Amtseinführung in Argentinen: Drastische Sparpolitik in Aussicht
Begleitet von Gästen wie Orbán, Bolsonaro und Selenski wurde der neue Präsident Argentiniens vereidigt. Javier Milei spricht von einer neuen Ära.
Während sich vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires bei wolkenlosem Himmel und strahlendem Sonnenschein die Menschen drängten, nahm drinnen die sichtlich angefressene Hausherrin Cristina Kirchner mit den Händen in den Hosentaschen ihres knallroten Kostüms Milei den Amtseid ab. Zuvor hatte die nun ehemalige Vizepräsidentin mit dem Mittelfinger ein „Fuck you“ in Richtung einiger lautstarker Kritiker*innen geschickt.
Nachdem der jetzt ebenfalls ehemalige Präsident Alberto Fernández mit einem zumindest kamerafreundlichen Lächeln seinem Nachfolger die Präsidentenschärpe umhängte und den Stab übergab, kannte der Jubel draußen keine Grenzen mehr. Der neue Amtsinhaber winkte noch einen kurzen Gruß in die Runde, drehte sich auf dem Absatz um, ging zum Ausgang und schritt draußen die Stufen des Gebäudes hinunter zu einem Rednerpult.
Es war das erste Mal in der auf den Tag genau 40-jährigen Demokratie Argentiniens, dass ein gewähltes Staatsoberhaupt nicht seine erste Rede vor dem versammelten Kongress hielt. Und es war Mileis Botschaft an die dort versammelte politische Kaste, die er während des Wahlkampfs als Wurzel allen Übels angeprangert hatte. Über die sozialen Netzwerke hatte Milei seine Anhängerschaft dazu aufgerufen, mit argentinischen Fahnen auf den Platz vor dem Kongress zu kommen, der sich in ein gut gefülltes Meer aus hellblau-weißen Fahnen verwandelte.
Der Beginn „eine neue Ära“
„Heute lassen wir eine traurige Geschichte hinter uns. Es gibt kein Zurück mehr. Heute beginnt eine neue Ära“, begann Milei seine Rede, in der er den Regierungswechsel mit nichts weniger als dem Fall der Berliner Mauer gleichsetzte, woraufhin die Menge „Libertad, Libertad – Freiheit, Freiheit“ skandierte. Was folgte, war eine Abrechnung mit der Vorgängerregierung und die Ankündigung einer drastischen Sparpolitik.
„Keine Regierung hat je ein so schweres Erbe antreten müssen“, erklärte Milei. Der Kirchnerismus habe nur riesige Löcher in allen Kassen und das Land am Rande der Hyperinflation hinterlassen. „Sie haben unser Leben ruiniert“, sagte Milei und wiederholte seinen schon jetzt legendären Satz: „No hay plata – Es ist kein Geld da.“ Und während er eine drastische Sparpolitik ankündigte, zu der es keine Alternative gebe, rief die Menge: „Milei querido, el pueblo esta contigo – geliebter Milei, das Volk ist mit dir“.
Kein Wort über die Einführung des US-Dollars
Aufschlussreich ist auch, welches seiner Wahlkampfversprechen Milei in seiner 35-minütigen Rede nicht erwähnte. Kein Wort über die Einführung des US-Dollars als gesetzliches Zahlungsmittel, keine Silbe über die Abschaffung der Zentralbank oder über die Tatsache, dass an seinem Kabinettstisch die politische Kaste mit recycelten Vertreter*innen sitzt. Prominenteste Beispiele sind Wirtschaftsminister Luis Caputo, Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Zentralbankchef unter Ex-Präsident Mauricio Macri, und Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, die dieses Amt schon unter Macri innehatte und als Kandidatin der Mitte-rechts-Koalition Juntos por el Cambio in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gescheitert war. Dass alle neun Minister*innen ihren Eid hinter verschlossenen Türen ablegten, passt zu Mileis Schweigen.
Spötter haben den Namen von Mileis Partei bereist umgetauft. Statt La Libertad Avanza – LLA/Die Freiheit schreitet voran heißt sie jetzt La Realidad Avanza – Die Realität schreitet voran. Realitätssinn wird Milei auch im Kongress brauchen. Ohne die Zustimmung beider Kammern wird der Großteil seiner Vorhaben nicht vorankommen. Im Abgeordnetenhaus verfügt die LLA über 38 der 257 Abgeordneten und im Senat über 7 der 72 Mandate. Erschwerend kommt hinzu, dass Mileis Partei in keiner der 24 Provinzen den Gouverneur oder Regierungschef stellt. Gefragt sind Dialog- und Verhandlungsbereitschaft sowie die Bereitschaft, Kompromisse zu finden – Eigenschaften, die in der Vergangenheit nicht zu den Stärken des neuen Präsidenten gehörten.
Selenski, Orbán und Bolsonaro unter den Gästen
Ungewöhnlich war auch die Liste der ausländischen Staatsgäste. Darauf waren Uruguays Staatschef Luis Lacalle Pou, der paraguayische Präsident Santiago Peña und der chilenische Präsident Gabriel Boric als Staatoberhäupter der unmittelbaren Nachbarländer keine Überraschung. Dass aber statt des brasilianischen Amtsinhabers Lula da Silva dessen rechtsradikaler Vorgänger Jair Bolsonaro anwesend war, lässt nichts Gutes für die künftigen Beziehungen zum großen Nachbarn ahnen. Möglicherweise hatte Bolsonaro einen Gedankenaustausch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der ebenfalls gekommen war.
Die meiste Aufmerksamkeit galt jedoch Wolodimir Selenski. Der ukrainische Präsident war der Einzige, der eine sichtbare kugelsichere Weste trug. Selenski war auch der einzige Staatsgast, mit dem Milei ein persönliches Gespräch führte. Milei hatte ihm schon Ende November zugesagt, dass Argentinien die zwiespältige Haltung der Vorgängerregierung zu dem von Russland ausgelösten Krieg in eine eindeutige Unterstützung der Ukraine ändern werde.
Die angereiste US-Delegation hat Milei die Unterstützung der Vereinigten Staaten zugesagt. „Priorität Nummer eins haben die wirtschaftlichen Herausforderungen“, sagte Juan Gonzalez, Berater von US-Präsident Joe Biden und leitender Direktor des Nationalen Sicherheitsrats für die westliche Hemisphäre. Die bisherigen Gespräche seien „sehr positiv“ verlaufen und man werde Argentinien bei Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützen. Was diese Aussagen wert sind, wird sich Ende Dezember zeigen. Dann muss Argentinien 900 Millionen Dollar beim IWF tilgen und im Januar weitere 1,9 Milliarden Dollar. Auch dabei gilt, was Milei gesagt hat: No hay plata – Es ist kein Geld da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl