig“ zu Lasten der AfD angewandt. Denn er habe die Aufteilung der Listenaufstellung auf zwei Parteitage nicht „zulassungsfreundlich“ als Unterbrechung einer einheitlichen Versammlung gewürdigt. Es sei bei solchen Form- und Verfahrensfragen Pflicht des Wahlausschusses, im Zweifel für die Partei zu entscheiden.

Überzeugend ist auch, dass die Richter sich im Wesentlichen nicht auf die kleinliche Linie des Wahlausschusses einließen.

Dagegen war es „rechtlich vertretbar“, so das Urteil, dass der Wahlausschuss den Übergang von der Einzelwahl zur Blockwahl ab Platz 30 beanstandete und später gewählte AfD-Kandidaten nicht mehr zuließ.

Ist das Urteil überzeugend?

Dass das Gericht schon im Vorfeld der Wahl entschieden hat, war notwendig. Das Vertrauen in die Demokratie hätte sonst ernsthaft Schaden genommen.

Überzeugend ist auch, dass die Richter sich im Wesentlichen nicht auf die kleinliche Linie des Wahlausschusses einließen. Die Vorwürfe an die AfD, sie habe Form- und Verfahrensvorschriften verletzt, waren offensichtlich aufgebauscht. Der Kampf gegen die AfD sollte inhaltlich geführt werden, nicht mit formalen Mätzchen. Nicht überzeugend ist lediglich, dass die Kandidaten ab Platz 31 gestrichen blieben. Das riecht nach einem inkonsequenten Zugeständnis an den Wahlausschuss.

Welche Folgen hat das Urteil nun für die AfD Sachsen?

Sie wird vermutlich alle errungenen Sitze besetzen können. Zwar weist ihre Landesliste nun lediglich 30 Kandidaten auf. Allerdings wird die AfD vermutlich einige Direktmandate erringen, so dass vermutlich gar nicht alle Listen-Kandidaten benötigt werden. Dass die Landesliste von 61 auf 30 Personen gekürzt bleibt, hat im Ergebnis für die AfD also keine Nachteile.

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